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Burstup

Physische Welt, virtuelle Realität. Politik und Kultur.

22. 5. 2014 - 15:30

Vergänglich und unbequem

Ein Writer liegt im Koma, mehrere andere sitzen in U-Haft. Die Verfolgung von Graffiti ist fast so alt wie die Ausdrucksform selbst.

Seit 24. April liegt ein 28-jähriger Graffiti-Writer mit einem Schädelbasisbruch im künstlichen Tiefschlaf. Er hatte gemeinsam mit einem weiteren Sprayer eine U-Bahngarnitur bemalt und wurde dabei von zwei Mitarbeitern der Wiener Linien gesehen.

Die Writer ergriffen die Flucht - einer entkam, der andere stürzte. Bevor er im Spital das Bewusstsein verlor, soll er den Ärzten noch gesagt haben, dass ihm Steine nachgeworfen wurden, die ihn am Kopf verletzten. Die Polizei sagt, dass die Wunden auch von einer der Befestigungsschrauben auf den Trassen stammen könnten.

Puber was here

Phekt über Graffiti, Taggen und die Empörungswelle anlässlichs Pubers Verhaftung im März 2014

Nicht im Spital, sondern im Gefängnis befindet sich Puber – und zwar seit Anfang März, also bereits über zwei Monate lang. Der Schweizer ist aber nicht der einzige Writer, der zur Zeit in Österreich in U-Haft sitzt. Die erste polizeiliche Sondertruppe für die Verfolgung von Graffiti-Sprayern wurde in Wien schon Ende der achtziger Jahren gegründet, und seit damals wurde das Mittel der U-Haft auf Writer angewandt.

Graffiti in Wien

CC-BY-2.0 / willi gracner / flickr.com/wico30

Dabei sah man schon im Jahr 1984 eine mit Graffiti verzierte Straßenbahn in Wien fahren - und zwar ganz legal bemalt aufgrund einer gemeinsamen Initiative der Wiener Verkehrsbetriebe mit der Galeristin Grita Insam: Sie engagierten zwei New Yorker Writer. Die bemalte Garnitur der Linie J war einen Monat lang unterwegs - doch schon 1985, also ein Jahr später, kündigte der damalige Innenminister Karl Blecha an, "schonungslos" gegen Graffiti-Writer vorgehen zu wollen.

In den achtziger Jahren hat u.a. auch der Graffiti-Writer Waste mit dem Malen begonnen - und ist bis heute dabeigeblieben. Beruflich ist er jetzt Grafiker - wenn er heute mit Spraydosen arbeitet, dann nur auf legalen Wänden. „Graffiti malen heißt mit dem ganzen Körper zu malen“, sagt Waste. „Weil man überdimensional malt, ist das etwas ganz anderes als mit dem Stift oder am Computer. Das ist für mich sehr befriedigend, ich brauche es ab und zu als Ausgleich“.

Vor drei Jahrzehnten war das freilich anders. Die Ausdrucksform war neu und unerprobt, die Leidenschaft dafür verschlang einen Großteil der Zeit. Waste erinnert sich an die erste bemalte S-Bahn in Wien: „Mitten in der Nacht bei Nebel ins Yard. Heute dagegen werden U-Bahnen selbst bei Tag gemalt, die Kids sind einfach Vollprofis“. Das liege vor allem daran, dass eine Kultur rund um Graffiti gewachsen sei, sagt Waste, während es in den 80er Jahren noch keine Fachgeschäfte, keine speziellen Sprühaufsätze (Caps) und keine Anleitungsvideos gab. „Wir hatten zwei Bücher aus den USA: "Spraycan Art" und "Subway Art". Wir hatten ganz normale Lackdosen, wir haben uns Fat- und Skinny-Caps selbst gebastelt. Heutzutage gibt es hunderte Magazine. Es gibt Dosen, die speziell fürs Graffiti malen produziert werden. Es gibt Sprühaufsätze, die speziell dafür in allen möglichen Stärken gemacht werden. In der Pionierzeit war das natürlich ein bisschen anders.“

Graffiti am Wiener Donaukanal

CC-BY-SA-2.0 / Lisa Leonardelli / flickr.com/leolisa81

Gleich geblieben sei hingegen die Verfolgung: Mit monatelanger Untersuchungshaft hätten schon in der Pionierzeit einige Writer in Österreich Erfahrung gemacht. „Mich selbst hatte die Polizei zu diesem Zeitpunkt nicht auf dem Radar – aber so gut wie alle meine Freunde, von denen dann auch einige drei bis vier Monate in Graz in der Karlau gesessen sind“.

Die lange Untersuchungshaft Pubers hält Waste für unangemessen, in Österreich sei sie aber normal - bei Writern ohne österreichische Staatsbürgerschaft werde sie zusätzlich auch noch mit der Fluchtgefahr begründet. Den Vorwurf, dass es der Schweizer Writer mit seinen wienweiten Aktionen übertrieben und zuviele Werke anderer Künstler gecrosst hätte, teilt Waste nicht. „Das gehört dazu. Wenn ich ein Graffiti male und es ist abgeschlossen und fotografiert, dann ist es bei mir aus dem Sinn. Es ist vergängliche Kunst“. Das gelte auch für teure Auftragsarbeiten etablierter Künstler – für Writer sei das Crossing kein Problem, höchstens für Auftraggeber, die viel Geld für die Werke bezahlen. Überhaupt stört Waste die Tendenz, Graffiti in künstlerischer Hinsicht zu kategorisieren: "Da kommt dann Boboville und will urteilen, was Kunst ist und was nicht. Graffiti-Writing kann Kunst sein, muss es aber nicht. Man wartet auch nicht auf die Bestätigung pseudoalternativer Bürgerlicher". Graffiti sei nicht regulierbar und eben unbequem.

Wienerwand

Die Verfolgung in den frühen 90ern bewirkte allerdings auch, dass sich die Writer besser organisierten, etwa in der Wiener Graffiti Union (WGU). Sie fand Anwälte, die sich der Rechtsberatung und Verteidigung von Writern annahmen und sie verhandelte mit Politikern über legale Flächen für Graffiti. Denn auf vielen Wänden, die in den Pionierjahren der achtziger und neunziger Jahre als erlaubt betrachtet wurden, waren die Writer eigentlich nur geduldet - bis die Stadt Wien aufgrund der Zusammenarbeit mit den Sprayern schließlich das Projekt Wienerwand ins Leben rief: Mehr und mehr Wände wurden für Graffiti freigegeben und auch entsprechend gekennzeichnet. Neben dem Donaukanal befinden sich solche legalen Wände etwa bei der Nordbrücke, im Esterhazypark oder am Yppenplatz.

Die WGU existiert heute nicht mehr, aber die Vernetzung der Graffiti-Liebhaber ist trotzdem gut. Die Levin-Statzer-Foundation etwa fördert – im Gedenken an den 2005 verstorbenen Graffiti-Pionier Levin - zahlreiche Projekte aus dem Bereich Street Art und Urban Art. Auch Waste ist in diesem Verein aktiv, daneben gibt es noch zahlreiche andere Organisationen. Graffiti aus Österreich hat sich nicht nur in den letzten drei Jahrzehnten entwickelt und verändert, sondern wird das auch weiterhin tun.