Erstellt am: 15. 5. 2014 - 15:14 Uhr
Cannes ist eröffnet!
In diesen Tagen ist es in Cannes höchst erfreulich, als Österreicher durchzugehen. Dauernd werde ich, per Geburt ein paar Kilometer nördlich der Grenze in Oberbayern geboren aber dem südlichen Nachbarn nicht nur beruflich sehr verbunden, auf Conchita Wurst angesprochen und zu dem wird mir zu diesem historischen Auftritt vergangenen Samstag in Kopenhagen gratuliert, fast als hätte ich höchstpersönlich auf der Bühne gestanden.
Meine gute Laune stieg noch zusätzlich, als ich festgestellt habe, dass das rigide Badgesystem - in Cannes gibt es keine Kaufkarten fürs normale Publikum, sondern nur Akkreditierungen für Presse und die Filmbranche - doch nicht ganz so undurchdringlich ist wie Frankreichs Klassengesellschaft. Medienvertreter sind nach lustigen Farben eingeteilt, von Gelb über Blau und Pink bis Weiß, die hierarchisch festlegen, wer wann (oder überhaupt) in eine Filmvorführung eingelassen wird. Und tatsächlich hielt ich am Dienstag erstmals ein rosafarbenes Badge in Händen, bin also von der "Arbeiter-" in die "Mittelklasse" der Festivalbesucher aufgestiegen.
Festival de Cannes
Eröffnet wurde das Festival gestern mit "Grace de Monaco", Olivier Dahans campiges Biopic über Grace Kellys größte Rolle als Prinzessin des unweit von Cannes gelegenen Zwergenstaates. In der Pressevorführung am Mittwochmorgen musste ich immer wieder Tränen lachen, wenn Paz Vega als Maria Callas lipsyncht oder Präsident Charles de Gaulle droht, Monaco ins Mittelalter zurückzuschicken. Im Saal blieb es in diesen quälend langen 103 Minuten erstaunlich ruhig, nur hin und wieder war ein Ächzen zu hören, drei Mal wurde an Stellen gelacht, die nur unfreiwillig komisch waren. Am Ende aber musste sich doch der eine oder die andere Luft machen und quittierte den Film beim Abspann mit Buhrufen. Um seine Reputation muss sich das Fürstenhaus Grimaldi jedenfalls keine Sorgen machen, der Film fährt sich quasi selbst an die Wand. Und leider ist er trotz einiger hübscher Ausfälle des Overactings und hanebüchener Dialoge zu bieder und langweilig, um das Zeug zum wirklichen Trashkult zu haben. Es sei denn, jemand macht ein YouTube-Mashup mit den besten Close-Ups aus den beiden royalen Desastern "Grace" und "Diana".
Ganz offensichtlich hat Cannes so seine Schwierigkeiten mit Anfang und Ende. Der Eröffnungsfilm soll möglichst große Starpower auf den Roten Teppich bringen (in diesem Fall Nicole Kidman), der Abschlussfilm dagegen hat die Krux, dass die Macher fünfzig Prozent der Kosten für die Abschlussparty am kommenden Samstag übernehmen müssen. Und da fand sich in diesem Jahr schlicht niemand, da die Berichterstattung und damit der PR-Effekt nächstes Wochenende dank UEFA-Finale am Samstag und Europawahl am Sonntag relativ gering ausfallen dürfte. Das Festival fand nun eine sehr ungewöhnliche Notlösung. Sie zeigen Sergio Leones „Für eine Handvoll Dollar“, um damit 50 Jahre Spaghettiwestern zu feiern. Überfan Quentin Tarantino wird den Film präsentieren. Ob er am Ende auch die Rechnung bezahlt, ist nicht bekannt.
Festival de Cannes
Donnerstagmorgen dann ein weiteres Biopic – und der erste zahlreicher Cannes-Veteranen. Mike Leigh hat sich vom heutigen England und seinen darin angesiedelten realistischen Sozialdramen wie „Secrets & Lies“ und zuletzt „Another Year“ verabschiedet. Zweieinhalb Stunden widmet er sich den letzten Jahren im Leben des Malers William Turner, Meister der britischen Romantik und mit seinen Meerpanoramen ein Magier des Lichts. Timothy Spall spielt ihn als grantelndes Riesenbaby, ein nicht erwachsenwerdenwollender Junge, der zwar verheiratet ist, aber lieber ein Junggesellendasein führt und dabei nicht nur die Haushälterin sexuell ausbeutet, sondern sich bald auch eine Geliebte nimmt. Leider sieht Leighs digital gedrehtes Werk nicht nach großer Leinwand, sondern eher wie ein verstaubtes BBC-Kostümdrama mit Ausflügen in die Boulevardklamotte aus.
Nach oben ist also noch reichlich Luft in den kommenden neun Tagen und nicht nur die verbleibenden 16 Wettbewerbsbeiträge von Kultregisseur David Cronenberg („Eastern Promises“), Oscar-Gewinner Michel Hazanavicius („The Artist), dem kanadischen Wudnerkind Xavier Dolan („Heartbeats“) und der japanischen Filmemacherin Naomi Kawase lassen mich leise hoffen, auch die Nebensektionen mit Ryan Goslings Regiedebüt „Lost River“, Mathieu Amalrics „La chambre bleue“ und natürlich Jessica Hausners „Amour Fou“ als österreichischem Beitrag sehen zumindest auf dem Papier vielversprechend aus. Und wenn alles nichts hilft, gibt es immer Let the games begin.