Erstellt am: 14. 5. 2014 - 17:23 Uhr
Nigel making plans
Nigel Farage ist ständig im Fernsehen. Vor vier Jahren hatte er einmal eine Bruchlandung im Flugzeug, die hat er überlebt, scheinbar nur, damit er weiterhin auf allen Kanälen der BBC Sendezeit füllen kann. Es gibt eine Talkshow, die heißt Question Time und ist der Twitterdebatten-weil-sonst-nix-los-ist-Fixpunkt der Donnerstagsabende.
Da kann man Politiker_innen aller Couleurs (wenngleich nur selten der grünen), erfolgreiche Geschäftsleute, Journalist_innen und ausgewählte Prominente aus dem Kulturgeschehen auf Fragen des Publikums zu den Themen des Tages antworten und anschließend darüber streiten hören. In letzterem Fall schauen sie dabei zumeist trotzdem in Richtung Publikum, was eine eigenartige Form der seitlichen Konfrontation erzeugt.
Spoiler-Alert:
Der letzte Satz dieses Blogs ist übrigens auch die Pointe meines Beitrags im Rahmen des Euroskepsis-Schwerpunkts in der heutigen FM4 Homebase.
Davon unabhängiger Hinweis:
Ich veröffentliche derzeit auf der EU-Wahl-App bzw. Site von orf.at Blogs zu diesem Thema. Drei sind schon dort, einer kommt heute nach.
Als Chef der UK Independence Party würde ich Nigel Farage ja zur ersten der oben genannten Kategorien von Podiumsgästen zählen, auch wenn er seine Kategoriegenoss_innen immer mit ein bisschen angewidertem Plosivlaut als „politicians“ bezeichnet, so als gehörte er selbst nicht dazu („Westminster“, gleichbedeutend mit „weltfremd“, ist für ihn genauso ein Schimpfwort wie „Brussels“, Synonym von „das Böse“).
Und in gewissem Sinn hat er ja auch Recht damit, denn weder er, noch sonst ein Mitglied seiner UKIP sitzt im Unterhaus, und Europa-Abgeordnete gelten nicht wirklich bzw. kommen im medialen Diskurs sonst eigentlich nie zu Wort (wollen sie nicht, oder fragt sie niemand?).
Welchem Umstand es Farage dann zu verdanken hat, dass er öfter als irgendjemand sonst ins Question Time-Forum eingeladen wird, ist die andere Frage.
Eine rhetorische wohlgemerkt, denn es wir wissen es eh: Er gibt das her, was man „good television“ nennt.
Was immer man ihm an den Kopf wirft, der Meister der kreisförmigen Argumentationslinie, deren Radius immer irgendwie Brüssel berührt, retourniert in salopp freundlichem Tonfall eine Schrulle nach der anderen.
Zum Beispiel die völlig absurde Legende von der Mehrzahl britischer Gesetze, die in Brüssel beschlossen würden.
Oder die - angesichts der Tatsache, dass Großbritannien so gut wie alles blockiert, was der EU in den Sinn kommt - ziemlich erstaunliche Theorie, sämtliche britische Mainstream-Parteien betrieben aktiv die Entmachtung des britischen Bürgers zu Brüssels Gunsten.
Zwischendurch würzt er das noch mit dem Ausdruck des Mitgefühls für die Bewohner_innen der Eurozone bzw. Osteuropas, die allerdings besser bleiben sollten, wo sie sind.
Robert Rotifer
Am anderen Ende so eines Exkurses dreht er dann gern noch den Spieß um und warnt seinerseits vor Nationalismen, Intoleranz und Extremismen, die die EU/die Eurozone/Europa durch ihre Politik selbst verschuldet haben.
In letzter Zeit hat sich die Rolle von Farage allerdings gewandelt. Aus dem Clown in der Runde, der die ulkigsten Sachen sagt, ist der Herausforderer geworden. Er hat seine Kalauer so oft wiederholt, bis keiner mehr lachen wollte.
Man nimmt ihn jetzt ernst, er ist zum Herausforderer geworden, erst nur für die Tories, mittlerweile auch für die Labour Party, die sich verfrüht über die Spaltung des rechten Lagers ins Fäustchen lachte, zu arrogant, sich anzusehen, wie der Rechtspopulismus in den vergangenen zwei Jahrzehnten in ganz Europa die traditionellen Territorien der Sozialdemokratie erobert hat. In Großbritannien könnte sowas nicht passieren, hieß es. Und wen kümmert schon die EU-Wahl. Seit dieser Woche ist Labour in den nationalen Meinungsumfragen nun zum ersten Mal hinter die Konservativen gerutscht, so kann's gehen.
Die Ironie daran ist, dass UKIP unterhalb seiner xenophoben Köderparolen, also einmal abgesehen von seiner Ablehnung der Bewegungsfreiheit der Arbeitskräfte, ganz auf Linie mit jenem angelsächsisch wirtschaftsliberalen, post-thatcheristischen Konsens liegt, der die EU nun schon so lange dominiert. Nur noch ein bisschen extremer.
Dass UKIP eine Flat Tax von 31 Prozent anstrebt, würde die von den hohen britischen Lebenserhaltungskosten gepeinigten Niedrig- und Durchschnittsverdiener_innen in ihrem Anhang genauso wenig beglücken, wie der angestrebte Rückbau des staatlichen Gesundheitssystems bei Befreiung des Arbeitgebers von seinen Sozialversicherungsbeiträgen oder der Abbau von zwei Millionen Jobs im öffentlichen Sektor (bei gleichzeitiger Aufrüstung und Ausbau der Atomkraft).
Zwar hat UKIP neulich angekündigt, man wolle Bezieher_innen des Mindesteinkommens durch eine Erhöhung der Einkommensteuergrenze entlasten. Die Haltung der Partei zum Mindestlohn selbst ist aber verdächtig unklar. Ein UKIP-Blog, über den ich unlängst gestolpert bin (kein Link hier), argumentierte, dass der Mindestlohn den britischen Arbeiter_innen die Chance nähme, mit eingewanderter Schwarzarbeiterkonkurrenz mitzuhalten.
Erster sein im "race to the bottom" ist auch ein Ziel.
Wenig Wunder, dass diese vorgebliche Anti-Establishment-Partei bei der konservativen britischen Presse so gut wegkommt. Bei all ihrem ostentativen Rebellentum bleibt die UKIP das Gegenteil von umstürzlerisch, keine Spur von Robin Hood, schon eher Downton Abbey.
Eine Flucht aus dem Chaos der modernen Welt in die Obhut des Gutsherrn, der weiß, was für sein Gesinde das Beste ist. Die Sehnsucht nach einer Welt, in der jeder noch wusste, wo sein Platz war, als ultimativer britischer Traum. Mit einem fetten Pfund-Zeichen auf der Purpur-Rosette.
Und wer das irgendwie schnuckelig findet, sollte sich vor Augen halten, dass Nigel Farage neulich in einem Interview mit dem Guardian auf die Frage, welche internationale Führerfigur er am meisten bewundert, ausgerechnet Wladimir Putin einfiel.
„Nicht als menschliches Wesen“, wohlgemerkt, „sondern als Stratege.“ („as an operator“). Na dann.
Für sieben Tage zum Anhören
FM4 Homebase Europa gibt es auch für sieben Tage zum Anhören unter fm4.orf.at/7tage.