Erstellt am: 14. 5. 2014 - 21:14 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 14-05-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Das erwähnte Nino aus Wien-Konzert fand anlässlich der Präsentations-Party für die zeitgleich erscheinenden Alben Bäume bzw. Träume statt. Nino aus Wien sind nächste Woche FM4-Artist of the Week.
#österreichpop #freiheit
Als sich Nino Mandl, Kopf der Nino aus Wien-Band beim Konzert gestern Abend im WUK während einer Zwischenmoderation, mit der Noncholance des jungen Keith Richards, eine Zigarette anzündete, wurde plötzlich Protest laut. Ein Security nahe des Notausgangs erhob seine Stimme, beschwor den Nino das doch zu unterlassen, weil man sich schließlich in einem Nichtraucher-Saal befinde, und dieses Bühnenvorbild dann dazu führen würde, dass auch das Publikum zu tschicken begänne. Nicht dass diese schnell, laut und stoßgebetartig abgeführte Äußerung per se unsympathisch war - sie kam direkt aus der leidenden Seele eines für genau diese Einhaltung dieser Regeln zuständigen Menschen, der seine Verantwortung halt ernst nahm.
Der Künstler ignorierte die Aufforderung komplett, wirkte als habe er nichts gehört; der Teil des Publikums der sich in der Nähe der Protest-Quelle befand, äußerte sich mit widerständigem Gemurmel der Art, die jederzeit zu Gestänker und mehr anschwellen kann. Passiert ist danach nichts. Herr Mandl rauchte die eine und später noch eine zweite zu Ende; und im Publikum kam es zu keiner wundersamen Rauchvermehrung.
Interessant war aber der kollektive Moment der Empörung gegen die Bevormundung durch das Wachpersonal. Klar schwingt da auch ein mitleidiger Seitenblick auf die Lächerlichkeit einem Rock'n'Roller mitten in der Performance das Rauchen, also einen klassischen Gestus der Rebellion verbieten zu wollen, mit. Das wesentliche Element des Zusammenzuckens aber entsteht aus diesem diffusen Gefühl der Freiheitsbeschneidung. Auch bei mir; und ich bin nicht nur Nichtraucher (seit immer), sondern auch seit jeher Raucher-Verspotter.
Aber darum geht es bei diesem Reflex nicht. Der folgt einem automatisierten Widerstand gegen wenig nachvollziehbare Vorschriften, gegen zunehmende Vorschriften, gegen neue, gesellschaftlich wenig gut ausdiskutierte Vorschriften etc. Und es ist die direkte Folge eines unauslöschlichen, frühkindlich entstandenen und in der Pubertät gefestigten Freiheitsbegriffs. Der ist so tief verankert, dass er sich sogar in solchen Momenten äußert: als Unbetroffener angesichts einer Tätigkeit, die ich nicht nur nicht selber vornehme, sondern sogar verspotte. Aber hallo.
Selbstverständlich hat das globalisierte Zusammenrücken, hat die Einbindung Österreichs in die zivilisatorischen Segnungen Europas ein Mehr an Vorschriften gebracht. Die meisten davon regeln, in erhabener Sinnvolligkeit, bislang absurderweise Unterbeachtetes. Wie so immer fällt aber nicht das auf, was leiwand ist, sondern das, was nervt. Zumindest ist das beim Alltags-Laien so - da mag sich der jeweilige Auskenner noch so auf die Stirn greifen (wie ich das bei 95% der Anmerkungen, die von Nichtswissern etwa zum Thema Radio-Quote getätigt werden). Aber die allermeisten Menschen sind die allermeiste Zeit lang Alltags-Laien. Und, rein hobbymäßig, auch gern überfordert und nachfrage-fern. Vieles, was sich durch ein paar kleine aktive Schritte zu Information klären ließe, wird lieber in einem Moment des protestierenden Gegrantel abgehandelt. Weil es befreit.
Nach diesen Mechanismen leben wir unseren Alltag, eh schon seit jeher. Und wenn die Vorschriften-Dichte, egal ob gefühlt oder echt, dann auch noch zunimmt, entstehen diese Momente. Die FPÖ-Protestwähler-Momente. Die Momente, in denen man sich dann für sich selber auf die ganz prinzipielle Forderung nach persönlicher Freiheit zurückwirft, und wegen der spürbaren kollektiven Entrüstungs-Signale ringsherum davon ausgeht, hier eh sozial verträglich zu handeln. Was man natürlich nicht tut: eine Gruppe Gleichgesinnter allein verfügt (vor allem im Rauch-Beispiel) weder über ein gesundes Empfinden noch über den nötigen Hausverstand, einfach weil es sich in der Abbildung wenig konstruktiven rein affirmativen Protests genügt. Wenn das Element der Reflexion fehlt, kann auch nichts sozial relevantes entstehen.
Da der Mensch angeblich (auch) ein soziales Wesen ist, gibt's hier einen Widerspruch.
Mittlerweile besteht unser öffentliches Leben aber fast nur noch aus solchen Momenten. Daran sind die Empörungs-Strategien, mit denen Medien und Lobbys uns überfluten, ebenso schuld wie unsere Gier nach Teilnahme an dieser Mob-Strategie der schnellen Belohnung, die uns noch dazu das Gefühl gibt etwas getan zu haben.
Das führt zu einer fatalen Bedeutungs-Umkehr: Der Freiheitsbegriff im aktuellen Diskurs wird tatsächlich mit der ganz eng gedachten kindlich um sich schlagenden individuellen Freiheit gleichgesetzt; ganz ohne soziale Ausdifferenzierung, ganz ohne gesellschaftlichen Diskurs oder gar Kompromiss.
Und genau deshalb gehört der aktuelle Freiheitsbegriff des Rechtspopulisten - die greifen genau diese Definition seit jeher auf; und weil die Gefahr etwas davon umsetzen zu müssen so gering ist, klappt der Trick auch.
Mir passieren diese FPÖ-Protestwähler-Momente auch öfter als mir lieb ist. Und natürlich gebe ich dem Impetus nach, tröte mit der Macht des Moments mit, widersetze mich, helfe mit, Energie in kollektive Ströme zu bündeln. Es sind oft Momente in den es kein richtiges oder falsches Handeln gibt. Wie der "Nino steckt sich eine an"-Moment. Klar ist es absurd, besonders innerhalb einer per se widerständischen Umgebung einen klassisch-rebellischen Gestus verbieten zu wollen. Und ja, ich nehme das laute Anliegen in einer (in Wien bereits nicht mehr hinterfragten) ganzen Reihe von den Grünen und ihrer Regulierungswut eingebrockten Neuerungen wahr; oder wahlweise als den zudringlichen EU-Zugriff auf das Tabak-Wesen des Landes. Und habe meine mitschwingenden Buhmänner und -frauen; und bin in dieser Stimmung wieder einen Tick bereiter meine Stimme affektiv zu vergeben, an den erstbesten Populisten, der verspricht das zu verhindern.
Genauso absurd ist es, den für die feuerpolizeilichen Sicherheits-Bestimmungen Zuständigen, der letztlich nur im Sinn hat, dass wir nicht als Rußreste im Leichensack aus öffentlichen Gebäuden getragen werden, als freiheitsbeschränkende Drecksau wahrzunehmen. Nur: diese Erkenntnis würde bedeuten andere mitzudenken. Und das findet, vor allem im männlichen Kosmos, eben nicht statt.
Zum Problem dahinter, dass derlei nämlich nicht von lokalen, regionalen oder nationalen Wichtigtuern zu verhindern ist, sondern selbstverständlich eine europäische, globale Frage darstellt, werde ich so nie vordringen.
Und so wird sich auch in meinem Kopf der Begriff der Freiheit zunehmend in eine radikale Zone verlagern, dorthin wo Neoliberale damit die Freiheit eines Freihandelsabkommens meinen, nämlich die Freiheit des Kapitalismus, den Staat zu verklagen, wenn die Gewinne aufgrund von Regelungen zum Schutz der Menschen nicht den Erwartungen entsprechen. Oder dorthin wo Neokonservative die Freiheit des Einzelnen sich als das auszudrücken, was man ist/fühlt mit der Forderung nach Regulierung durch Mehrheits-Abstimmungen einschränken wollen. Oder dorthin wo die Rechtspopulisten sie seit jeher verorten: als Freiheit die man sich nehmen kann/soll/muss, um die eigenen Anliegen durchzusetzen und die anderen lächerlich zu machen.
Ich kann mein Mitschwingen beim leichten Schmäh-Shitstorm, den der Anti-Raucher-Mensch gestern empfangen hat, nicht zurücknehmen. Und ich gönne dem Nino seinen Bühnen-Span. Und schon bin ich - wie wir alle - mittendrin in der täglichen Entscheidung, es sich entweder sehr leicht oder sehr schwer zu machen; oder dabei einen guten Weg des Mitbedenkens zu finden, der Handlungsfreiheit gewährt, andere Positionen mitbedenkt und sich aus dem Tritt in allzu plumpe Fallen verweigert.
Das wird ein Tschoch.