Erstellt am: 14. 5. 2014 - 15:00 Uhr
"Der Fremde" bekommt ein Gesicht
2013 erschien der Comic "L'Etranger" in Frankreich mit äußerst großem Erfolg – bereits nach drei Wochen war die erste Auflage von 30.000 Stück verkauft
Zugegeben, Albert Camus "Der Fremde" als Comic scheint zunächst etwas irritierend. Eines der wichtigsten Werke des Existentialismus als Graphic Novel erzählt - das scheint nicht zu passen. Und doch. Es passt. Und zwar erstaunlich gut und überzeugend.
Jacoby & Stuart
Der Fremde ...
Algerien in den 1930er Jahren. Der Ich-Erzähler Meursault fährt übers Land zur Beerdigung seiner Mutter. Er musste sie in ein Altersheim geben, weil er sie daheim nicht pflegen konnte.
Meursault ist müde und ermattet - nicht zuletzt durch die drückende Hitze. Generell ist er sehr schweigsam und introvertiert - bei der Beerdigung zeigt er keine Gefühle.
Das wird später gegen ihn verwendet. Ebenso, dass er sich in den ersten Tagen der Trauer mit einer ehemaligen Arbeitskollegin getroffen hat, mit dieser ins Kino gegangen ist und anschließend eine Beziehung begonnen hat.
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Meursault scheint alles völlig egal zu sein. Ob er nun für seinen Nachbarn, einen schwindligen Zuhälter, einen Brief an eine ehemalige Geliebte Araberin schreibt, um diese in eine Falle zu locken, oder ob ihm ein Heiratsantrag gemacht wird.
Bei einem Strandausflug kommt es zu einer Schlägerei zwischen Meursault und dem Zuhälter auf der einen und dem Bruder der Araberin und einem Begleiter auf der anderen Seite. Später trifft Meursault allein auf den Araber und erschießt ihn. Zufällig, wie er im Prozess sagen wird. Es sei wegen der Sonne gewesen, versucht er sich zu erklären. Die genauen Gründe aber bleiben unklar.
Der Prozess bildet den zweiten Teil der Geschichte. In diesem wird Meursault seine Gleichgültigkeit und Apathie vorgeworfen. Diese scheinen schwerer zu wiegen als der Mord. Meursault wird zum Tode verurteilt.
Der illusionslose Meursault ist ein Fremder für die Gesellschaft. Die wiederum wirkt mit ihren unterschiedlichen Konfessionen auf ihn fremd.
Jacoby & Stuart
gezeichnet ...
In der Graphic Novel bekommt der Fremde nun ein Gesicht. Als schlanker brünetter Mann wird er dargestellt: Sauber, korrekt, ruhig - fast ständig schwitzend. Die Ich-Erzählung ist einfach, klar und hart geschrieben. Auch wenn Meursault wenig spricht, so beobachtet er doch genau und aufmerksam.
Camus' Text wird fast eins zu eins im Comic verwendet. Erstaunlich, wie einfach Jacques Ferrandez Erzähltes in Dialoge umwandeln kann.
Nur vereinzelt fehlen Passagen, ganz selten ändert sich etwas im Erzählablauf. Ansonsten illustriert der Zeichner Jacques Ferrandez den Roman äußerst präzise und zeichnet auch realistisch und detailgenau in Aquarellfarben
von Jacques Ferrandez
Jacoby & Stuart
Jacques Ferrandez zeichnet seine Heimat. Er ist in Algier geboren, zog aber als Kleinkind mit seiner Familie nach Südfrankreich, wo er Kunst studierte.
Mit seiner Heimat bzw. der Geschichte Frankreichs in Algerien befasste er sich jahrelang in der Reihe "Carnets d’Orient", einer zehn Bände umfassenden Serie.
Daneben hat er etwa einen Reiseführer über Marakesch für Lonely Planet illustriert oder Reiseberichte über Syrien, den Libanon oder die Türkei.
Neben diesen Kulturen und Landschaften interessiert sich Ferrandez schon länger für Camus. Er teile dessen Einstellung und Geisteshaltung, erzählt er in einem Interview.
Bereits 2009 adaptierte er die Erzählung "Der Gast" in einen Comic. Diese wird, ebenso wie jetzt "Der Fremde" auch gern im Sprachunterricht verwendet. Die französische Ausgabe wird etwa als Schulbuch bei Klett Cotta vertrieben.
Satre schrieb über "der Fremde" - jedes Wort sei eine Insel. Jacques Ferrandez verbindet diese Inseln zu einer lesenswerten Landschaft. Camus war wohl nie einfacher zu lesen.