Erstellt am: 13. 5. 2014 - 18:01 Uhr
EuGH-Urteil trifft US-Internetkonzerne
Während der EU-Parlamentswahlkampf gerade auf seinen Höhepunkt zusteuert, sorgt die Entscheidung des EuGH vom Dienstag zum "Recht auf Vergessenwerden" bereits für kommenden Handlungsbedarf im Parlament. Das Urteil über die grundsätzliche Verantwortlichkeit von Suchmaschinenbetreibern wie Google für die Daten von Drittanbietern hat weit über den Ursprungsfall in Spanien hinausreichende Auswirkungen.
Update 20:22
Es betrifft nicht nur Auswahl und Darstellung von Suchergebnissen mit personenbezogenen Daten, sondern enthält auch eine Passage, die nicht nur das Geschäftsmodell von Google, sondern auch das aller anderen US-Internetkonzerne auf dem europäischen Markt direkt betrifft.
Aktuell dazu bei ORF.at
Suchmaschinen können laut Urteil verpflichtet werden, Links zu persönlichen Daten aus der Ergebnisliste zu löschen - in bestimmten Fällen. Das Urteil kommt überraschend, hatte doch zuvor der Generalanwalt dem EuGH eine gegenteilige Entscheidung empfohlen.
Der EuGH hat nämlich das Argument vonseiten Googles, dass jede Suche im Google-Index technisch ja nicht in Spanien stattfinde und spanische Gerichte somit nicht zuständig seien, rundweg abgewiesen. Allein die Existenz einer Google-Verkaufsniederlassung in Spanien genüge, "wenn diese die Aufgabe hat, in dem betreffenden Mitgliedsstaat für die Förderung des Verkaufs der Werbeflächen der Suchmaschine, mit denen deren Dienstleistung rentabel gemacht werden soll", zu sorgen, heißt es dazu in der Aussendung des EuGH.
Möglicher Präzedenzfall
Das Urteil könnte so zu einem Präzendenzfall werden, der so gut wie alle der weitgehend ähnlichen Geschäftsmodelle von US-Internetkonzernen in Europa über den Datenschutz hinaus betrifft. Die europäischen Headquarters der weitaus meisten Internetfirmen aus den USA befinden sich in Irland, wo es nicht nur die mithin laxesten Datenschutzbestimmungen in ganz Europa gibt.
Die irischen Körperschaftsteuern für Unternehmen sind schon so die niedrigsten in Europa. Sie können mit bilanztechnischen Tricks - genannt "Double Irish" und "Dutch Sandwich" - obendrein noch in den niedrigen einstelligen Prozentbereich gedrückt werden. Seitens der Konzerne beruft man sich darauf, dass in den jeweiligen Mitgliedsstaaten ausschließlich Vertriebsspräsenzen unterhalten würden, während Hauptquartier sowie technische Verarbeitung anderswo angesiedelt seien.
Drei Fachmeinungen von drei führenden Juristen-Blogs. Sowohl Hans Peter Lehofer wie die beiden deutschen Kapazunder Thomas Stadler, und Niko Haerting haben den Spruch des EuGH bereits eingehend analysiert.
Geschäftszweck gibt den Ausschlag
Diese Argumentation auf steuertechnischem Gebiet gerät durch die aktuelle Urteilsbegründung nun ebenfalls aus dem Gleichgewicht, auch wenn - abgesehen von der Umsatzsteuer - das Steuerrecht in nationalstaatliche Hoheit fällt. Mit der Möglichkeit, sich auf die Begründung dieses EuGH-Urteils zu berufen - Verkauf von Werbeflächen in Mitgliedsstaaten und Vor-Ort-Präsenz eines Verkaufsteams geben den Ausschlag - stehen die Chancen für nationale Behörden, eine Versteuerung vor Ort auf dem Gerichtsweg zu erzwingen, nun durchaus besser als zuvor.
Die Logik hat sich hier nämlich insgesamt umgedreht. Das Geschäftsmodell von Google bis zu Facebook ist ja nicht der Betrieb von Suchmaschinen oder Sozialen Netzen, diese sind nur Mittel zum eigentlichen Zweck: um dort Werbeflächen zu vermieten. Der EuGH hat hier also nicht an der technischen Verarbeitung der Daten angesetzt, sondern am Geschäftszweck, für den sie verarbeitet werden.
Zum niedrigsten Unternehmenssteuersatz haben die Iren überdies Schlupflöcher gelassen. Im Zusammenspiel mit ein paar Briefkastenfirmen in der Karibik können Firmengewinne dorthin verschoben und die Steuern auf weniger als fünf Prozent gedrückt werden.
"Europe vs. Facebook"
Auch der Fall "Europe vs. Facebook" erscheint nach diesem Urteil nun in ganz neuem Licht. Obwohl die Klage der Gruppe um den Wiener Juristen Max Schrems gegen Facebook wegen Datenschutzverstößen österreichische Fälle betrifft, musste sie in Irland eingereicht werden, zumal der Konzern dort seinen europäischen Hauptsitz hat.
Folgt man nun aber der Logik dieses richtungsweisenden EuGH-Urteils, so müsste die Existenz eines Vertriebsteams für Facebook-Werbung in Österreich ebenfalls genügen, um bereits hier Klage erheben zu können. Wenn nämlich das Facebook-Vertriebsteam "die Aufgabe hat, in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Förderung des Verkaufs der Werbeflächen" zu sorgen, was zweifellos für alle einschlägigen Verkaufsteams von US-Internetkonzernen in allen EU-Mitgliedsstaaten gegeben ist.
Max Schrems zum aktuellen Stand der seit 2011 laufenden Klage gegen Facebook. Sie geht auf eine Beschwerde bei der irischen Datenschutzkommission zurück, die den Klägern zuletzt jede Akteneinsicht verweigert und auch sonst alles unternommen hatte, um den Prozess abzuwürgen.
"Recht auf Vergessenwerden"
Das Parlament wird sich nach seiner konstituierenden Sitzung im Juni jedenfalls rasch damit befassen müssen, denn das EuGH-Urteil bezieht sich auch auf die neue Datenschutzrichtlinie. Die hat das Parlament zwar bereits passiert, sie wurde aber vom Ministerrat noch nicht verabschiedet, weil sie dort von Deutschland, Frankreich und Großbritannien noch immer blockiert wird.
Abweichend von der vorab veröffentlichten Meinung seines Generalanwalts hat das oberste EU-Gerichtsorgan nun erkannt, dass bereits die existierende Datenschutzrichtlinie "ein Recht auf Vergessenwerden" beinhalte. Damit stellt sich die Frage, wie weit die betreffende Passage der erst am 12. März im Plenum verabschiedeten neuen Datenschutzverordnung diesem Grundsatzurteil entspricht. Artikel 17 enthält explizit das "Recht auf Vergessenwerden", wenn dafür ganz bestimmte Voraussetzungen gegeben sind.
Alle Medienarchive betroffen
Die Entscheidung geht dabei weit über Suchmaschinen hinaus, sie bezieht sich de facto auch auf alle Archive, die über das Netz öffentlich zugänglich sind und personenbezogene Daten enthalten. Der Fall betrifft ja ursprünglich das Archiv einer spanischen Tageszeitung.
Ein spanischer Staatsbürger hatte bei der lokalen Datenschutzbehörde Beschwerde gegen "La Vanguardia" erhoben und eine Löschung seines Namens aus dem im Netz einsehbaren Archiv verlangt. Dabei ging es um eine vor Jahren erfolgte Pfändung des Betroffenen, die nach seiner Darstellung längst erledigt und deshalb für die Öffentlichkeit nicht mehr relevant sei. Google kam nur deshalb ins Spiel, weil der Kläger zudem gefordert hatte, dass die betreffenden Links auch im Google-Index gelöscht werden müssten. Damit eröffnen sich nun Möglichkeiten, in Medienberichte auf dem Verfahrensweg nachträglich einzugreifen.
Informationsfreiheit vs. Privatsphäre
"Auch eine ursprünglich rechtmäßige Verarbeitung sachlich richtiger Daten kann im Laufe der Zeit nicht mehr den Bestimmungen der Richtlinie entsprechen, wenn die Daten in Anbetracht aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der verstrichenen Zeit, den Zwecken, für die sie verarbeitet worden sind, nicht mehr entsprechen" heißt es dazu seitens des EuGH. Ein für diesen Sachverhalt typischer Fall wäre zum Beispiel eine Vorstrafe, die nach einem gewissen Zeitraum als getilgt gilt und nicht mehr öffentlich thematisiert werden darf.
Einschränkend heißt es jedoch vom EuGH dazu: "Zwar überwiegen die Rechte der betroffenen Person im Allgemeinen auch gegenüber dem Interesse der Internetnutzer; der Ausgleich kann in besonders gelagerten Fällen aber von der Art der betreffenden Information, von deren Sensibilität für das Privatleben der betroffenen Person und vom Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu der Information abhängen, das u. a. je nach der Rolle, die die Person im öffentlichen Leben spielt, variieren kann."
Das dem Datenschutz inhärente Recht auf Vergessenwerden kollidiert hier also direkt mit einem anderen Grundrecht, nämlich mit jenem auf Presse- und Informationsfreiheit. Im aktuellen Fall wird daher ein spanisches Gericht die Frage zu klären haben, welche Rolle der Kläger dort im öffentlichen Leben spielt und ob in Folge das öffentliche Interesse oder der Schutz der Privatsphäre stärker zu gewichten ist.
Das Europäische Parlament hatte die Novelle zum EU-Datenschutz im März mit überwältigender Mehrheit von 621 Stimmen verabschiedet. Der vor allem von den britischen Konservativen angekündigte Widerstand gegen die Datenschutzverordnung fand nicht statt, gerade einmal zehn Gegenstimmen und 22 Enthaltungen wurden registriert.
Blockade der Datenschutzverordnung
Zur derzeit blockierten neuen Datenschutzverordnung hat sich EU-Kommissarin Viviane Reding am Montag zu Wort gemeldet. Im Deutschlandfunk forderte Reding Deutschland auf, seine Blockade der Datenschutzrichtlinie zu beenden. Dass Großbritannien so agiere, sei man ja inzwischen schon gewohnt, doch in Europa sei es nun an der Zeit, dass einige Staaten endlich aufhörten, enger mit den USA zusammenzuarbeiten als mit den eigenen Partnern.
Die deutsche Seite beruft sich bei der bis jetzt bestehenden Verweigerung zuzustimmen zwar auf das eigene Grundgesetz, dessen weitergehender Geltungsbereich dadurch angeblich eingeschränkt werde. Allein mag das so niemand mehr recht glauben, weil alle drei Blockiernationen zugleich die wichtigsten drei NATO-Verbündeten der Vereinigten Staaten sind.