Erstellt am: 11. 5. 2014 - 11:14 Uhr
Die Sau rauslassen
Dieser Mann lotet Grenzen aus. Sicher nicht so radikal wie ein Lars von Trier, Gaspar Noé oder Ulrich Seidl. Aber entblößende, degradierende, peinliche Situationen stehen auch im Mittelpunkt von Nicholas Stollers Schaffen. Und wie die genannten extremistischen Kollegen fasziniert auch den US-Regisseur der Punkt, wo bürgerliche Fassaden fallen, das Tierische im Menschen durchbricht, der innere Schweinehund regiert und der gute Geschmack zwingend Pause hat.
Wie fast alle spannenden Akteure im US-Comedykino, ob vor oder hinter der Kamera, kollidierte auch Stoller irgendwann mit dem produzierenden Fädenzieher Judd Apatow. Anfang der Nullerjahre schrieb er Episoden für dessen TV-Serie „Undeclared“, bei der Jay Baruchel oder Seth Rogen unter der Regie von Paul „Bridesmaids“ Feig oder Greg „Superbad“ Mottola spielten. Es brodelte in der Talenteküche und eine der schönsten Verschwörungsbünde der amerikanischen Unterhaltungsindustrie fand zusammen.
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Nach weiteren Drehbuchaufträgen debütierte Nicholas Stoller 2008 endlich als Regisseur. „Forgetting Sarah Marshall“, natürlich von Apatow produziert, schickte Jason Segel und Kristen Bell in eine Beziehungsschlacht, die in ihrer Derbheit das schnulzige RomCom-Genre pulverisierte. Gleichzeitig blitzen in dem Blödelspaß Momente der Wahrhaftigkeit und Wahrheit auf, die man auch in vielen Indiestreifen vergeblich sucht.
Im Nachfolgewerk „Get Him to the Greek“ (2010), dem vielleicht ultimativsten Rock’n’Roll-Film unserer Zeit, bestätigte sich Stoller als Hardcore-Humanist. Auf der Suche nach dem Kern des Menschseins müssen Jonah Hill und Russell Brand darin durch Himmel und Hölle des Musikbusiness gehen, physische Ausnahmezustände erleiden, Blut und Tränen vergießen und pelzige Wandbezüge streicheln.
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Das Plüschtier im Mensch
2012 kollaborierten dann Nicholas Stoller und Jason Segel erneut, diesmal auch als Drehbuchduo. Die pure Anarchie, die zuvor in den Filmen des Regisseurs wütete, machte in „The Five-Year Engagement“ einem liebenswürdigeren Tonfall Platz. Die Geschichte vom jungen Paar (Mr. Segel und Emily Blunt), dass nur über gröbste Umwege zueinanderfindet, zelebriert aber immer noch eine herrliche Infantilität, die von der zuckersüßen Verlogenheit anderer Mainstream-Comedys meilenweit entfernt ist.
Im Jahr davor brachten Stoller und Segel als Coautoren auch noch eine Truppe von mehr als legendären Plüschtieren auf die Leinwand zurück. „The Muppets“, bei dem James Bobin Regie führte, entpuppte sich im wahrsten Sinn des Wortes nicht nur als kurzweiliges Comebackmovie für mehrere Fangenerationen. Der Film reflektierte auch die Tücken der Nostalgie und nahm die artifiziellen Protagonisten bis zu einem rührenden Punkt ernst, an dem die Unterschiede zwischen Muppet or Man verschwommen sind. Wie gesagt, Nicholas Stoller darf als Grenzüberschreiter gesehen werden.
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Umso enttäuschender ist es, dass nun „Muppets Most Wanted“, der bereits in den Kinos läuft, an diese Klasse nicht anzuschließen vermag. Dabei beginnt die Geschichte, die zirka drei Sekunden nach dem Ende des Vorgängerfilms startet, durchaus vielversprechend. Gleich im Vorspann thematisieren die berühmten Stofftiere den Fluch des Sequels, dann machen wir mit dem bösesten Frosch der Welt Bekanntschaft, dem üblen Constantine, der geschickt mit dem charmantem Kermit Platz tauscht.
Zusammen mit seinem menschlichen Partner, gespielt vom eigentlich auch großartigen Ricky Gervais, jagt das diabolische Viech die Muppets rund um die Welt, wobei die Tournee nur als Vorwand für eine Reihe gefinkelter Einbrüche dient. Hundert Minuten später wird leider klar: Es hilft keine Selbstironie, der Sequel-Fluch hat tatsächlich zugeschlagen.
Dabei ist die Cameo-Dichte hoch: Von Christoph Waltz über Lady Gaga bis Danny Trejo geben sich unzählige Stars kurz und clownesk die Ehre. Auch der Gagfaktor stimmt. Aber nur in der Theorie. Irgendwie zünden leider die harmlosen Witzchen wirklich, noch die Musicaleinlagen, in denen Tina Fey hervorsticht. „The Muppets“ war ein Film zum Heulen im besten Sinn, vor Freude, vor Lachen, vor Rührung. Ohne Jason Segel als Hauptdarsteller und Coautor stürzt „The Muppets Most Wanted“ aber auf das Niveau schnöder Fernsehfilme aus der Muppets-Vergangenheit.
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Durchbrennende Sicherungen
Als Regisseur meldet sich der mittlerweile 38-jährige Nicholas Stoller jetzt mit einem Film zurück, der nach seiner harmloseren Phase wieder in die trüben Gewässer taucht, in denen leere Bierdosen und gebrauchte Kondome schwimmen. „Bad Neighbours“ (in den USA ohne, in der restlichen Welt mit dem bösen Wörtchen davor) erzählt die zunächst beschauliche Geschichte eines frisch verheirateten Jungpaars, dass mit der Babytochter in die idyllische Vorstadt zieht.
Der Frieden in Suburbia wird allerdings empfindlich von den neuen Nachbarn gestört. Eine Studentenverbindung macht sich bereit für endlose Nächte und lässt bald, trotz anfänglicher gegenseitiger Friedensbekundungen, mittels geballtem Partywahnsinn die Sau raus. Der nachbarschaftliche Konflikt schaukelt sich zum Krieg auf, bei dem die Bobo-Eltern gegen den psychotischen Fratboy-König nur verlieren können.
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Wer wirklich nur den geschickten Mix aus Wahnsinn und Wehmut schätzt, mit dem sich Regisseur Stoller einen Namen machte, kommt auch in „Bad Neighbours“ zu kurz. Höchstens am Anfang gibt es Szenen, die inmitten der Durchgeknalltheit noch von authentischen menschlichen Unzulänglichkeiten erzählen. Mit dem Einzug der Party-Community brennen die Sicherungen durch und jede Spur von Romantik wird ausgelöscht, mal abgesehen von nicht gerade versteckter schwuler Fratboy-Bromance.
„Bad Neighbours“ hat aber nicht nur keine Zeit für die Liebe, in dem Non-Stop-Schenkelklopf-Inferno gehen auch alle Ansätze einer koherenten Story unter. Die Schauspieler machen allerdings vieles wett: Seth Rogen und Rose Byrne verbindet eine britzelnde Comedy-Chemie, Ex-Disney-Star Zac Efron und Dave Franco ergeben ein perfides Bubenpaar. Was bleibt: zwar kein Film von Nicholas Stoller in Topform, aber eine brüllend laute Dekonstruktion von bourgouiser Bohémien-Spießigkeit und debilen Studentenritualen. Und das ist ja immerhin auch schon was.
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