Erstellt am: 8. 5. 2014 - 16:59 Uhr
The daily Blumenau. Thursday Edition, 08-05-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
#genderpolitics #stammtisch
Wenn man ein Kind kriegt und einigermaßen bei Bewusstsein ist, dann macht man sich vorher mit den Eventualitäten vertraut, die einen da so überraschen könnten. Auch damit dass (weil die Medizin da erstaunlich wenig weit ist und man vieles vorher noch nicht erkennen kann) das neue kleine Leben krank oder mit einem Gen-Problem auf die Welt kommen könnte. Und wenn man will, erfährt man auch, dass etwa jedes 5000 Kind intersexuell daherkommt. Da ist das Geschlecht von der Natur einfach nicht klar festgelegt. Bisher war es so, dass Ärzte nach Gutdünken festlegen, was das kleine Ding künftig sein soll und dementsprechend herumgeschnipselt haben - was in etlichen Fällen zu dementsprechender psychologischer Verheerung der so verunstalteten Intersexuellen geführt hat. Das ist jetzt - zumindest in Deutschland nimmer so: man belässt alles so wie's ist und wartet die Entwicklung ab. Für Österreich, in solchen Fällen immer ein zögerlicher Gesetzes-Nachzieher, ist ähnliches zu erwarten.
Ich habe die nach der Geburt festgestellte Konformität meines Kindes, zugegebenermaßen mit einiger Erleichterung zur Kenntnis genommen. Nicht weil ich Angst vor dem Ungewöhnlichen hätte, sondern weil ich die Reaktionen der (in diesem Fall: weiteren) Umgebung auf alles, was aus der Norm fällt kenne. Da kommt nämlich in vielen schon einmal der kleine Gross, der Mini-Mengele durch.
Der kleine Thomas ist vor mehr als 25 Jahren mit einem eindeutigen Geschlecht zur Welt gekommen. Seine Stellung im Definitions-Wahn rund ums Geschlechtliche würde ich am ehesten mit dem 3. Geschlecht in den Gesellschaften Südasiens vergleichen. Auch um das Schlagwort der Transsexualität einmal mit einem außereuropäischen Bild zu fassen und so das Klischee wegzukriegen, dass es sich beim Ausdifferenzieren von Sexualität und Geschlecht um einen Ausdruck der Verderbtheit oder der Pervertierung der westlichen Zivilisation handelt, wie das die diversen Fundamentalisten, egal ob religiöse oder rechtsnationale, die ja schon Homosexualität nicht als genetisch festgelegtes Faktum akzeptieren können, sondern als Krankheit betrachten müssen, um ihre bigotte Abwehrhaltung gegen das sie Verunsichernde zu rechtfertigen. Dass darin die Angst vor der eigenen Homosexualität steckt (die vor allem in Männerbünden, einem Hort heimlicher schwuler Sehnsuchtsräume, auftritt) versteht sich. Die gesamte Welt ist (ebenso wie die gesamte Menschheits-Kultur) voll von dritten (und noch mehr) Geschlechtern. Darüber darf die in der hiesigen Mainstream-Kultur aktuell immer noch als fix verankerte Manderl-Weiberl-Aufteilungs-Striktheit nicht hinwegtäuschen. Nochmal: jedes 5000ste Kind kommt schon uneindeutig zur Welt.
Der kleine Thomas war eindeutig, aber dann eben auch eindeutig homosexuell. Und weil es bei ihm in der österreichischen Provinz gar spießig, widerlich und diskriminierend zuging, und sich das auch in der Großstadt und in den Stammtisch-Niederungen des gesamten Gesellschaft als Grundton durchzog, setzte er ein Zeichen, entwickelte einen Travestie-Akt als Dame mit Bart und konnte sich als überaus herzensbildende/r Vertreter/in des Anliegens Geschlechterrollen und -grenzen als das zu betrachten, was sie sind (nämlich fließend, nicht eindeutig festgelegt) profilieren. Tom nannte sich Conchita, eroberte in einer Fernseh-Show ein großes Publikum und tritt heute und vielleicht auch Samstag für Österreich beim Song-Contest an.
Wer die Mechanismen der ESC-Qualifikation kennt, weiß dass es nur vorgeblich leicht ist, dort mit einer aus der Reihe fallenden Performance zu punkten. Auch wenn diese große Party der Eurovision scheinbar stark in schwuler Hand ist, regiert ein konservativer Bewahrer-Duktus. Schwule können nämlich genauso reaktionär sein wie Nicht-Schwule. Und von beider Sorte blocken da genug.
Insofern ist der Wurst-Antritt beim ESC eine wirkliche Ansage; die Sichtbarmachung, dass Geschlechter-Zuschreibungen nicht so simpel funktionieren, wie es die Einfachmacher gern glauben machen wollen. Ein Statement fürs Genauer-Hinschauen, eine Irritation, eine Erhellung. Weil es doch Wurst ist, was Conchita zwischen den Beinen trägt, Wurst oder Nicht-Wurst.
Und fast hätte man meinen können, dass sich die lifeball-gestählte österreichische Seele ein bisserl weltoffener zeigt als man gedacht hatte. Bis jetzt ein paar Rülpser aus dem Eck der üblichen Verdächtigen zeigen: Österreich bleibt Österreich; und das ist durchaus eine Drohung.
Wenn nun der bekannte Idiot Alf Poier in vollständiger Unkenntnis all des im Vorfeld hier Erwähnten die populistische Keule schwingt und Entscheidung verlangt wo die von ihm sonst gern angerufene Natur (und der von ihr angeblich vergebene Hausverstand) Uneindeutigkeit vorlebt, dann ist das eh nur die wiederholte Kenntlichmachung von reaktionärem Kabarett. Wenn sich die von Frau Wurst als unangenehm normierende Putins Gender-Gesetze unterstützende benannte FPÖ als "Das-wird-man-ja-noch-sagen-dürfen"-Unterstützerin geriert und der noch vor zwei Jahren beim lifeball (sic!) Freundlichkeiten flötende Parteichef die Uneindeutigkeit von Wursts Geschlecht als ORF-Skandal instrumentalisieren mag, dann zeigt sich die auch von obersten Ideologen nur lahm dementierte Homophobie der sozialen Heimatpartei (die mit ihrer Haider-Vergangenheit und der Strache-Abgrenzung gegen alte homosexuelle Seilschaften in der FPÖ zu tun hat; also auch wieder mit der Ablehnung dessen, was war, aber nicht sein durfte...) in grellen Farben. Und wenn dann in Foren, Netzwerken und altbackenen Leserbriefseiten der Stammtisch seinen Bierhansl-Atem dazurülpst, ist die Dreieinigkeit komplett.
In Indien hat man das erwähnte dritte Geschlecht unlängst gesetzlich anerkannt. Das sollte den gern auf ihr germanisches Erbe pochenden Burschen abstammungstechnisch doch zu denken geben.