Erstellt am: 8. 5. 2014 - 18:33 Uhr
"Our little dictator"
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In der FM4 Homebase, am Donnerstag, den 8. Mai von 19 bis 22 Uhr, sehen wir uns die Auswirkungen der Orbanschen Umgestaltung des Landes auf die Zivilgesellschaft an: Wie betreffen die Änderungen Medien, MusikerInnen, Studierende?
Das Spezial gibt es im Anschluss für 7 Tage on Demand.
Gestern hat uns die schöne Schlagzeile erreicht: Wunsch nach eine starken Führer hat zugenommen." - laut einer aktuellen Studie hätten dreißig Prozent der ÖsterreicherInnen gerne einen starken Mann in der Politik, der sich nicht um das Parlament und um Wahlen zu kümmern hätte. Nun, wie so etwas aussehen könnte, kann man sich in unserem Nachbarland ansehen. Denn dort arbeitet Viktor Orban hart daran, das Land in einen autoritären Staat mit demokratischem Anstrich umzubauen.
Emma
"He is our little dictator, he really is", sagt die 19-jährige Emma. "And that is scary, I mean, this is the 21st century, so what the hell?" Emma ist politische Aktivistin und heckt immer wieder Protestaktionen gegen die Regierung Orban aus. Vergangenen März hat sie zum Beispiel mit anderen die Eingänge des Parlaments besetzt, bis sie von der Polizei weggetragen wurden.
Das Bild ihrer Verhaftung ging durch die Medien. Im Nachhinein ist es Emma ein wenig peinlich, trotzdem, sagt sie, war dieser Tag der beste ihres Lebens. Im Gegensatz zu vielen anderen jungen UngarInnen, die weggehen, will sie da bleiben und sich einmischen. "I really don’t like this government", sagt Emma. "Viktor Orban is a sexist and a capitalist. They do not care about the poor, they are only interested in their own power. And it is really hard to do something against them, because they own everything. But if I don’t do it - who will?"
Zweidrittel-Mehrheit
Vor ein paar Wochen, am 6. April, ist Viktor Orban bei den ungarischen Parlamentswahlen wiedergewählt worden. Und seine Partei, die Fidesz, hat erneut die Zweidrittel-Mehrheit im Parlament erreicht. Damit können sie für die nächsten vier Jahre weiterhin ungestört Ungarn nach ihren Interessen umbauen. "Dass die Fidesz in Ungarn wieder die Zweidrittel-Mehrheit erreicht hat, war für niemanden überraschend", sagt der ungarische Journalist Balasz Csekö. In den letzten vier Jahren seiner Amtszeit hat Viktor Orban das ungarische Rechtssystem gehörig umgekrempelt. Unter anderem wurde das Wahlsystem geändert und die Wahlbezirke wurden neu abgesteckt. Dank des in Ungarn geltenden Verhältniswahlrechts kann Orban jetzt mit 44,4 Prozent der Stimmen 67 Prozent der Sitze im Parlament beanspruchen. Vor allem aber hat Viktor Orban die Ungarische Verfassung geändert.
Gewaltentrennung gibt es nicht mehr
Balasz Csekö
"Die Verfassung - oder das Grundgesetz, wie es die Regierung gerne nennt - wurde ausschließlich von dieser einen Partei geschrieben. Kritik von der Opposition zum Beispiel wurde nicht berücksichtigt", sagt Balasz Csekö. Und diese Verfassungsänderungen zielen eindeutig auf Machterhalt ab: VerfassungsrichterInnen können Änderungen im Grundgesetz nur mehr auf formale, nicht mehr auf inhaltliche Rechtmäßigkeit prüfen, sie dürfen sich auch nicht mehr auf eigene Urteile von vor 2012 berufen. Auch die Unabhängigkeit der Justiz insgesamt wurde eingeschränkt. "Orban hat das Prinzip der Gewaltentrennung in Ungarn abgeschafft, das gibt es nicht mehr", sagt Balasz Csekö dazu.
Einige an sich einfache Gesetze haben jetzt Verfassungsrang, bei denen das eher ungewöhnlich ist: Es ist festgelegt. dass Wahlwerbung in privaten Medien verboten werden kann oder Obdachlose bestraft werden können, wenn sie im Freien übernachten. Aber auch eine Einheitssteuer bzw. Flat Tax und andere Dinge sind hier fixiert. So kann eine nachfolgende Regierung diese Gesetze nur ändern, sollte sie ebenfalls eine Zweidrittel-Mehrheit erreichen.
Die Verfassung ist auch nationalistisch geprägt: In der Präambel ist der Glaube an Gott und die Berufung auf eine 1.000-jährige Ungarische Geschichte festgeschrieben. Auch der Schutz der Familie wird dort festgehalten, welche ausschließlich aus verheirateten heterosexuellen Paaren und deren biologischen Kindern besteht und so definiert wird. Damit soll ein nationales Selbstverständnis gefestigt werden, das die Bevölkerung in "echte Ungarn" und unerwünschte Gruppen trennt, erklärt Balasz Csekö: "LGBT-Personen sind nicht erwünscht, Roma sind nicht erwünscht, Juden ebenso nicht. Kommunisten oder Liberale: nicht erwünscht. Erwünscht sind nur Ungarn. Die Merkmale und Charakteristika eines Ungarn werden von bestimmten politischen Kreisen definiert. Sie entscheiden darüber, wer Ungar ist oder nicht."
APA/EPA/SZILARD KOSZTICSAK
Politik- und Wirtschaftskrise
Dieses Stärken einer nationalen Identität findet vor dem Hintergrund einer Wirtschaftskrise statt: In Ungarn gibt es zehn Prozent Arbeitslosigkeit, unter den Jungen sogar fast dreißig Prozent, und kaum wirtschaftliche Investitionen im Land. Orban rühmt sich zwar, er habe die Arbeitslosigkeit auf 8,6 Prozent gedrückt, allerdings wurden Sozialhilfeempfänger zu Zwangsarbeit genötigt, kritisiert die Opposition. Außerdem wurden in diese Statistiken rund eine halbe Million im Ausland arbeitende UngarInnen mit eingerechnet.
Obwohl sich Fidesz den wirtschaftlichen Aufschwung Ungarns für die nächsten vier Jahre auf die Fahnen geschrieben hat, wird sich die wirtschaftliche Situation in Ungarn wohl so schnell nicht bessern. Außer für Mitglieder des Kreises um Orban. "In der Wirtschaft gibt es noch einiges zu holen", sagt Balasz Csekö und nennt das Beispiel Tabaklizenzen: Letztes Jahr wurden allen Händlern die Tabaklizenzen entzogen und neu verteilt. An wen? An Günstlinge der Fidesz. "Ähnliches wäre auch denkbar für Alkohol, Tankstellen… Man sollte der Regierung eigentlich keine neuen Ideen liefern. Sie haben sicher schon Spindoktoren, die eifrig daran arbeiten." Das heißt: Wer Teil des Fidesz-Systems ist, der wird unter Umständen profitieren. Für die anderen sieht es weniger gut aus.
Wenn kann, geht
Wer kann, geht weg, sagt Balasz Csekö, und zwar nicht nur die Jungen. Das EU-Ausland ist für viele UngarInnen interessant, um Arbeiten oder Studieren zu gehen. Wirtschaftsstudent Balint erzählt: "If you ask ten young people from Budapest if they want to go abroad, I am sure that six or seven will say yes!" Es wird vermutet, dass mittlerweile in und um London ca. 300.000 UngarInnen leben. Damit wäre London die zweitgrößte ungarische Stadt.
APA/EPA/LASZLO BELICZAY
Um diesen Brain Drain aufzuhalten, hat die Regierung eine umstrittene Regelung eingeführt: jedeR ungarische StudentIn mit einem staatlich finanzierten Studienplatz ist verpflichtet, nach Studienabschluss das Doppelte der Ausbildungszeit in Ungarn zu bleiben und zu arbeiten. Wer nach dem Studium nicht bleibt, muss die Ausbildungskosten zurückzahlen, die können sich auf mehrere tausend Euro pro Semester belaufen. So viel Geld besitzen die wenigsten ungarischen Familien.
Auswandern ist aber dennoch die Alternative für all jene, die sich mit dem autoritären politischen System in Ungarn nicht arrangieren können oder wollen. Und das wird sich so schnell nicht ändern. Denn die Liste der Umgestaltungen ließe sich noch lange fortsetzen: Orban und seine Fidesz-Partei haben sich schon in alle Ebenen des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens festgesetzt.
"Wir haben jetzt einen Staat ohne Gewaltenteilung, in praktisch jedem Bereich sitzen Personen derselben politischen Kräfte. Und das wieder wegzubekommen, das dauert, wenn nicht eine Generation dann mindestens eine halbe!"
Ungarn nach der Wahl
In einem Ungarn-Spezial in der FM4 Homebase, am Donnerstag, den 8. Mai von 19 bis 22 Uhr, sehen wir uns die Auswirkungen der Orbanschen Umgestaltung des Landes auf die Zivilgesellschaft an: Wie betreffen die Änderungen Medien, MusikerInnen, Studierende?
Das Spezial gibt es im Anschluss für 7 Tage on Demand.