Erstellt am: 7. 5. 2014 - 23:59 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 07-05-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
... und, ja: dieser Eintrag bleibt eine Wednesday Edition, auch wenn er nominell erst Donnerstag fertig wurde...
Übrigens: Zynisch könnte man sagen dass es eh egal ist, ob Sturm europäisch spielt oder nicht. Denn: Wer so überdeutlich belegt aus dem katastrophalen Juli-Ausscheiden gegen einen isländischen Provinzgegner nichts gelernt zu haben, hätte das in der 1. Runde der nächsten Saison genauso wiederholt.
#fußballjournal14
Jetzt ist das gewiss, was sich schon vor Saisonbeginn überdeutlich angebahnt hat, was sich dann in den allerersten Pflichtspielen deutlich gezeigt hatte: Sturm Graz setzt, dank permanenter Griffe in jeden sich anbietenden Gatsch, eine Saison komplett in den Sand.
Die Gründe dafür liegen sogar noch länger auf dem Tisch. Weder Mannschaft noch die sportliche oder ökonomische Leitung und auch nicht das sonst sanft regulierende Umfeld haben die jüngere Vergangenheit bewältigt. Man hat sich in einer Wagenburg aus Zuschreibungen, Mythen und Schutzbehauptungen verschanzt; alles innerhalb dieses Kreises ist ehrlich und wahr, die Außenwelt will Schlechtes und ist verlogen.
Heute abend ist die traumatisierte und beratungsresistente, in Richtung Klippe trippelnden Truppe Lemminge die erste Böschung runtergerutscht, in freiem Fall dem Abgrund entgegen.
Was also ist passiert? Und wie kommt man da wieder raus?
Begonnen hat alles als Konsolidierungs-Maßnahme: Ein (2012) neuer Präsident (Jauk) will dem Verein eine solide Struktur verpassen um Rückfälle in kartnigsche Zeiten für ewig zu verunmöglichen. Dabei geht es im Management-Bereich drunter und drüber, gute Ideen versickern, gute Leute geben schnell auf, Intrigen erfüllen ihre Zwecke. Im Frühjahr breiten sich die Unruhen auf die sportliche Leitung aus: Langzeit-Coach Foda kriegt sein sechstes (schlechtes) Jahr nicht fertig, Co Thomas Kristl bleibt danach (4/5-12) ungeschlagen, muss aber auch gehen.
Der neue Trainer (6-12) heißt Hyballa, reißt sportlich einiges, kommt aber mit Umfeld und Medien nicht zurecht, wird weggeputscht, sein Interims-Nachfolger Schopp führt das Werkl noch tiefer in die Abgründe. Man qualifiziert sich am letzten Drücker, trotz Niederlage für Europa, weil die anderen noch schlechter und dümmer spielen. Das Trauerspiel wird durch ständig neue personelle Umbesetzungen und Querelen in der Vereinsführung bildhaft unterstützt.
Der neue Trainer (6-13) heißt Milanic, reißt sportlich genau gar nichts, kommt aber mit Umfeld und Medien zurecht, wird über die gesamte Saison künstlich am Leben gehalten, verfehlt Europa in der Liga um Kilometer und scheidet im Cup gegen eine spielerisch deutlich bessere unterklassige Mannschaft aus.
Der Bruch hat weniger mit dem Beginn der Ära Jauk als mit dem Ende der Ära Foda zu tun. Franco Foda ist nach außen hin ein jovial wirkender, in sich ruhender Mann - intern ist er ein Rappelkopf und Wüterich. Vor allem in seinem letzten Jahr, als es nicht mehr rund läuft, schlagen die vielen von ihm zugefügten Verletzungen quasi zurück, richtet sich der Furor gegen den Verursacher.
Darüber, über diese prägende Ära des sublimen Terrors, der innen viel zerbrechen ließ, der nach außen hin immer zugedeckt wurde, wird immer noch kaum gesprochen. Die Aufarbeitung dieser sehr erfolgreichen aber auch sehr schwierigen Zeit ist nie passiert.
Stattdessen wird alles, was im Sturm-Lager an unausgesprochenen Traumata existiert auf den Nachfolger projiziert; auf Peter Hyballa, den Anti-Foda. Hyballa war auch ein Rappelkopf, aber ein offener, einer der sich stellte, der seinen Furor öffentlich machte. In einem funktionierenden Betrieb mit einem halbwegs gesunden Mikroklima setzt eine solche Vorgangsweise Kräfte frei, führt zu Reibung und Entwicklung. Im Fall von Sturm Graz, in einer über Jahre hin von Demütigungen getriebenen Stimmung, führte das aber dazu, dass alles, was an aufgestauter Wut da war, sich gegen den neuen Verursacher richtete.
Der Supergau trat ein, als nach dem lautstarken und unschönen Abgang von Hyballa wieder nichts aufgearbeitet wurde, sondern der Mythos des ultimativen Bösewichts weiter aufgebaut wurde. Weil sich niemand traute den alten Herrscher anzuklagen, wurde weiterhin alle Wut am schnell und erfolgreich vertriebenen Nachfolgeregenten abgelassen. Es entwickelte sich eine Hau-den-Hyballa-Folklore, die alles Böse, alles Negative auf ihn zurückführte. Selbst die katastrophale Interims-Bilanz des Nachfolgers Schopp war seine Schuld.
Als Anfang dieser Saison der menschlich offenbar deutlich kompetentere Trainer Milanic das Ruder übernahm, war es demzufolge völlig egal, was der Coach sportlich hinstellte: Weil ein menschlicher Umgangston herrschte und sich das Mikroklima beruhigt und entspannt hatte, war Milanic sakrosankt.
An allem, was weiterhin schieflief (und sportlich ging so ziemlich alles, was in die Hose gehen konnte, in die Hose, und zwar dünnpfiffig) wurde weiterhin an Hyballa festgemacht. Zurufe von außen, die auf strategische Fehlplanungen und systemisch Schwachstellen, auf die mangelnde Rücksichtnahme und taktische Ausrichtung auf die Fähigkeiten der vorhandenen Spieler aufmerksam machten, wurden nicht beachtet, weil sie womöglich von Hyballa-Fans kommen würden. Außerdem wäre die Mannschaft wegen Hyballa tot, und könne nur langsam wieder ins Leben zurückgeholt werden.
So entstand die eingangs beschriebene Wagenburg-Mentalität: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, weil niemand es wagen sollte, die wieder halbwegs sortierte Gesamtstimmung zu gefährden, schottete man sich inhaltlich ab: die Bunkerstimmung umfasst nicht nur Verein und engeres Umfeld, auch sturmfreundliche Journalisten fühlten sich berufen kritische Stimmen mit absurd anmutenden "Sagspinnst?"-Nachrichten zu behelligen; so fühlt es sich an, wenn man mit Sekten zu tun hat.
Sturm überwintert in den Niederungen der Tabelle, unternimmt in der Winterpause auf so ziemlich gar keiner Ebene irgendetwas, sondern eichkatzelt sich noch tiefer ein. Der nötige Frühjahrslauf passiert nicht, so ist man schließlich gezwungen alles auf die Cup-Karte zu setzen.
Allerdings ist die menschlich zur Ruhe gekommene Mannschaft spielerisch, technisch und vor allem taktisch unterentwickelt. Der SKN St. Pölten zeigte heute Abend, wie man gegen eine personell deutlich besser besetzte Truppe (Sturm ist nach Red Bull und den beiden Wienern die ganz klare Nummer 4 in Österreich) dank eines auf den Gegner abgestimmten Offensiv-Spiels mit schnellen Pass-Stafetten einen fantasie- und wieder einmal planlosen Gegner knacken kann, und gewinnt das ungleiche Duell verdientermaßen. Die aufgestaute Wut der Sturm-Fans entlädt sich in einem verdödelten Mini-Platzsturm einiger Möchtegern-Hools.
Sturm leidet. Am Unwillen zur Flurbereinigung, der unweigerlich zur Selbstzerstörung führt. Sturm 2013/14 verfügt über keinerlei Spielkultur, über kein Augenmaß, was die Einschätzung der eigenen Lage betrifft und über keinerlei Selbstkritik. Der Schuldige an der von Anfang an komplett verkackten Saison wird laut Vereinssprech, Sektenvorgabe und Stimmtischhoheit weiterhin Peter Hyballa sein.
Wie kommt man da raus?
Ich würde - mein voller Ernst - einen Experten für Sektenausstiege zu Rate ziehen. Strukturell sind die Probleme nämlich dieselben. Sturm braucht eine Therapie, muss über die Rolle von Foda und über die wahre Beschaffenheit von Hyballa ins Klare kommen, etwa die (aktuell von Leverkusen geschätzten) spielstrategischen und taktischen Fähigkeiten der Hassfigur wertschätzen und von den menschlichen Problemen trennen lernen - so wie man das auf anderen Ebene bei Foda ja auch zusammengebracht hat. Ehe Hyballa nicht entdämonisert wird, ist Sturm nicht auf Kurs zu kriegen.
Auch für eine Normalisierung der Fan-Identifikation im Bereich des journalistischen Umfelds, etwa die Auflösung des Stockholm-Syndroms, in dem sich sturm12.at verfangen hat, wäre eine professionelle Expertise Gold wert.
Sturm muss aber nicht nur auf die Couch und sich (nach der tiefenpsychologisch freudianischen Kartnig-Analyse) jetzt auch seiner jüngeren Vergangenheit stellen, anstatt weiter Popanze aufzubauen. Auch ganz weltliche, fußballerisch durchaus übliche Mittel sind gefragt.
Es muss möglich sein, die sportlichen Probleme der Mannschaft abgekoppelt von jedweder anderen Debatte zu führen, nach innen und nach außen. Und: Entweder man richtet das Spielsystem nach den vorhandenen Akteuren aus oder man beschafft die Spieler für das System, das man zu spielen gedenkt. Zwanghafte Hybride, die Katastrophen wie die Transformation von Daniel Offenbacher zum schwer defensiv orientierten Sechser nach sich ziehen (seine Karten-Statistik spricht Bände) müssen jede Mannschaft tief runterziehen. Coach Milanic muss sich - ebenso wie Sportchef, Mannschaft und Umfeld - von den Beschönigungen (wir sind ganz knapp dran...) verabschieden, sich besser (bzw. überhaupt) auf Gegner vorbereiten und nicht den immer selben Stiefel durchspielen, sonst reicht man das Team auch 14/15 wieder nach hinten durch.
In der nächsten Saison schaffen es die Top 4 der Liga nach Europa. Die Ausgangslage für ein von alten Dämonen befreites Sturm Graz wäre also günstig. Noch lässt sich der Sturz über die Klippen nämlich vermeiden.