Erstellt am: 9. 5. 2014 - 18:28 Uhr
Die Angabe des Todes
"In meiner Welt sah es so aus: Alle Jungs ohne Brille spielen Fußball und die Jungs mit Brillen spielen eher Tischtennis. Tischtennis war die einzige Sportart, wo ich so ein bisschen mithalten konnte", erinnert sich Mawil an seine Kindheit in Ostberlin.
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Ein bisschen mithalten kann auch die kleine blonde Hauptfigur, Mirco Watzke - Brillenträger natürlich. Ein lieber Bub, bei den jungen Pionieren ebenso aktiv wie bei den Ministranten, immer hilfsbereit, fast ein bisschen streberhaft, um nicht zu sagen nerdig. Mirco Watzke würde nie was Dummes machen. Aber aufgrund unglücklicher Umstände kommt er mit dem neuen Schüler aus der Nachbarklasse, einem Rowdy, in Kontakt. Und damit ändert sich alles. Hinzu kommt, dass es am Vorabend des Mauerfalls ein wichtiges Tischtennisturnier geben soll und, ach herrje, alles so kompliziert wird.
Tischtennis hatte in der DDR eine besondere Bedeutung. Inmitten von Plattenbauten war es naheliegend, Platten aufzustellen, erklärt Mawil. "Ich vermute mal für die DDR-Obersten war es am einfachsten, in einem Wohngebiet zwei Metallstangen als Fußballtor aufzustellen oder eine Betonplatte als Tischtennistischplatz. Tischtennisplatten gab's überall."
Wir hatten ja nüscht ...
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Tischtennisplatten schon – mit Schlägern oder "Kellen", wie sie es nannten, sah es da schon schlechter aus: "Wir hatten ja nüscht", lacht Mawil. Seine erste Kelle war ohne jeden Belag - bloßes Holz, das er liebevoll mit Papier beklebte und bemalte.
Ansonsten war die Auswahl an Kellen im Osten begrenzt: harte Bretter mit harten Gumminoppen drauf. "Mit denen konnte man nicht schnippeln." Also schneiden.
Auf die typische Sprache und die typischen Feinheiten legt Mawil in "Kinderland" viel Wert. Autobiographisch ist das aber nicht - nur "bei den Sachen, wo ich mir was ausdenken hätte müssen, hab ich auf die Sachen zugegriffen, die ich schon kannte. Das Kinder- und Jugendzimmer sieht zu 80% so aus, wie meines aussah."
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Es sind die Details, mit denen Mawil immer wieder fasziniert. Und sein Talent, mit wenigen Strichen Situationen und Gefühlsregungen zu erfassen. In "Kinderland" riecht man den Angstschweiß am Tischtennistisch geradezu - beim Rundlauf, Ringerl, Rasern oder Laferl, das in der DDR "chinesisch" genannt wurde. Vielleicht, weil es in China so viele Leute und so viele Tischtennisspieler gab, mutmaßt Mawil.
Naheliegend übrigens, worin Mawil sein erstes Westgeld, das Begrüßungsgeld investierte: in einen Westschläger. Einen günstiger zwar. Und einen neonfarbigen Smileyaufkleber. Mit dem verzierte er seinen alte Ostkelle.
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... ziehen aber alle Register
Mawils Helden sind meistens die Schwachen, Ängstlichen, Schüchternen. Diejenigen, die lieber in der zweiten Reihe stehen. Er sei selbst früher so ein kleiner Schisser gewesen wie Mirco Watzke.
Insofern passt auch Tischtennis ganz gut, weil der Sport in seinen Augen nicht so populär ist. "Gerade deswegen hat es mich so gereizt, extra eine schöne Aktionszene einzubauen, fast wie bei einem Manga. Die längste Szene dauert 30 Seiten, wo nur Tischtennis gekämpft wird. Ich dachte, so schnell mach ich kein Buch mehr über Tischtennis. Also, wenn, dann richtig. Und deswegen alle Register ziehen."
Zwei Jahre hat Mawil sich die Geschichte ausgedacht, drei Jahre daran gezeichnet – parallel zu seiner Arbeit als Zeichner für diverse Zeitungsstrips, Workshops oder als Dozent für Comics.
Das Ergebnis ist ein entzückendes Denkmal für das Tischtennisspielen in der DDR.
Gratiscomictag
Am 10. Mai findet zum fünften Mal der Gratiscomictag statt: Bei verschiedenen Händlern Wien, Graz, Innsbruck, aber auch in Liezen erhält man gratis eigens produzierte Comic-Hefte - und es gibt auch andere Aktionen.
Mit den Heften sollen die bunte Vielfalt und die unterschiedlichen Erzählstile im Comic gezeigt werden. Von japanischen Mangas zu deutschen Indie-Comics. In den Gratisheften ist auch ein Auszug von "Kinderland".