Erstellt am: 5. 5. 2014 - 17:38 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 05-05-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
#machtpolitik #medienpolitik #demokratiepolitik
Zuerst war es die unauffällige Auffälligkeit der Preisgabe des Taktgebers; dann war es die auf den zweiten Blick allzu offensichtliche Zusammenführungsunlust von selber notierten Gedanken, die aber zu einem anderen als im Titel taktvorgegebenen Resultat geführt hatte; und schließlich war dann noch der Merksatz, der mich wohl noch zur Revidierung einer alten These führen wird.
Teil 1
Eine ganz schöne Menge für einen einzelnen Leitartikel also.
Der ziert ein Heft, das covermäßig fragt, warum man ("wir", schon wieder dieses Düringer'sche "wir"...) der Regierung nichts mehr glaube und beantwortet es mit einem knackigen "Weil sie uns für dumm verkaufen!".
Im Leitartikel des aktuellen Profil also gibt Christian Rainer unter dem Titel "Rumverteilung" und der Arbeitshypothese, dass die Tatsache, dass die Armen ärmer und die Reichen reicher würden, nichts miteinander zu tun hätte, recht offen preis, wer die Linie vorgibt, wer der Experte seines Vertrauens ist. Wenig überraschend: Franz Schellhorn und die Agenda Austria, der neoliberal-konservative Think Tank, den/der die heimische Industrie stützt. Agenda Austria ist von den sozialpartnerschaftlich organisierten Wirtschaftstreibenden als die Entsprechung zu den Neos in die Welt gesetzte Druck/Lobby-Maschine, die alle Forderungen der Konzerne in möglichst objektiv klingende Zahlen, Fakten und Thesen kleiden soll. Ein schick inszeniertes und gut geöltes Instrument, das es in dieser Form bereits seit Jahren im gesamten Westen gab - nur in Österreich verließ sich die nämliche Lobby jahrelang auf ihre Regierungspartei, die ÖVP. Dass sie das jüngst ebenso als minderleistend erachtet hat wie auf politischer Front das Konglomerat an Interessensgruppen, aus denen die Neos hervorgingen, ist aussagekräftig genug und dürfte (wie jüngste, noch unstrukturierte, aber doch existente Positionierungsversuche belegen) die ÖVP an die Bewusstwerdung ihrer Sterblichkeit herangeführt haben.
Rainer folgt also weitgehend den (in diesem Fall sehr neoliberalen) Schellhorn-Vorgaben. Und weil mir gestern der Sumpf den Originalton von Frau Thatcher (zu 21:13 cuen) über die Inexistenz von so etwas wie Gesellschaft, also auch die Unmöglichkeit von einem "Wir" zu sprechen, vor Ohren geführt hat, war ich wieder einmal kurz übermannt vom in seiner Schneidigkeit so gut gestylten Zynismus der neoliberalen Denke, die uns über diverse Medien so unverblümt entgegenschnalzt.
Teil 2
Dazu passt die These, warum die reicher werdenden Reichen nicht schuldig sind an der zunehmenden Armut der Ärmeren: weil die wegen der reicher werdenden Reichen vom Staat als nötig erachtete Einkommensumverteilung (via Steuern/Abgaben) vom Mittelstand in Richtung Wenigverdiener gehe. Nicht mich schlagen: das ist hier die These, allen Ernstes.
Schuld ist also die laxe Verteilung. Die Schere wäre, sagt Rainer, zu beheben: hohe Steuern für Einkommen, Erbschaften etc, nicht nur der paar Superreichen, sondern aller Wirklich-Gutverdiener, also auch einiger, die sich (in Verkennung der Realität) noch zum Mittelstand zählen. Weil es dafür (Stichwort: Steuerflucht) aber internationale Solidarität brauchen würde, wird das nie passieren.
Wer genau hinsieht, wird in diesem Erklärungswust alle Zutaten für das Bejahen der These erkennen, dass reicher werdende Reiche und ärmer werdende Arme sehr wohl und recht klar zusammenhängen. Warum aber genau hinsehen im eigenen Text (in dem ja - im Gegensatz zum knalligen Lead - die Worte "nicht unbedingt" vor der Zusammenhanglosigkeit stehen), wenn das, was dabei rauskommen würde, der eigenen Vorgabe und den schönen Zahlen und Sätzen aus der Schellhorn-Fabrik widersprechen würde? Wieso den Taktgeber vergrämen, gegen die Besitzer-Interessen anrennen?
Teil 3
Jetzt aber zu einem Sidestep, einem Satz, den Rainer selber als Merksatz markiert: Der Großteil aller Volkserhebungen zwischen Ägypten und der Ukraine entzündet sich nur im romantischen Blickwinkel des westlichen Beobachters am Willen zu Demokratie und Freiheit, gründet in Wahrheit immer in banaler Unzufriedenheit mit den ökonomischen Verhältnissen.
Das steht unangreifbar da wie ein Block Granit - auch weil Rainer so klug war, über den "Großteil" Ausnahmen, die ich mir jetzt anzuführen sparen kann, anzuerkennen. Ist keine allzu neue Menschheitserkenntnis. Die bisher beste Zusammenfassung findet sich bei Brecht: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Welcher Art die Auswirkungen auf die aktuell schwelende Ukraine-Krise sind, das mögen die zahlreichen, täglich mehr werdenden wahren Experten zu diesem Thema beurteilen - ich stelle mir die Frage nach österreichischen Parallelen. Denn die Sehn-Sucht nach starken Führern, die das Allernötigste (das Fressen, ein nationales Selbstbewusstsein, relative Prosperität und andere in der jeweiligen Mentalität verankerten Grundversorgungs-Elemente) bereitstellen und sich sonst neosmäßig raushält (vielleicht die Müllabfuhr Tony Soprano, die die Wasserversorgung und das Spitalswesen den meistbietenden Haselsteinern überlässt) hätte ja auch hierzulande beste Karten.
Vor einigen Jahren, als ich ein paar zunächst nur gefühlte und dann langsam auch zuordenbare Anzeichen für ein Kippen Österreichs geortet hatte, aus dem, was man im Westen seit dem Weltkriegsende als Demokratie installiert hatte, einem Nährboden, in dem sich die Nationen festsogen, aus dem sie ihre Kraft schöpften, bin ich davon ausgegangen, dass es die zerstörerische Kraft des Rechtspopulismus, der in Österreich noch dazu in sehr tief verwurzelter sehr brauner Erde verhaftet ist, sein würde, die dieses Wegdriften auslöst. Und ich war mir recht sicher, dass das künstlich aufgeblasene Thema der Sicherheit, eine Geisel des jungen Jahrhunderts, Österreich über kurz oder lang in postdemokratische Strukturen zwingen würde.
Teil 4
Das Sicherheits-Thema schwelt immer noch, als Stammtisch-Zündelhilfe, wenn die anderen Themen nicht mehr greifen; es steht aber mittlerweile, fast fünf Jahre später, nicht mehr im Vordergrund. Die langsame, aber bereits höchst wahrnehmbare Aushöhlung der Demokratie, die durch die lokalen Statthalter globaler Business-Interessen, durch lustvolle Sozialabbauer aller Couleurs, durch wenig kompetente Systemgeradenochaufrechterhalter, Anarchisten aller Art, vor allen Nationalisten und händereibende Populisten betrieben wird, läuft nicht mehr über virtuelle Bedrohungs-Szenarios, sondern virtuelle Es-geht-uns-schlecht-Aufbauten.
Dass die (wegen Visionslosigkeit und Herangehensfaulheit vielleicht sogar rechtfertigbare) Vernichtung der Geradenoch-Aufrechterhalter auch die dahinterstehende demokratische Infrastruktur, den Sozialstaat, die Kulturförderungen, den öffentlichen Sektor, alles wofür sich ganze Gesellschafts-Generationen seit '45 den Arsch aufgerissen haben, mit in den Abgrund des Nichts, des unwiederbringlich Verlorengegangen (und der Feldversuch der Schüssel'schen Wenderegierung war nur ein Mailüfterl im Vergleich zu dem, was am Plan steht), reißen wird, ist dem Großteil jener, die diese Fantasien durchspielen, nicht aber dem Großteil des Fressen/Moral-Stimmvolks klar.
Dazu bedarf es keiner allzu großen Entäußerung, was die Unzufriedenheit mit den ökonomischen Verhältnissen bringt. Mehr als ein Anpatzen der Karlskirche wird auch deshalb auf Sicht nicht drin sein, weil es uns zu gut geht. Für ein ungarisches Modell, das Outsourcen der unangenehmen Maßnahmen an eine politisch-polternde Führerfigur, ist auch hierzulande allemal Platz genug in der österreichischen Dreiaffen-Kultur. da hat sich im Vergleich zu 2009 wiederum nichts geändert.