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Rainer Sigl

Spiel, Kultur, Pop im Assoziationsblaster.

11. 5. 2014 - 13:48

Der gewöhnliche Schrecken

Mit "Daylight" zeigt der Horror-Games-Hype der letzten Jahre deutliche Ermüdungserscheinungen - Zeit für einen Rundblick.

Daylight

Zombie Studios

Dunkle Gänge in einem verfallenen Irrenhaus, hallende Schritte, flackernde Beleuchtung, schemenhafte Gestalten, die den Spieler zu Tode erschrbssszzzzzzz ... oh, Entschuldigung, ich war gerade ein wenig eingenickt. Mal ehrlich: Wer als Spieler in den letzten Jahren nur entferntes Interesse an Horror hatte, war in mehr verlassenen Spukruinen unterwegs als John Sinclair, Geisterjäger. Kein Wunder, dass da ein wenig Abhärtung und, nunja, Langeweile eintritt. Wie schrieb ich vor fast zwei Jahren: "Es ist so eine Sache mit der Angst: Sie ist ein Gefühl, das uns so körperlich erfassen kann, dass es weh tut. Ein Gefühl, das im Augenblick lebt und nicht lange in gleicher Intensität erlebt werden kann."

Dieser Augenblick, so muss man mit Bedauern feststellen, ist inzwischen vorbei. Die Renaissance des kleinen Horrorspiels, das mit knackiger Kürze und originellen Konzepten frischen Wind ins vor allem im Mainstream vor lauter Schießprügeln verdorrte Horrorgenre brachte, ist in der Wiederholung der immerselben Jumpscares steckengeblieben. "Daylight", soeben für Windows und PS4 erschienen, müht sich nun ab, dem Scheintoten neues Leben einzuhauchen - und diese Metapher bleibt leider das Gruseligste an der ganzen Sache.

Daylight

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Wenn's mir nur gruselte

Die Basics: Als weibliche Protagonistin - vor allem deshalb erkenntlich, weil unsere Spielfigur beinahe ununterbrochen "Oh my God" flüstert - suchen wir nur mit Handytaschenlampe und Leuchtstäben bewaffnet zunächst in einer Anstaltsruine, danach im finsteren Wald nach Hinweisen auf die gar schröckliche Vergangenheit. Der Zufallsgenerator bietet für jeden zwei- bis dreistündigen Spieldurchlauf neu zusammengewürfelte Grundrisse, doch die nutzen wenig angesichts der immer gleich ablaufenden Geisterbahn: Wir durchsuchen mühsam Raum für Raum, bis wir alle Hinweise gefunden haben; erst dann lässt sich der Schlüssel für den nächsten Abschnitt auffinden. Auf dem Weg dorthin werden wir lästigerweise von unheimlichen Geräuschen, unheimlichen Poltergeist-Effekten und unheimlichen Geisterwesen belästigt, die aber - leider, leider - durch ihr Auftreten fast im Minutentakt schon bald aus anderen als den gewünschten Gründen an unserem Nervenkostüm zerren. Oh my God, indeed.

Dabei hatte alles so schön angefangen: Mit "Slender" eroberte 2012 ein Internetphänomen die Spielewelt im Sturm. Der kostenlose Horrorschocker, der wenig später auch erweitert zum Kauf angeboten wurde, hatte zwar nur einen einzigen Trick auf Lager - einen unheimlichen Verfolger, dessen Anblick uns geistige Gesundheit oder gar das einzige Bildschirmleben kosten konnte -, doch dieser Minimalismus war dank grandiosem Sounddesign und toller Atmosphäre als Schablone für eine wahre Flut an Epigonen verantwortlich. Die "kleine Form zum Fürchten" eignet sich nicht zuletzt perfekt für hoffnungsvolle Indie-Kleinstprojekte, die seitdem unverdrossen Klon um Klon präsentieren.

Geisterbahn mit Guckloch

Dabei zeigte sich ein interessantes Phänomen, auf das auch "Daylight" clever spekuliert: Im Licht des grenzenlosen Booms der "Let's Play"-Szene, in der Spiele quasi zum nicht-interaktiven Medium für die Couch gemacht werden, sonnten sich die Geisterbahnen besonders in der Zusehergunst. Schon der Indie-Vorfahr des Horror-Hypes, das grandiose "Amnesia: The Dark Descent" aus 2010 - für viele das gruseligste Spiel aller Zeiten - lässt sich auf YouTube ausgiebig bewundern.

Und seine Spieler können, wie auch jene unzähliger weiterer Horror-Titel, für gewöhnlich gleich mitbetrachtet werden: Dank "Facecam" wird in der Subnische der Horror-Let's-Plays nicht nur das Geschehen am Bildschirm für die passiven Zuseher mitgefilmt, sondern auch das Gesicht des Spielenden selbst. Oftmals eine schauspielerische Leistung - wenn auch selten eine gute: Wie theatralisch viele mehr oder weniger populäre Let's-Player für ihr Publikum oft schon angesichts harmlosester Schreckmomente loskreischen, zeugt einerseits von deren Selbstdarstellungsdrang und ist andererseits wohl für viele Zuseher die Hauptattraktion.

Zumindest in der bequemen Anbindung an den Games-Streamingdienst Twitch zeigt sich "Daylight" von seiner innovativen Seite. Überdies können die Zuseher des Streams durch Eingaben im Twitch-Chat direkt im Spiel gruselige Effekte auslösen - das Horrorspiel als gemeinsamer Zuschauersport, an dem man sich sogar ein bisschen mitbeteiligen kann.

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Quo vadis, Horror?

Es ist fraglich, ob das bis zur Ermüdung auch in "Daylight" zum Einsatz kommende Horror-Patentrezept so schnell durch neuen Schrecken abgelöst wird - der Horror-Rezipient zählt nicht unbedingt zu den experimentierfreudigsten Konsumenten. Die Zukunft, so viel Realismus muss sein, liegt aktuell nicht in einer nirgends erkennbaren Weiterentwicklung, sondern wohl eher in einer technischen Intensivierung: Mit dem erwartbaren Aufstieg des Oculus Rift dürften im Gegenteil sogar noch einige Jahre immersiver, aber spielerisch kaum Innovationspreise anstrebender Grusel-Spiele nach Schema F angesagt sein.

"Daylight" ist für PS4 und Windows erschienen.

Vielleicht liegt ja darin der wahre Horror: auf nicht absehbare Zeit in verfallenen Anstalten von den immer gleichen Gespenstern verfolgt zu werden, während im Hintergrund PietSmiet lauthals kreischt...?

Ich geb's zu: Da wird mir doch noch etwas mulmig zumute.