Erstellt am: 2. 5. 2014 - 10:35 Uhr
Im Windkanal der Lebensmittelindustrie
Dein Dealer Lebensmittelindustrie
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Das Reality Check Special gibt es hier 7 Tage zum Streamen
Wenn man in einem durchschnittlichen amerikanischen Supermarkt einkauft, kann man schon mal ein bisschen sein Leben riskieren. Die Hormonzusätze in der regulären Milch sind so hoch, dass einem als Mann Brüste wachsen können, die man möglicherweise gar nicht haben will. Das knallig rote Zweidollarsteak in der Plastikverpackung erinnert an Leuchtreklame. Einmal habe ich Tomaten in einem hinteren Winkel des Kühlschranks vergessen. Wochen später waren sie noch immer so frisch und knackig wie am Einkaufstag. Ganz abgesehen von den Schwerverbrechern Genmais und High Fructose Corn Syrup. Bio? Ja, gibt es auch. Immer mehr. Organic foods sind in den USA aber nach wie vor schweineteuer. Grunz.
Christian Lehner
Orgasmus der Geschmacksnerven
Bis vor wenigen Jahren werkte die Lebensmittelindustrie im Schatten der öffentlichen Wahrnehmung. Komisch eigentlich, denn Essen geht uns nun wirklich alle an. Erst mit Filmen wie "Supersize Me" oder "Food Inc.", sowie Aufdeckergeschichten über Großkonzerne wie Monsanto kam die breite Öffentlichkeit auf den Geschmack.
Random Houee/Ludwig
"Das Salz-Zucker-Fett-Komplott" ist in einer Übersetzung von Katharina Uhlig im Ludwig Buchverlag erschienen
- Zur Website von Michael Moss
Der New York Times Journalist und Pulitzer-Preisträger Michael Moss hat nun ein Buch veröffentlicht, das die Mechanismen und Strategien der Lebensmittelindustrie abseits der Skandaltehmen Genmais und Massentierhaltung untersucht. Sein Resümée ist jedoch nicht weniger gruselig. Laut Moss unternehmen Großkonzerne wie Kraft Foods oder Nestlé alles in ihrer Macht stehende, um uns süchtig nach ihren Produkten zu machen.
Um das zu erreichen - und das ist die zentrale Erkenntnis des Buches - müssen sich die Lebensmitteldesigner gar nicht so viele Gedanken über immer mehr chemische Geschmacksstoffe machen. Was uns zu den ungesunden Produkten im Warenregal greifen lässt, ist vielmehr das "richtige" Verhältnis von Salz, Zucker und Fett. Ganze Labors arbeiten an der richtigen Formel, um den sogenannten Bliss Point zu erreichen, also jenen Moment, wo die Geschmacksnerven vor Freude Rock'n'Roll tanzen und Jubelsignale ans Gehirn senden. ´
Labels lesen ist Pflicht
Dabei kommt es nicht nur auf eskalierende Quantitäten an, sondern auch auf die Form und Beschaffenheit der Salze, des Zuckers und der Fettrationen. Laut Moss macht es einen riesen Unterschied, ob etwa Salzstoffe kugelförmig oder als kleine Pyramiden konzipiert werden. "Sogar die Geräusche, die beim Zerbeißen eines Snacks entstehen, werden designt", so Moss bei unserem Interview in Brooklyn. "Das Gehirn nimmt die Sounds als stimulierend und befriedigend wahr." So geben uns luftige Snacks wie etwa Crackers oder Kartoffelchips das Gefühl, dass sie kalorienarm sind. "Unser Wahrnehmungssystem wird einfach ausgetrickst."
Vorsicht ist auch bei fett- oder zuckerarmen Lebensmitteln angebracht. "Man denkt, man isst etwas Gesundes, dabei wird der geringe Fettanteil häufig mit einer höheren Dosis Zucker kompensiert, oder umgekehrt". Das Bio-Zertifikat garantiere überdies nichts anderes als artgerechte Haltung und Schadstofffreiheit. "Über den Zucker/Salz/Fettanteil sagt das Attribut "organic" gar nichts aus." Labels lesen ist also auch in der Bioabteilung Pflicht.
Christian Lehner
Im Radio
Wie genau uns der Dealer Lebensmittelindustrie süchtig macht, welche Rolle dabei Politik und die Veranlagung des Menschen spielen, und warum Reformvorhaben von Lebensmittelproduzenten hausintern abgeschossen werden, erzählt uns Michael Moss am Samstag, 3. Mai von 12 bis 13 Uhr in einem Reality Check Spezial . Guten Appetit!
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