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Katharina Seidler

Raschelnde Buchseiten und ratternde Beats, von Glitzerkugeln und Laserlichtern: Geschichten aus der Discommunity.

2. 5. 2014 - 14:12

Ekstase im Moshpit

Donaufestival Krems, Tag 4: James Ferraro, Dj Sprinkles, Xiu Xiu, Kelela, Peaches, Mykki Blanco

Donaufestival

Vom 25. April bis zum 3. Mai in Krems.

Am vierten Tag des Donaufestivals wird das Betreten der Minoritenkirche bereits zum Déjà-vu: aus der Sonne hinein in die vollkommene Dunkelheit, ein Stolpern und Tasten, ein Dröhnen. Sobald sich die Augen gewöhnt und die Beine zu den vorderen Säulen vorgeschlurft haben, offenbart sich James Ferraro mit Schlapphut und Kapuzenpulli vor einem geöffneten Koffer voll Zaubermaschinen als jener Künstler in der Kirche, der bisher sogar am meisten Licht zu sich auf die Bühne lässt.

James Ferraro

David Visnjic

Wo der Amerikaner auf Platte in seinem beständigen Abbilden, Verhandeln und Über-Synthetisieren der modernen Welt bisweilen dystopische Szenarien zwischen Fahrstuhl-Hintergrundbeschallung und zerschnippselten Handyklingeltönen entwirft, ist sein heutiges Set in der Kirche eine Art cinematische Reise durch eine Kunst-Stadt. Wie eine Erzählstimme ziehen die für Ferraros Musik charakteristischen, künstlichen Chöre durch die Straßen, fangen im Vorbeigehen das Wummern eines Nachtclubs ein, das Fauchen und Dampfen von Fabriksmaschinen, die Stimmungen und Töne von Bürogebäuden, Kathedralen, Fußgängerzonen. Selbst wenn die immer wieder aufflackernden Beats durch Vocalschnipsel, Klicken, Noise oder einfach neue Eindrücke aus der Zauberwelt zerhackt und unterbrochen werden, selbst wenn der Ursprung der vermeintlichen Field Recordings nicht zweifelsfrei einem natürlichen Universum zugeschrieben werden kann, pulsiert und atmet das Set in einem beständigen, organischen Flow. Vielleicht kann eine Welt, in der Menschen wie James Ferraro oder Oneohtrix Point Never zu den am heißesten gehandelten Avantgarde-Elektronikern gehören, doch keine so schlechte sein.

James Ferraro

David Visnjic

James Ferraro

DJ Sprinkles

Dj Sprinkles

David Visnjic

Terre Thaemlitz aka DJ Sprinkles

"House isn't so much a sound, it's a situation. There must be a hundred records of voice-overs asking: What is house?"

So beginnt "Midtown 120 Blues", das bisher einzige Album, das Terre Thaemlitz, Produzentenlegende, Essayist, Theorieinstanz for all things gender and politics, unter seinem Alter Ego DJ Sprinkles herausgebracht hat. "Midtown 120 Blues", veröffentlicht 2009, ist nichts weniger als eine Offenbarung, eine nahezu perfekte Deep-House-Platte, und dieses Verständnis für Groove, Fluss, Wärme und für eben jene Tiefe, die die Wurzeln des House-Sounds sowohl in perkussiven, erdigen Strukturen als auch in eleganten Synthflächen verankert, scheint selbstverständlich auch in seinem Set in der Halle 2 durch.

"What is house?" - Thaemlitz selbst antwortet: "The contexts from which the deep house sound emerged are forgotten: sexual and gender crises, transgendered sex work, black market hormones, drug and alcohol addiction, loneliness, racism, HIV, ACT-UP, Tompkins Square Park, police brutality, queer-bashing, underpayment, unemployment and censorship—all at 120 beats per minute."

David Pfister über Xiu Xiu: Stupid in the Dark

Jamie Steward

David Visnjic

Jamie Stewart und seinem Brutal Romantik-Einsatzkommande Xiu Xiu zuzuhören und vor allem live zuzusehen ist in etwa so, wie sich moralisch nicht ganz einwandfreie Pornos anzusehen. Egal für welche Instrumentierung sich der Amerikaner entscheidet, egal ob Abstrakt-Rock, Folk oder Heavy Electronics - Stewart schafft es, mit jedem kreativen Zug enorme Emotionalität zwischen Beklommenheit und Beseeltheit zu evozieren. Freilich ist das primär dem bemerkenswerten Ausdruck seiner Stimme geschuldet, aber der Amerikaner ist einfach ein meisterhafter Dramatiker, der um jede perfekte Nuance kämpft. Dabei schießt er immer mehr als notwendig und pedantisch oft über das Ziel. Und das ist auch gerade wichtiges Prinzip des Xiu Xiu-Phänomens. Die Dringlichkeit seines Strebens nach Überschreitung überwindet, wenn man lange genug ausharrt, jedes Unwohlsein, das sein überbordendes Pathos theoretisch auslösen müsste. So integrieren Xiu Xiu beispielsweise die technischen Probleme ihres Donaufestival-Auftritts mit dem Zerschmeißen ihrer Cymbals perfekt in ihr Konzept von Transzendenz. Es geht ums Überleben, Baby.

Jamie Steward

David Visnjic

Xiu Xiu

David Visnjic

Xiu Xiu

Kelela

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Auf ihrem im vergangenen Oktober veröffentlichen, zu Recht vielbeachteten Mixtape "Cut 4 Me" vereint die amerikanische Vokalistin Kelela Mizanekristos eine Handvoll angesagter Produzenten von Kingdom bis Bok Bok, die ihrer Stimme ein minimalistisches Bett aus futuristischen Beats bauen. Auch in der Halle 2 ist Kelelas klare Stimme, die ohne knödeln und allzu spektakuläre Manöver große Emotionen vermitteln kann, das zentrale Element. Unter der ewigen Schirmherrschaft von Allzeit-R'n'B-Soul-Königin Aaliyah werden die Grenzen zwischen Witch House und Bass Music, Mainstream-Radio und Underground-Nische obsolet. An einem Punkt des Abends bedankt sich Kelela schüchtern beim Publikum, das die Texte ihrer Songs zu großen Teilen mitsingen kann, für das Gratis-Downloaden ihres Albums. Die Zukunft ist da.

David Visnjic

Kelela

Peaches

Peaches

David Visnjic

DJ-Sets von Merrill Nisker alias Peaches sind immer auch Konzert und Performance in einem. Auch heute dreht sich ihre Show, die sie gemeinsam mit einer Handvoll Tänzerinnen und in glamouröser Montur zwischen Brust-Anzug, Federboas, Goldketten und hautengem Glitzer-Overall bestreitet, um die Pole Beats, Rave, Brüste. Mitinvolviert sind auch Champagner und ein riesiges Penis-Kostüm, aus dessen Spitze sich weißer Stoff ziehen lässt; der Stadtsaal des heute ausverkauften Festivals tobt.

Peaches

David Visnjic

Mykki Blanco

Mykki Blanco

David Visnjic

Was zum Abschluss der Nacht bei der New Yorker Cloud Rap-Ikone Mykki Blanco passiert, ist vielleicht die Kulmination der Grundsäulen des Donaufestivals, das Zusammenspiel von Musik, Performance, Politik, Genderspiel, Exzess, Ekstase. Blanco, mit Perücke oder ohne, angezogen oder nicht, schweißgebadet, aggressiv, exzentrisch, verbringt große Teile der Show im Publikum, das Mikro hat sie dabei auf der Bühne gelassen. Ihre bloße Präsenz in der Mitte bringt die Menschen im Moshpit zum Tanzen, Twerken und Ausflippen, sie stürmen auf die Bühne, umarmen einander, mitten auf der Tanzfläche rollt sich ein Performer-Paar in enger Umarmung über den Boden. Es ist die endgültige Auflösung der Gegensätze KünstlerIn und Zusehende, ein Einswerden in der Kunst. Re-defining arts.

Mykki Blanco

David Visnjic