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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

30. 4. 2014 - 17:40

Greenpoint GIRL(s)

New York State Of Mind. Eine lose FM4-Homebase-Serie über NYC-Persönlichkeiten. Dieses Mal mit Caroline Polachek, die mit Chairlift Indiehausen aufmischt, als Ramona Lisa Elektronik ins Mittelalter überführt und Musik für Beyoncé schreibt.

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(ab 21:05 Uhr)

FM4 New York State of Mind

    Ich treffe Caroline Polachek im Office des Bella Union-Labels in Greenpoint. Es befindet sich in einem dieser riesigen Warehouses, die noch bis vor wenigen Jahren die Waterfront am East River als Heimat der Schwerindustrie, der Schifffahrt und des Handels ausgewiesen haben. Ihr kennt die nördlichste Hood Brooklyns vermutlich aus der HBO-Serie GIRLS. Die industrielle Vergangenheit Greenpoints macht sich dort ebensowenig bemerkbar wie die Gentrifizierung der Gegenwart. Die hässlichen, aber natürlich romantisch gruseligen Backsteinruinen des 19. Jahrhunderts weichen hässlichen, total unromatisch-gruseligen Luxuswohnsilos, die derzeit besonders zahlreich von chinesischen Geschäftsleuten erworben werden, die dann gar nicht da wohnen. Oder man macht einfach ein paar Offices rein.

    Caroline Polachek, Chairlift, Ramona Lisa

    Christian Lehner

    Weitere New York State Of Mind Folgen u.a. mit David Byrne, Justin Vivian Bond, Occupy Wall Street, Chris Taylor, Daptone Records und Laurie Anderson unter fm4.orf.at/nysom

    In GIRLS ebenfalls abwesend ist die polnische Community, die Greenpoint jahrzehntelang kulturell prägte und die sich auch nicht anschickt, dem Druck der jüngeren Immigrationswellen zu weichen. Noch besteht ein symbiotisches Verhältnis zwischen lokalen Vermietern und internationalen Neuanwohnern, Perogi-Wirtshäusern mit Bildern von Papst Johannes Paul II und der Neo-Vintage-Küche irgendeines Bartträgers im Karohemd, den zahlreichen Vodka-pur-Leichen in den U-Bahnstationen und dem McCarren Park und den Vodka-Raspberry-Bedödelten ebendort.

    Caroline Polachek, Chairlift, Ramona Lisa

    Christian Lehner

    Der Buzz hält nun bereits seit einigen Jahren an. Erst vor einer Woche wurde Greenpoint von einer College-Studie wieder einmal zum besten Ort für Millennials in Amerika erkoren. „Das bedeutet, dass wir eine sehr konservative Generation sind, denn Greenpoint ist eigentlich wie Suburbia – eine gemütliche und nette Vorstadt.“ Caroline Polachek, die seit drei Jahren im Viertel lebt, weiß nicht so recht, ob der Befund etwas beruhigends oder tragisches hat. Wie alles in den nächsten 30 Minuten lässt sie das Thema aber bald in die Vergangenheit triften, um sich eloquent in die Zukunft zu hanteln. Für sie, die Tonkünstlerin, die wie kaum eine andere selbstsicher zwischen den verschiedenen Welten des zeitgenössischen Popmachens hin- und hertänzelt, gelten die in GIRLS verhandelten Problemstellungen ohnehin nicht. Oder sagen wir mal kaum.

    Caroline Polachek, Chairlift, Ramona Lisa

    Christian Lehner

    Polachek ist eine Künstler-Künstlerin. Eine, die ihre Berufung nie in Frage stellt; eine Ästhetin, für die Popmusik keine juvinale Durchlaufstation ist, sondern die Leinwand schlechthin. Als sie 2005 mit dem ehemaligen Partner Aaron Pfenning auf der Kunsthochschule in Colorado die Urformation von Chairlift gründete, befassten sich die beiden zunächst mit dem Konzept der Hauntology. Damals war das noch ein Begriff der Philosophie Jacques Derridas und kein musikalischer Nischenhype.

    Auf den folgenden Chairlift Alben beschäftigte sich die durch Patrick Wimberly verstärkte Band mit den glatten Oberflächen von Synth-Pop, die Polachek mit der künstlerischen Integrität einer Kate Bush polierte. Apple lizensierte 2009 das Stück Bruises für einen iSpot, das noch heute Schecks ins Haus flattern lässt. Das dieser Tage erscheinende Solodebüt unter dem Pseudonym Ramona Lisa wiederum ist eine mit dem Laptop in Hotelzimmern aufgenommene Mixtur aus Computerspiel-Ästhetik und mittelalterlicher Harmonielehre, die der geneigten Höhrerschaft viel Ruhe und etwas Geduld abnötigt.

    Aber es geht auch für die Oberliga des US-Pop. In den Liner Notes des letztjährigen Beyoncé Albums taucht Polachek als einzige weibliche Produzentin und Songschreiberin auf. Der Song No Angel zählt zu einem der besten des ganzen Albums. Wie sie zu diesem Job gekommen ist, wie die Zusammenarbeit mit dem Superstar funktioniert hat, wie Polachek zwischen Tokio, Brüssel und Connecticut aufgewachsen ist und warum New York „die ersten drei Monate die aufregendste, die nächsten drei dann die beschissenste Stadt überhaupt ist“, das erzählt uns Caroline in dieser Ausgabe von New York State Of Mind.