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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

30. 4. 2014 - 14:01

Ich bin ein Faulenzer

Doch alles änderte sich, als M. in mein Leben trat.

Mit Akzent

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"Du bist ein Faulenzer!", sagt man mir seit frühem Kindesalter. Ich bin an diesen Satz schon so gewöhnt, dass ich es nicht mehr bemerke. Und er stimmt - ich bin ein Faulenzer. Ähnlich wie der Protagonist im Beatles-Song "The Fool on the Hill" bevorzuge ich zu beobachten, wie sich die Welt um mich herum dreht. So passieren die Sachen von selber. Oder sie passieren nicht. Das hat in mir ein besonderes Gefühl des stoischen Betrachtens entwickelt. Ich beobachte durch das Fenster all diese Menschen in Sportkleidung, die im Park herumrennen. Ich habe nie wirklich verstanden, was einen Menschen dazu bewegen kann, im nebligen Morgen aufzustehen, um im Park zu joggen. Eigentlich stehe ich meistens zu Mittag auf und sehe selten die Jogger, die im Dunklen im Park rennen. Aber ich weiß, dass sie da sind und bemitleide sie von ganzen Herzen. Das warme Bett ist immer zu bevorzugen.

Füße im Bett

CC BY-SA 2.0, flickr.com, User: dev null

Das einzige, was mich aus dem warmen Bett herausziehen kann, ist die warme Suppe. Es muss ja nicht unbedingt Suppe sein, aber auf jeden Fall das warme Essen. Wenn ich mich an den Tisch setze, steht die Zeit still. Nichts ist anziehender für mich als kochende Knödel, die knusprige Stelze oder der Geruch der warmen Schokolade. Im Unterschied zum Faulenzen erfordert das Essen eine gewisse Mühe, aber ich bin bereit mich zu opfern. Leider ist mir schon passiert, dass mein Kühlschrank für eine Woche leer geblieben ist. Völlige Leere! Ich öffne die Tür und erwarte, dass ein bisschen vom Käse noch da ist… Nein, kein Käse. Nur eine Packung Speisetopfen, aber ich habe schon längst alles herausgekratzt. Ich habe die Verpackung nicht weggeworfen, weil ich ein Faulenzer bin. Das Messer liegt auch seit zwei Wochen ungewaschen im Waschbecken.

Seit einigen Tagen wohnt meine liebe M. bei mir. Sie wusch das Messer. Danach warf sie die leere Speisetopfen-Packung aus dem Kühlschrank weg. Sie machte das Bett, wo ich meine Tage verbringe. Sie hängte Bilder an die Wände. Sie legte meine Hemden zusammen. So erfuhr ich, wie viele Hemden ich eigentlich besitze. Wenn man mich fragt, ist das erste Merkmal, dass irgendwo eine Frau lebt, dass die Kleider sorgfältig im Schrank liegen. Das mag nicht besonders romantisch sein, aber es ist die Wahrheit. Ich hasse es mit Hemden zu kämpfen. Sie springen aus der Garderobe heraus und erobern langsam das Zimmer. Jetzt ist aber die Lage unter Kontrolle und die Hemden haben sich beruhigt.

Am zweiten Tag nach der Ankunft von M. brachte sie mich dazu mir ein Fahrrad zu kaufen. Sie ist eine leidenschaftliche Radfahrerin im Gegensatz zu mir. Sie ist eine echte Zentaurin. Ich gehe meistens zu Fuß, da ich Angst habe, dass ich in den Donaukanal fallen oder eine nette Oma mit einem rosa Hut überfahren werde. Aber M. fand einen Weg meine Angst zu überwinden. Ich fahre ihr nach und schaue, wie sie auf die Pedale tritt. Sie ist die Königin im Straßenverkehr und wird nie einen Unfall verursachen. Außerdem ist es schön, sie von hinten beim Radfahren zu beobachten.

Jogging im Park

CC BY 2.0, flickr.com, User: nadineheidrich

Am dritten Tag weckte mich M. um sechs Uhr früh. Ich konnte gar nicht begreifen, was gerade passiert. Sie wackelte vor meinen Augen mit einer Jogginghose. Nach zehn Minuten fand ich mich rennend im Park. Ich betrachtete die Fenster der Häuser mit Nostalgie und stellte mir ihre schlafenden Bewohner vor.

Zu Mittag, nachdem mein Muskelkater ein wenig nachgelassen hat, wollte ich mir was zum Essen vom Türken nebenan holen. M. kam mit mir mit. Ich betrat die Bude - völlig sicher, dass ich mir zehn Köfte kaufen werde. Ich kam raus mit einem Bulgursalat.

Ich versuche sie zu verführen, indem ich erzähle, wie lecker ich kochen kann und stelle mir Chilli con Carne oder mindestens Kuttelflecksuppe vor. M. lächelt mich lieb an und ich sehe mich eine Spinatsuppe kochen.

Am Abend hat M. das volle Programm vorbereitet, bestehend aus einem Besuch zweier Galerien (natürlich in zwei entgegengesetzten Stadtwinkeln) und ein Undergroundtheater, dessen Vorstellung ganz interaktiv ist und bei dem das Publikum mit Bällen jonglieren soll. Als ich danach mit dem Fahrrad meine kleine Wohnung erreiche, habe ich nicht mal Kraft den Bulgursalat zu kosten. Ich lege mich schnell schlafen, da ich morgen um sechs wieder joggen gehen werde.

M. nennt mich nicht Faulenzer. Ich habe meine Identität verloren.