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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

28. 4. 2014 - 13:20

Ausgerechnet Bad Ischl

Clayton Patterson, der „letzte Bohemian“ der Lower East Side, hat genug von der Gentrification New Yorks und wandert ins schöne Salzkammergut aus.

Die Große Verburgerung

Clayton Pattersons New-York-Dilemma zeigt sich bei der Eröffnung seiner vorerst letzten NYC-Show. Es regnet in Strömen. Die Menschenschlange vor der Galerie im hippen Meatpacking District von Chelsea zieht sich um den Block. New Yorks Kunstszene ist gekommen, um ihren letzten Bohemian (New York Times) Farewell zu sagen. Jeffrey Deitch ist da. Die russische Mutter der blutjungen Pop-Up-Galeristin auch. Dort ein Journalist des New Yorker. Alles drängt zur Gästeliste. Die gewöhnlichen Veteranen der Hardcore- und Kleinkunstszene müssen hingegen im Regen ausharren. „Clayton would not approve of this!“, empört sich eine sichtlich gedopte Lederjacke bei den Stilettos mit der Gästeliste. Eine Stunde später stehen dann alle einträchtig beisammen, stoßen miteinander an und tauschen Anekdoten aus. Auch das ist New York.

Die Hütte brummt. Clayton Patterson ist gerührt aber gefasst. Er schüttelt Hände. Seine Goldzähne glänzen. Die hintersinnig „The $16 Burger Show“ genannte Ausstellung im „Dead Meat District“ (Patterson) ist ein finaler Gruß an die Stadt. Zu sehen sind Lower East Side-Fotos, bunt bemalte Baseball-Kappen und Bilder seiner langjährigen Lebens- und Schaffenspartnerin Elsa Rensaa. Mit einem spiegelverkehrten Google-Schriftzug aus Neonröhren wird der neue Platzhirsch, der gegenüber der Galerie seine NYC-Headquarters aufgeschlagen hat, auf verquere Weise gegrüßt.

Eine Woche später stehen wir an der Ecke Stanton and Ludlow im Herzen der Lower East Side. Clayton wirkt mit seinem Wikingerbart, der Totenkopfkappe und den Goldzähnen wie ein Fremdkörper inmitten der Touristengruppen, die mit Reiseführern in der Hand wohl nach etwas grindiger Restauthentizität suchen. Als sich Patterson 1979 von Kanada aus kommend hier niedergelassen hat, war er inmitten der Punks, Drag Queens und Neighborhood-Freaks noch kein Außenseiter.

„Diese Ecke hier wurde von einer Dealer-Gang namens 'Hellraiser' beherrscht“, erklärt Patterson. „Es war auch gleichzeitig der Name ihrer Heroin-Sorte. Natürlich steckten die Jungs mit den Cops unter einer Decke. In der Lower East Side blühte der Kleinkapitalismus“. Clayton dreht sich mit einer fahrenden Handbewegung um, als wolle er die Großbaustelle, die sich hinter uns befindet, wegwischen. „Natürlich war das damals gefährlich. Aber man konnte diese Gefahr zumindest sehen und somit einschätzen. Ein doppeltes Schloss vor der Bude, ein paar einfache Verhaltensregeln und man war safe“.

New New York

Die neue Gefahr ist schwer auszumachen. Sie versteckt sich hinter glänzenden Fassaden. Es ist kein Geheimnis, New York hat sich verändert. Das, was man heute Gentrification nennt, war zwar immer schon der Motor der Stadt. Doch die Qualität und Rasanz, mit der dieser Wandel vonstatten geht, sind neu.

New York war immer stolz auf seine small businesses - vom Pizzabäcker an der Ecke über die zahlreichen Mom And Pop Stores, die das Stadtbild unterhalb der Wolkenkratzerkulisse prägten, bis hin zum poshen Architekturbüro. Corporate America hatte es schwer, einen Fuß in die Stadt zu setzen. So bemüht sich der Retail-Riese Wallmart bis heute vergeblich um einen Standort in NYC. „Unter Bloomberg hat sich das allerdings geändert“, verweist Clayton auf den letzten, von ihm nicht gerade geliebten Bürgermeister und Geschäftsmann. Tatsächlich konnte man in den 12 Bloomberg-Jahren die flächendeckende Ausbreitung von Fastfood und Supermarktketten, Bankfilialen und Hotels beobachten. „Mit Corporate America ist der Mietwucher gekommen“, benennt Patterson das eigentliche Problem der Gentrification New Yorks. „Der Tattoo-Shop an der Ecke, das Diner, die Wäscherei, der Gitarren-Laden, die müssen jetzt alle dichtmachen oder wegziehen, weil sie da nicht mehr mithalten können“, sagt Patterson, bevor wir in sein Studio an die Essex Street gehen. „Und ich kann und will das auch nicht mehr.“

Der Schatz der Subkulturen

Ein psychedelisches Totenkopfgemälde an der Tür macht klar, wer hier wohnt. Patterson hat in frühen Tagen ein Haus an der Essex Street gekauft und zu einer Art Museum plus Archiv und Studio umfunktioniert. Den heute 65jährigen als bunten Hund zu bezeichnen, ist angesichts seiner zahllosen Betätigungsfelder eine schamlose Untertreibung.

Der ehemalige Kunstlehrer einer Provinz-Highschool in Kanada hat sich zunächst an Skulpturen versucht, dann gemalt und schließlich zu fotografieren und schreiben begonnen. Patterson hat die Hardcore-Szene von Downtown Manhattan dokumentiert, sich als Filmer der Tompkins Square Park Riots von 1988 auch jenseits der einschlägigen Szenen einen Namen gemacht, Anthologien über die jüdische Kultur der Lower East Side veröffentlicht, Baseball-Kappen-Kollektionen designt, die Tattoo Society of New York gegründet und 1997 bewirkt, dass die Hautstecherkunst in der Stadt wieder legales Handwerk wird. Und er hatte in diesen 35 Jahren immer und überall den Finger am Auslöser einer Kamera. Insgesamt 750.000 Fotos und mehrere Kilometer Filmmaterial soll sein Archiv umfassen. Es ist ein wahrer Schatz der Subkulturen, den Patterson unbedingt erhalten wissen will.

Wenn sich Clayton in ein Thema festgebissen hat, dann geht das Licht aus und ein Film beginnt zu laufen. Es sind epische Führungen durch Raum und Zeit. Fantastische Chronologien, politische Abhandlungen, topographische Erläuterungen, Haken schlagende Exkurse über die ausbeuterische Preispolitik der New Yorker Verkehrsbetriebe MTA und das kulinarische Erbe der Lower East Side.

„Das Viertel war die Vereinten Nationen der Kulturen und Ethnien: Iren, Latinos, Chinesen! Mittendrin die Ramones, Jim Jarmush oder John Zorn. Und dann stellt sich heraus, dass Ginsberg dein Nachbar ist. Ich habe so viel gelernt in diesen Jahren. Es war unglaublich - ein riesen Wespennest. Und all die großartigen Menschen, die ich kennenlernen durfte, haben es zum Brummen gebracht.“

Ausgerechnet Bad Ischl

Und jetzt das Salzkammergut. Man denkt bei diesem Quantensprung an TV-Serien wie „Ausgerechnet Alaska“ oder „Lilyhammer“. Und Claytons Vorstellungen von seiner neuen Heimat entsprechen durchaus den gängigen Projektionen (the food, the nature, the tranquility!). Warum ihn das kulturell auch nicht immer wärmste Klima der Gegend (Anm. der Autor stammt aus dem Salzkammergut ...) dennoch nicht von seinem Ischl-High runterholen wird, liegt an der persönlichen Erfahrung mit Austria und an den vielen Freundschaften, die Patterson mittlerweile in Österreich geschlossen hat. Seit 1995 kommt er regelmäßig ins Land und mischt in der hiesigen Szene rund um die Macher der Wildstyle & Tattoo-Messe mit. Im Sommer wird Patterson bei einem Literatur-Festival im Salzburger Land mitwirken. Und der passionierte Dokumentarist träumt von einem Underground-Film-Festival im ehemaligen Theater des Kaisers in Ischl. Um bloß seinen Bart zu zwirbeln, wird er den Sprung über den Atlantik nicht machen.

„Vielleicht übersiedle ich auch mein Archiv. Ich möchte jedenfalls einen Austausch der Kulturen anregen und meiner neuen Heimat etwas geben.“ Dass sich Land und Leute nicht immer von der tolerantesten Seite zeigen, ist dem Chronisten des New Yorker Undergrounds mittlerweile auch schon klar. Ein Hinderungsgrund für den Umzug ist es freilich nicht. „Ich habe so viele großartige Menschen kennengelernt über die Jahre und sie werden in dem, was sie tun, immer besser. Österreich hat großartige Künstler hervorgebracht. Irgendwas ist da bei euch im Wasser.“

Bevor ich mich verabschiede, schießen wir noch ein paar Fotos vor Claytons Haus. Südlich von uns dräuen im Hintergrund die neuen Luxushotels. Nördlich, an der Houston Street, wacht die berühmt-berüchtigte Lenin-Statue, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ihren Weg von Moskau nach New York gefunden hat, auf dem Dach eines Mietkomplex namens Red Square über das East Village. Bekannte aus der Neighborhood bleiben stehen und schütteln Clayton die Hand. Es hat sich herumgesprochen, dass der Stadtchronist die Stadt verlässt.

Falls ihr also im Salzkammergut demnächst einem Mann mit Wikingerbart, Totenkopfkäppi und goldenen Zähnen begegnen solltet, seid gut zu ihm, zeigt ihm die Gegend und erzählt ihm was von euch. Und fragt ihn, warum Bürgermeister Ed Koch Charakter hatte und Bürgermeister Bloomberg nicht. Und warum die Polizeireform unter Dinkins für den Wandel New Yorks entscheidender war als die Zero-Tolerance-Policy von Giuliani. Der ehemaliger Kaiser der Lower East Side wird es euch danken. Er wird eure Fragen beantworten und möglicherweise ein Foto schießen. Vielleicht tätowiert er euch auch ein Herzerl auf den Oberschenkel.