Erstellt am: 29. 4. 2014 - 11:19 Uhr
Crossing Europe, bis nach China
Crossing Europe
Das Filmfestival für zeitgenössisches und europäisches Kino, vom 25. bis zum 30. April 2014 in Linz.
Die Sitznachbarin zieht sich den Pullover am Kragen hoch bis über die Augen, der eigene Oberkörper spannt sich an. Beim Crossing Europe Filmfestival in Linz kommt Bedrängnis auf der Leinwand auf und im Publikum wird Beklemmung für kurze Momente zum kollektiven Zustand. Derart abgrundtief, so traurig, so unpackbar in your face kann das europäische Gegenwartskino sein, das noch bis inklusive Mittwoch in Linz gezeigt wird.
Liebe darf aber auch sein. Heftige Liebe, das versteht sich von selbst. Was man von Liebesfilmen über langjährige Paarbeziehungen in den Kammerspielen "Exhibition" der britischen Regisseurin Joanna Hogg oder "Long Distance" des spanischen Regisseurs Carlos Marques-Marcet lernen kann: Die Bedrohung für die Beziehung sind nicht Dritte, sondern die Partner selbst. Diese Dynamik zu ergründen, könnte Erkenntnisse bringen. Dem Publikum aber geht das Herz bei Liebesfilmen auf, die am Beginn einsetzen, also erstmal zwei Menschen aufeinander clashen lassen. So richtig schön und richtig macht das Regisseur Jakob Lass mit "Love Steaks".
Jakob Lass
Die deutsche Komödie hat dieses Jahr den Max Ophüls Preis gewonnen und wurde mit lautem Lachen vom "Crossing Europe"-Publikum aufgenommen. Ab der Hälfte der Laufzeit wird die Komödie zu einer ernsthaften Auseinandersetzung. Realisiert laut Regisseur ohne einzigen festgeschrieben Dialog und zu zehnt im Filmteam in einem Kurhotel, ist "Love Steaks" die Liebesgeschichte einer überdrehten jungen Küchenangestellten und dem neuen Mitarbeiter im Spa-Bereich. Er tapst slapstickartig durch den Dienstort, sie kippt flachmannweise Alkohol. Rührend und zugleich zwerchfallstechend-komisch sind die Versuche, mit Energiearbeit ein gravierendes Problem zu lösen. Die Hauptdarstellerin heißt Lana Cooper, das fand Jakob Lass schon super, bevor er sie spielen sah. Franz Rogowski ist eigentlich Tänzer. "Love Steaks" ist mitreißend, es geht Schlag auf Schlag, Liebe und Hiebe und wackelnde Ananasse in einem Kofferraum. Um nur eins der schönen Bilder zu zitieren. Kinostart in Österreich ist 23. Mai.
Jakob Lass
Wie bei "Exhibition" stand für "Love Steaks" zuerst der Schauplatz fest. Gebäude sind hiermit auch die beste Überleitung zu einem anderen Kontinent: China, oder präziser: der Blick europäischer Filmemacherinnen auf China, wühlt einen beim Crossing Europe Filmfestival richtig auf. Doch erst noch auf einer Hollywoodschaukel kurz Frischluft atmen, bevor es wieder in einen Kinosaal geht.
Radio FM4
Keine Dystopie, keine Sci-Fi, sondern eine chinesische Stadt
"Wenn ein ganzer Ort heimlich kopiert werden kann, was ist dann noch alles möglich?!", wirft eine Hotelbesitzerin empört als Frage auf. Sie sitzt auf einem Steg am Hallstättersee, der in der Sonne glitzert. In der Lobby des Hotels ist 2005 eine Chinesin gesessen und hat gearbeitet, vor ihr die Pläne von Hallstatt. Fotografien von Giebeln, Balkonen, Fenster, der Brunnen von Clemens Holzmeister.
Die Meldung, dass die Chinesen Hallstatt eins zu eins kopieren, ging um die Welt. Im Sommer 2012 wurde das Hallstatt made in China eröffnet, der Hallstätter Bürgermeister war mit dem Salinen Quintett angereist. Beide "Hallstatts" hätten von diesem, für ahnungslose EuropäerInnen bizarr anmutenden Projekt profitiert, erklärt Ella Raidel.
Die gebürtige Gmundnerin Ella Raidel hat sich für ihre Doku "Double Happiness" im Süden Chinas angeschaut, wie es um das chinesische Hallstatt steht: Erbaut als Wohnanlage für Reiche, beschallt klassische Musik die Gebäude, die als Kulisse für Werbeaufnahmen für etwa Hochzeitsreisen dienen. Noch wohnt niemand in dem "Ort", für den auch ein künstlicher See aus dem Boden gestampft wurde.
Ella Raidel
Ella Raidels Film reicht jedoch über den Anlassfall hinaus, wird zur Frage nach Urbanisierung und Bedürfnissen von Menschen im 21. Jahrhundert. Die nächtlichen Aufnahmen der Stadt Shenzhen wirken wie eine Dystopie. Das muss man gesehen haben. Dringend braucht man eine Landkarte von China zur Hand. Diese Bilder will man erst einmal verorten!
Shenzhen ist eine freie Wirtschaftszone. Vor dreißig Jahren war es ein Fischerdörfchen. Die Stadtplaner kamen dem Bevölkerungswachstum kaum hinterher, erst für vier Millionen Menschen, dann für acht Millionen Menschen erweitert, leben heute mehr als zehn Millionen Menschen in einer Stadt, die sich täglich verändert und weiter wächst.
Zu Besuch bei Ma Yansong 2006, Lecture des 38Jährigen vergangenen Winter in Bregenz. Mit der Hallstatt-Kopie hat er nichts am Hut, im Westen liebt man seine Entwürfe.
Der junge chinesische Architekt, Ma Yansong vom Studio MAD, spricht in fließendem Englisch Kartext: Was, wenn eine ganze Zivilisation kopiert würde? "Double Happiness" steht in China für glückliche Vermählungen. Ella Raidel zeigt Chinesen, die um eine Identität ringen und den Begriff Heimat nicht kennen. Während man als ZuschauerIn versucht, die Stockwerke der Wolkenkratzer zu zählen, fischen im Fluss neben den Skyscrapern ein Vater und ein Töchterchen Grünzeug mit geflochtenen Körben.
Die Volksrepublik China setzt seit Ende der 1970er Jahre auf internationale Wirtschaftsverflechtung. Als China sich zum Westen, hin zu einem Kapitalismus, zu öffnen begann, orientierten sich reiche ChinesInnen an Europa. Erbauten sich Herrschaftssitze in europäischen Baustilen, legten französische Gärten an, stellten Reiterstatuen auf, auch Jesus und seine Jünger aus Stein gemeißelt. Wie im weitläufigen Firmenareal des Geschäftsmanns Zhang Yue. Als erster Chinese besaß er einen Privatjet. Den hat er mittlerweile wieder verkauft, und er will auch sein Anwesen nur filmen lassen, wenn die junge finnische Filmemacherin Anna-Karin Grönroos in ihrer Doku "Ecopolis China" erwähnt, dass der Palast aus einer Zeit der neureichen Protzerei stammt. Zhang Yue hat seine Einstellung geändert, behauptet er: Wenn nicht die reichsten Chinesen aufwachen, hätten die Mittelschicht und die Armen keine Chance mehr. Jetzt interessiert er sich für Ökologie.
Crossing Europe
"Ecopolis China" berichtet von gigantischen Planungsvorhaben: Zhang Yue arbeitet an der "Sky City" mit 838 geplanten Metern Höhe und daran, in diesem Skyscraper eine ganze Stadt unterzubringen - "bis auf ein Krematorium" werde alles vorhanden sein. Das Dienst- und Putzpersonal unten, Mittelschicht in den höheren Stockwerken, darüber ein Hotel. Indes will der finnische Ingenieur und Grün-Aktivist Eero Paloheimo in China ökologisch nachhaltige Städte realisieren. Auf seinem Heimatkontinent ist Paloheimo mit der Verwirklichung seiner Ideen gescheitert. Demokratie sei eine zu langsame Methode in Krisenzeiten, sagt er wortwörtlich, voll Hoffnung, im Ein-Parteien-Staat schneller energieautarke Öko-Städte tatsächlich umzusetzen.
Crossing Europe
Doch während für Zhangs "Sky City" ein 30-Stockwerke umfassendes Test-Hotel in fünfzehn Tagen erbaut wird, kommt Paloheimo nicht an jene Männer heran, die politisch das Sagen haben. Noch gackern die Hühner, hängt mit der Hand gewaschene Wäsche in einem Dorf, fünfzig Kilometer entfernt von Peking, das zur Öko-Stadt für 20.000 Menschen werden sollte. Europäische Dimensionen, denkt man, nachdem man "China Reverse" angeschaut hat, das Doku-Regiedebüt von Judith Benedikt.
Darin lässt sich unter anderem der Gründer einer Asia-Restaurant-Kette in Wien bei einer Geschäftsreise in sein Geburtsland über die Schulter schauen. Seine Tochter wird in den USA studieren. Er selbst bräuchte chinesische Arbeitskräfte, doch Österreich hat die Arbeitsbestimmungen verändert. Nun eröffnet der tüchtige Geschäftsmann Coffeeshops in China, plant weitere Filialen für Stadtteile, die erst als Modell bestehen. "Rund um das kleine Dorf entstehen 55 Universitäten". Der Begriff "Dorf" ist in China augenscheinlich binnen weniger Jahre sehr dehnbar.
Judith Benedikt / filmdelights
China Reverse porträtiert ChinesInnen in Österreich. Sehr persönlich erzählen sie von ihrem Leben hierzulande. Sehr viele von ihnen kommen aus der Region Qingtian. Ausgewandert in den Achtziger Jahren, wollten sie sich Wohlstand und Bildung für ihre Kinder erarbeiten. Die zurückgebliebenen Verwandten wären auf die MigrantInnen angewiesen. "Ich bin durch dich gut interregiert oder wie sagt man?", erklärt eine gebürtige Chinesin gegenüber der Regisseurin und ihrer Nachbarin, einer älteren Dame.
ChinesInnen hätten es nicht leicht hierzulande, stimmt ein Frisör seinem Kunden zu, der klagt, dass ihm in Österreich viel schneller weiße Haare wachsen als in China. Manchmal war eine Familie in Europa in ihren Anfangsjahren verteilt auf unterschiedliche Länder. Arbeit findet die MigrantInnengruppe in erster Linie in der Gastronomie, das bedeutet: keinen freien Tag in der Woche und das eigene Kind sitzt am ersten Tisch im China-Restaurant, wie sich eine Wiener Chinesin erinnert. "Das Leben geht so schnell weg. In Österreich schaut man, das Leben hat einen Sinn. Wir arbeiten, wir müssen auch leben", sagt sie heute. Als sich ein Chinese angesichts des Schloss Schönbrunn zu einem Kollegen äußert, dass selbst die kunstvollsten Gebäude in Europa es mit der Verbotenen Stadt nicht aufnehmen könnten, ist man als Österreicherin nicht beleidigt, sondern erleichtert. Jahrtausende Kulturgeschichte in China können doch nicht so leicht verloren gehen im Gedächtnis.
Judith Benedikt
Gute Nacht mit Dario Argentos Dracula in 3D
"Man weiß ja, dass man in die Nachtsicht gehen sollte!" Bereits am Frühstückstisch ist die Programmschiene "Nachtsicht", kuratiert von Markus Keuschnigg, Thema. Vormittags laufen stets die Filme der vergangenen Nacht zu mehr als christlicher Uhrzeit. Fantastischer Film unterhält spätnachts aber noch mehr.
Radio FM4
Schreckliche Schönheiten - Christian Fuchs freut sich auf das /slash einhalb Festival: 1. bis 3. Mai im Filmcasino in Wien. Dario Argento wird von Linz nach Wien weiterreisen.
Gestern Nacht jubelte das Publikum bereits zu Beginn: Mit "Bravo!"-Rufen wurde Dario Argento in Linz begrüßt. Fans verwies FM4-Filmredakteur und "Nachtsicht"-Kurator und /slash-Festivaldirektor Markus Keuschnigg gleich auf eine Autogrammstunde bei Tageslicht. Der "Chef-Fantast des italienischen Kinos" Argento winkte freudig. 3D-Brillen auf und zwei Stunden Dracula ab. Mit einem nächtlichen Anflug zu Beginn, einer eigentlich recht niedlichen Eule und Thomas Kretschmann als Dracula. Asia Argento ist mit von der Partie. Auch kann man einen schönen Rhythmus für Augen-Zukneifen und Wieder-Hinschauen entwickeln. Das hält zudem wach.