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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

26. 4. 2014 - 13:58

Sind wir schon im Club?

Solide bis sehr, sehr gut: Der erste Tag des Donaufestivals Krems mit Oneohtrix Point Never, Jon Hopkins, Mouse on Mars und mehr.

Donaufestival

Vom 25. April bis zum 3. Mai in Krems.

Alte Glückskeksphilosophie: Ob irgendetwas E-Musik ist oder U, erkennt man an der Bestuhlungs-Situation am Aufführungsort. Und nicht einmal darauf kann man sich mehr verlassen. An diesen Kategorien sollen sich die Buchhalter und die Verwertungsgesellschaften abarbeiten. Das Donaufestival weiß das alles ohnehin seit fast immer schon. Ob man sich hier im Club, auf einer Freak-Folk-Hochzeit, im Zentrum eines niemals enden wollenden Donnerhalls oder eventuell gar in einer tatsächlichen Kirche befindet, ist nicht immer klar auszumachen.

Roly Porter

David Visnjic

Roly Porter
Ebe Oke

David Visnjic

Ebe Oke

So brachte auch der Eröffnungstag des Festivals in Krems wie jedes Jahr wieder ein abenteuerliches und forderndes Programm. Mancherlei Programmpunkte waren anstrengend. So soll es sein. Der aus Bristol stammende Produzent Roly Porter hat in früheren Jahren Drum'n'Bass der schon sinistren Machart produziert, mittlerweile gibt er dem schwärzesten Schwarz aller bekannten Schwarztöne eine akustische Begleitung: Zähflüssiges Brummen und Dröhnen aus den Laptops, heilige, gute Monotonie. Viel zu sehen war nicht. Om.

Der US-amerikanische Musiker und Sounddesigner Ebe Oke konnte danach das Publikum mit einer immerhin bislang in der Geschichtsschreibung kaum dokumentierten Versuchsanordnung aus zerbrechlich-entrücktem Kammerpop am Klavier, kleinem Streichersemble, meditativem Spoken Word und Verschwörungsgesten das Publikum in Zustände wie Bewunderung, Verzauberung, Verwunderung, Schlaftrunkenheit, hypnotische Verwirrung oder Langeweile versetzen.

John Hopkins

David Visnjic

Jon Hopkins
John Hopkins

David Visnjic

Dann durfte getanzt werden. Und es wurde. Und zwar schon gut vor Mitternacht; ein Umstand, von dem in einer vibrierenden Metropole leider noch nie gehört wurde. Der englische Musiker und Produzent Jon Hopkins war im Stadtsaal beim durchaus energetischen Schrauben an seinen Geräten zu beobachten. Dass der gute Mann beispielsweise schon mit und für Brian Eno und Coldplay hochsensible Klangwolken entworfen hat, war nur in wenigen Momenten zu erahnen. Vielmehr gab es gut polternden Rave mit Trance-Einsprengseln, zuckrigen Melodien und harmonischen Erlösungen.

Wäre der hochgezüchtete Schaumrollen-Synthie-Pop von M83 etwas mehr Techno und seiner Vocals beraubt - so könnte er klingen. Oder man hört sich an, was Menschen wie James Holden oder Nathan Fake anno 2007 beim englischen Label Border Community so gemacht haben, um herauszufinden, wo Jon Hopkins noch nicht ganz angekommen ist. Dancefloor, hurra, Avantgarde, naja.

Oneohtrix Point Never

David Visnjic

Oneohtrix Point Never

Daniel Lopatin hingegen konnte danach wieder einmal zeigen warum er mit seinem Projekt Oneohtrix Point Never einer der zur Zeit am heißesten gehandelten Produzenten von elektronischer Musik jenseits von Skrillex und Ballermanm-"Elektro" ist. Zunächst war der Auftritt Oneothrix Point Never "interessant": Schleimige, glitschige Sounds, wie aus Videospielen aus den 80ern, aus Elevator-Muzak, Werbejingles und Mobiltelefon-Apps herausgezogen, Signifier der Chillwave, weich fließender Samt aus R'n'B und Softrock.

In der zweiten Hälfte seines Sets würfelte Lopatin jedoch Muster und bekannte Dramaturgien eines "Konzerts" ein wenig durcheinander - ohne jedoch bloß stumpf "verstören" zu wollen. Honigfarbene Ambient-Themen, die für gewöhnlich als Intro herhalten dürfen, wurden angeteast, ein selig machender Arpeggio-Wahnsinn wurde in höchste Sphären geschraubt und so das Publikum in Wonne getaucht. Mit einem harten Schnitt am Siedepunkt der Seligkeit beendete Lopatin die Synthesizer-Euphorie abrupt. Entsetzten, Aufatmen, grandioses Finale. Dann kam aber noch ein Lied. Ein ganz anderes, großartiges. Kleine Griffe ins Unerwartete sorgen für Entzücken.

Mouse on Mars

David Visnjic

Mouse on Mars

Das Beste aber waren und sind Mouse on Mars. Seit 21 Jahren schneiden Andi Thoma und Jan St. Werner aus den Archiven der Musikgeschichte herausgelöste Signale zu wilden und oft haarsträubenden Collagen aneinander. Das ist immer sehr schlau gemacht, hat jedoch nie den Gestus des Schlaumeierischen, ist beflissen und ausgeklügelt gebaut, hat aber immer auch die Aura des Naiven und Ruppigen. Ein hyperaktives Kleinkind bekommt den ganz großen Chemiebaukasten geschenkt.

Lange ist die Musik von Mouse on Mars als Material für Auskenner rezipiert worden, nicht zu Unrecht, als ausgetüftelte Ineinanderverschraubung von elektronischem Krautrock, Dub, Bleeps und Clonks und vereinzelten, davor freilich mehrfach sorgsam geprüften Essenzen aus den tiefen Quellen von Jungle und Drum'n' Bass. Mittlerweile muss man sich derlei Musik nicht vornehmlich in der Galerie, in akademischen Kontexten oder im Salon der Connaisseure anhören, sondern kann schlicht in den Club gehen.

Mouse on Mars

David Visnjic

Mouse on Mars haben sich in den letzten Jahren dem Club angenähert, der Club hat sich auch Mouse on Mars angenähert. Bei allem Gezetere über Gähn-Themen wie EDM und gelangweilte Superstar-DJs soll man nicht vergessen, dass in jüngerer Vergangenheit auf und neben dem Dancefloor doch auch gar schöne Style-Verwischungen, Rhythmus- Überkreuzungen und Milieu-Durchmischungen vonstatten gegangen sind. Mouse on Mars sind ein Symptom, das Donaufestival ein sehr guter Abbilder.

Der Eklektizismus allein reicht schon lange nicht mehr aus, um Queen zu sein. Jeder macht eh alles. Mit welcher Freude am Probieren und am Spiel, mit welch verschwitztem Elan und mit welch zerstreuter Eleganz Mouse on Mars da aber am Freitag ein wildes Sammelsurium aus komischen Klängen, Techno, Breakbeats, kurzen Noise-Attacken, kaltem Rhythmus, süßen Melodien, HipHop-Vocal-Schnipseln und dem Jaulen einer von Hand ins Mikrofon gespielten Sirene in den Stadtsaal geschickt haben, sucht in dieser Qualität und in diesem Ideenreichtum Vergleichbares. Er rockt einfach auch unerhört geil.

Angesichts der Geschmacksexplosion, der Sound-Brisanz und der schlichten Energie, die Mouse on Mars beim Donaufestival der Welt geschenkt haben, muss sich jeder zweite Poststep-, Trap-, Irgendwas-Future-Bass-Typ überlegen, ob er nicht doch noch lieber ein paar Tage in den Keller gehen möchte. Der Boden vibrierte - und dies ist nicht bloß ein schnödes Bild - vor der Macht des Basses. Er war spürbar begeistert.