Erstellt am: 26. 4. 2014 - 13:14 Uhr
Texta im Bild
Crossing Europe
Das Filmfestival für zeitgenössisches und europäisches Kino, vom 25. bis zum 30. April 2014 in Linz.
"Mit den Küssen dauert alles drei Mal so lang!", sagt Crossing Europe-Festivalleiterin Christine Dollhofer bei der gestrigen Eröffnung. Die gesparte Zeit scheint aber auch das einzig Vorteilhafte daran zu sein, dass Scarlett Johansson dieser Tage nicht in Linz weilt. Zu Gast beim Crossing Europe ist indes die britische Sängerin, Komponistin und Produzentin Mica Levi aka Mikachu. Sie hat die Filmmusik zu Jonathan Glazers "Under The Skin" geschrieben, in dem Scarlett Johansson ein Wesen nicht von dieser Welt spielt, und die Festival-Nightline eröffnet. Musik hat das Festival für zeitgenössisches europäisches Kino abseits des Mainstreams von Anfang an als fixen Programmpunkt. Unter den Eröffnungsfilmen dieses Jahres war eine heimische Musikdoku: "Texta In & Out" von Dieter Strauch hatte gestern Abend Premiere. So gut unterhalten haben Talking Heads schon lange nicht mehr.
Very Vary Filmproduction
Was noch kommt: China im europäischen Film. Ein Doku-Musical mit chinesischen SchauspielerInnen wollte die österreichische Regisseurin Ella Raidel machen. "Double Happiness" schauen wir uns an dieser Stelle nächsten Dienstag an. Da steht einem fast der Mund offen aufgrund der chinesischen Gigantenbauten.
Texta, 1993 gegründet, 800 Konzerte, 250 Songs, so stellt der Film seine Protagonisten zu Beginn vor. Als Dias auf einer aufgespannten Leinwand auf einem menschenleeren Parkplatz, dahinter rattern Waggons durch das Bild und erzeugen einen gar nicht schlechten Beat.
Texta, das sei nicht ein Projekt, sondern eine Einstellung, erklärt Huckey in schwarz/weiß. Das ist eine Ansage. Gut, dass Regisseur Dieter Strauch erst beim Gespräch nach dem Film sagt, dass er "die Stones im Proberaum in schwarz/weiß" im Kopf hatte. Musik-Dokus sind ein eigenwilliges Genre. "Texta In & Out" ist eine erfreuliche Überraschung. Man muss nicht unbedingt Fan-Tum mit in den Saal bringen, man muss nicht mal Texta kennen, um ausgezeichnet unterhalten zu werden.
Zu Wort kommen ausschließlich Texta: Huckey, Skero, Flip, Laima und DJ Dan erzählen über Vorstellungen, Einstellungen und Tatsachen. In Einzelinterviews, die durch die Montage zu Dialogen werden. Zum Vorschein treten unterschiedliche Zugänge, wie man Kunst und Talent leben kann. Den großen Hype um die Band, der einen wie eine Welle hochhebt, den hätten Texta nie erlebt. Alles habe sich entwickelt.
Christoph Thorwartl / subtext.at
Die Kabinenparty am Abgrund
Texta ziehen Resümée über den eigenen Wirkungsgrad und Österreich ("Kafka, Mozart, Freud - wo sind denn die Freuds? Die Intellektuellen haben wir alle aus Österreich verjagt"). Über Stadt ("Kapu - so kreativ war man in den Achtzigern, dass man einen Ort so benannt hat, wo er ist") und Land ("In Linz, da kennt sich jeder in alle Zuständen"), dass man sie zitieren will, nein, muss: "Wennst den Leuten zum zehnten Mal übern Weg läufst, dann kommst halt auf eine andere Ebene und was du gemeinsam hast und machst". Sie sprechen über Talent und Alltag, über die ungute Dynamik vor Skeros Ausstieg. Die "Kabinenparty" wird zur "starken Belastung".
Im zwanzigsten Jahr des Bestehens ihrer Hip-Hop-Formation sind Texta konfrontiert mit Jugendlichen, die während des Konzerts ständig direkt vor der Bühne herumlaufen, und im Studio driften die eigenen Erwartungen auseinander. "Wir wollen nix von eich, nur verstanden werden", singen Texta und beginnen kurzerhand eine Polonaise mit ihren jungen KonzertbesucherInnen. Die Situation im Studio lässt sich nicht mit Schmäh entschärfen.
Laima sitzt im Wohnzimmer mit seiner Familie, baut einen Holzspielzug auf. Zwanzig Stunden Arbeit in der Firma und der Rest mit Texta und der Familie, das sei auch nicht mehr als ein fünfzig Stunden arbeitender Familienvater. Skero hat eine Fliese, ein Kinderbuch und auch ein Sakko-Innenfutter gestaltet: "Ich versuche immer, von meinen Talenten leben zu können". Producer und Rapper Flip bemerkt beim Bau einer BMX-Rampe das Alter der Band. Texta sind nicht mehr jung, aber keine Suderanten oder sentimentale Melancholiker. Zu sehr freuen sie sich über Neues, über die Arbeit an einem Theaterstück etwa. Bloß die älteste Hip-Hop-Formation des Landes zu sein - ein Graus!
Regisseur Dieter Strauch braucht nicht viele Bilder, um Klarheiten zu schaffen. Erlebte technische Revolutionen? Von den ersten Beats vom Plattenspieler mit Kassettenrekorder und Bedienen der Stop-Taste aufgenommen, dem "Verwursten" von Kate Bush bis Black Sabbath, weil in den Neunzigern in Linz die Auswahl an Soul-Platten in Geschäften auch beschränkt war, zum zeitgemäßen Studio und Texten auf Tablets. "Wortwitz auf Moritz hat no' kaner?"
"Texta In & Out" ist kurzweilige, beste Unterhaltung, weil man es mit einnehmend reflektierten und sympathischen Charakteren zu tun hat. Auch FestivalbesucherInnen aus Bern waren enthusiastisch - ohne Texta gekannt zu haben. Das bei Konzerten gedrehte Material ist sparsam eingesetzt und in Farbe. Texta rezitieren aus ihren Songs. Lyrik im 21. Jahrhundert ist im Sprechgesang zuhause.
VeryVary Filmproduktion
Wie altern Punks? Wie rebellieren junge Ägypter feiernd?
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Mit "Electro Chaabi" von Hind Meddeb reist man ins Ägypten nach dessen Frühling - "a revolution for the history books" -, zieht mit jungen Männern um die Siedlungsblöcke ärmerer Stadtteile Kairos: mit subversivem Sound und Sprechgesang rebellierend. Mit dem Soundsystem auf dem Moped geht es zu Hochzeiten und Partys. Auf den Dächern neben dem Taubenschlag wird getanzt und in winzigen Wohnungen produziert.
Hind Meddeb
Mal prangern die jungen Männer soziale und politische Missstände an, des Öfteren singen sie einfach Lobeshymnen auf Haschisch. "You stole the revolution in the end", heißt es und am Ende des Films finden sich zwei der Musikerclique, Oka und Ortega, als Fernsehberühmtheiten wieder. Das Crossing Europe ist für viele Ein- und Ausblicke eine Reise nach Linz wert.