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Johanna Jaufer

Revival of the fittest... aber das war noch nicht alles.

13. 5. 2014 - 12:27

Altes Fleisch

Ein Ex-Rockstar redet sich den verfrühten Lebensabend herbei, hat dabei aber die Rechnung ohne sein Herz gemacht: Zu lesen in "Der Sound meines Lebens".

Ex-Rockstar und Absolutversager Silver weiß schon länger nicht mehr, wie ihm geschieht. Seine Tage verbringt er in einem Dauerhotel. In Gedanken schreibt sich der ehemalige Schlagzeuger der Bent Daisies Postkarten aus der Vergangenheit, er schwelgt in verflossenen Lieben und der Vergangenheit mit seiner Ex-Frau. "Altes Fleisch, das niemand mehr essen möchte" - soweit die Eigendiagnose. Das eifrig zelebrierte Selbstmitleid hindert Silver aber selbstverständlich nicht daran, am Hotelpool Stellung zu beziehen, den junge Studentinnen von nebenan während ihrer Uni-Pausen benützen.

Seine heruntergekommene Herberge beschreibt Silver als "tristen Monolith" und er bemüht sich redlich, dieser Vorstellung auch als Person gerecht zu werden. Silver säuft, jammert, säuft und immer so weiter. Was er von den Tantiemen seiner kurzen Karriere nicht bezahlen kann, finanziert er sich mit regelmäßigen Besuchen in einer Samenbank. Kurz, Silver tut so ziemlich alles, um den absoluten Groschenromanalptraum zu realisieren und verhagelt sich den Blick auf die Realität mit dicken Krokodilstränen.

Coney Island

https://www.flickr.com/photos/bobjagendorf/

Buchcover "Der Sound meines Lebens"

Droemer-Knaur

"Der Sound meines Lebens" von Jonathan Tropper ist in einer Übersetzung von Birgit Moosmüller bei Droemer-Knaur erschienen.

Lustig ist das alles nicht. Angenehmerweise aber ringt Silver seinem Scheitern gerade so viel Absurdes ab, dass man sich knapp doch nicht von ihm abwenden und das Buch genervt in die "Früher-war-alles-viel-besser"-Ecke schleudern mag. Silver bleibt außerdem nicht allein in seinem Schicksalswinkerl. Mit einem Satz stürmt bald Tochter Casey ins Bild und damit erst einmal der fleischgewordene Beleg für das jahrelange Versagen des verfetteten Altrockers.

Casey ist mittlerweile erwachsener, als Silver es sich in seinen selbstmitleidigen Klageliedern je hätte vorstellen können – er war ja nicht da, als sie in die Schule kam, in die Highschool und das erste Mal mit den Füßen runter zum Gaspedal. Casey ist auch noch knallhart und superehrlich, entführt kurz mal ein paar Seiten lang in ihre Highschool-Parallelwelt ("mit unseren Müttern braucht man wirklich kein Facebook") und hat natürlich einen triftigen Grund, plötzlich bei ihrem Vater aufzukreuzen.

Der Grund hat sich in zwei blitzrosa Streifen auf einem Plastikstaberl verbildlicht, das Casey vor Schreck mit auf jene Bühne genommen hat, von der aus sie gerade eine sehr kluge Schulabschluss-Rede gehalten hat. Casey ist schwanger. Und damit geht’s los. In vielen kurzen Szenen, die in Abtreibungskliniken, Synagogen, Krankenhäusern, Hochzeitskleidgeschäften und Aspirinläden spielen, schleift uns "Der Sound meines Lebens" durch ein immer atemloses Familienkarussell.

Coney Island

https://www.flickr.com/photos/bobjagendorf/

Der Cast wirkt ein bisschen einem Mittelklasse-"Reich und Schön" entnommen. Ermüdete Chirurgen und angestrengte Hausfrauen mit übertrieben vielen kleinen Pölsterchen auf der Couch knallen einander Türen ins Gesicht. Denn: Silver wird völlig überraschend vor das größte Problem seines bisherigen Lebens gestellt (nicht Caseys Schwangerschaft, aber ebenfalls ein medizinisches Problem) und es bleibt vorerst unklar, ob er die nun anstehende Entscheidung zur biographischen Generalsanierung nutzen oder weiterhin seiner Ex-Frau mit den sehr weiß gebleichten Schneidezähnen hinterherheulen will.

Schnittig kurz sind die Kapitel in "Sound meines Lebens" gehalten, es cliffhangert nur so dahin und wenn die irrwitzige Dramadichte einen mitgerissen hat, kann man gar nicht mehr anders, als mitzufiebern, wenn Silvers Seele sich von tiefschwarz nach dunkelviolett vortastet. Man merkt der Geschichte an, dass ihr Schöpfer auch im Serienbusiness zu Hause ist. Wem "How I Met Your Mother" ein wenig zu zahnlos war und "Mad Men" zu deprimierend, der sei eingeladen, zu "Der Sound meines Lebens" in eine tragische Sitcom einzutauchen, die manche Charaktere an den Rand ihrer Existenz führt – aber immer mit einem komischen Spruch auf den Lippen...

"Selbstmord ist schwierig –
ganz zu schweigen vom Morgen danach." (Silver)