Erstellt am: 24. 4. 2014 - 21:29 Uhr
The daily Blumenau. Thursday Edition, 24-04-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Der Anlassfall: die Ö3-Moderatorin Elke Lichtenegger hat in einer via Youtube verbreiteten Off-Topic-Anekdote ungeschickt und ohne Notwendigkeit das problematische Verhältnis zwischen Ö3 und der österreichischen Musikszene durch eine geringschätzende Aussage bestätigt. Ein massiver Shitstorm war die Folge.
Siehe dazu auch Michael Hufnagl im Kurier.
#musik #kreuzigung #web2.0 #medien
Mir ist dieser Tage beim Kistenausräumen ein Ordner aus dem Jahr 2000 in die Hände gefallen. Er enthielt Mails, Mitteilungen, Erklärungen, Aussendungen und Medienreaktionen zu einem Fall aus einer medienpolitisch dunklen Zeit: dem sogenannten Mordaufruf von Grissemann/Stermann gegen Jörg Haider. Mich hat beim Durchscannen wieder der kalte Schauer gepackt, der diese bleierne Zeit der Wenderegierung nach dem Haider-Schüssel-Pakt, dieser Vorgeschmack auf autoritäre Durchgriffstrukturen leitmotivisch durchweht hat.
Ster/Grisse hatten sich irgendwann im Jahr '99 im Rahmen eines sehr späten und feuchten Backstage-Abends in eine Diskussion über politische Wehrhaftigkeit verhakt und dabei - angesichts des privaten Rahmens auch zulässig - in gewagte Thesenrandzonen begeben. Irgendwie fand der (grob verkürzte) Sukkus dieses Gesprächs den Weg in die Clubzeitung des nämlichen Veranstaltungslokals.
Ein halbes Jahr später ernannte die ÖVP-Parteizeitung "Neues Volksblatt" die Gesprächserwähnungen in einem Fall klarer medienethischer Verstöße "Interview" und biss sich im Satz "Ich glaube, wenn man Haider derzeit stoppen wollte, dann müsste man ihn erschießen" fest.
Der für ORF-Interventionen zuständige Generalsekretär Westenthaler konstruierte daraus einen Aufruf zum Mord, die Sache ging zum Staatsanwalt; auch wenn das natürlich keine Anklage nach sich zog: S&G waren künstlerisch und arbeitstechnisch für ein halbes Jahr blockiert. Auch mit einem rein analogen Shitstorm (das Web 1.0 kannte das noch nicht) erreichte die Affäre auch noch Jahre später (bis hin zur Reifenaufschlitzer-Affäre) unglaubliche Ausmaße.
Die Heftigkeit der Anwürfe, die Unüberbrückbarkeit der gegensätzlichen Sichtweisen und der politische Hintergrund eines angedachten und dann letztlich wegen zu hoher Gegenwehr nicht durchführbaren Vernichtunsgfeldzuges jeglicher kritischen Stimme, die in dieser Mappe voller Zeitzeugnisse gefangen waren, haben mich mit voller Wucht wieder eingeholt.
Ich konnte also gar nicht anders als den Lichtenegger-Shitstorm auch über diese Erfahrung hin zu beurteilen. Es sind zwei sehr unterschiedliche Vorfälle, aber es gibt zu viele Parallelen.
In beiden Fällen wird etwas nebenher, unbedacht und ohne Not Geäußertes instrumentalisiert. Im Fall von S&G wollte die Wenderegierung über Stermann/Grissemann nicht unbedingt FM4, sondern gleich den gesamten ORF treffen und schwächen, bedrohen, an die Kandare nehmen. Im Fall Lichtenegger geht es der österreichischen Musik-Lobby darum, Ö3 unter Druck zu setzen. Am Dienstag war nämlich eine Gesprächsrunde zwischen Vertretern heimischer Musikproduzenten und Ö3-Chef Spatt angesetzt (Themen: Besserbehandlung, Quote, etc.) - am Wochenende war die Lichtenegger-Sache explodiert. Ein Schelm, wer dabei an Zufall denkt.
Ich beiden Fällen wurde auf landläufig gern Gedachtes mit dem Aufschrei der hochmoralischen Empörung reagiert. Sowohl der dumme Haider-Spruch als auch die dumme Geringschätzung österreichischer Musik-Produktion sind verzichtbar, die Äußerung kontraproduktiv, die Denk-Dunkelziffer ist aber enorm. Und die danach folgende Heuchelei unübersehbar.
Natürlich nerven, wie in jeder Branche, in jedem Bereich, jene, die sich in grober Selbstüberschätzung näher an die Fresströge wünschen, es aber aufgrund nicht genügender Qualität nie schaffen werden, mehr als jene, deren Können kaum beeinsprucht wird. Das ist ein Naturgesetz, egal ob in der Musik, im Film, im Journalismus oder vor mir aus in der Koch-Branche. Selbstverständlich ist der Quäl-Faktor der Rupert Pupkins dieser Welt enorm; und sie und ihre Zeitfresseranliegen gehören zum Arbeitsleid vieler Branchen. So zu tun, als würde dieses Problem nicht existieren, ist pure Heuchelei.
Dazu kommt noch ein grobes Missverständnis, was die Repräsentation von Popkultur betrifft: Es ist nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der jedem und allem eine Abspielfläche bieten muss - das ist Aufgabe der partizipativen Community-Medien wie z.B. OKTO, wo das Lichtenegger-Ding herstammt. Und es ist nicht vordringlich die Aufgabe von Ö3, die heimische Musikszene über deren Bedeutung hinaus abzubilden, sondern primär musikalische Unterhaltung durch die weltbeste Popmusik sicherzustellen.
Über die Jahre hat sich der Streitfall österreichische Musik und Ö3 tief in einen Sumpf aus gegenseitig gepflegten Vorurteilen, Missverständnissen, Vorwürfen und unlösbaren Forderungen, in einem Henne-oder-Ei-Schulenstreit verfahren. Gefrustet sind beide Seiten: Ich kann die Radio-Kollegen, die sich nicht per Quote vorschreiben lassen wollen, was sie für gut und spielbar zu finden haben, sehr gut verstehen; und natürlich sind umgekehrt nicht alle Ansprüche aller heimíschen Musikmachenden unumsetzbar. Über den Punkt, dass eine vorsichtige Kompromisspolitik durchaus Lösungen bringen könnte, ist der Wickel aber schon länger hinaus (und das ist nicht unbedingt die Schuld derer, die es jetzt ausbaden müssen).
Nur in einem solchen Klima ist ein solcher Shitstorm möglich. Um eine patscherte, unbedarfte Aussage, die auch eine falsche Haltung mittransportiert, aber zu einem Vulkanausbruch der hasserfüllten Empörung unzuwandeln, bedarf es einer Menge negativer Energie. Da reicht das Catchword aufgestaut nicht. Da geht es um ganz bewusste, weit über die polemische Zuspitzung hinausgehende Vernichtungsfantasien. Denn das, was Szenemenschen an späten, feuchten Abenden teilweise von sich geben, enthält auch Untergangsszenarien, in denen die völlige Vernichtung von Ö3 als Ziel ausgegeben wird. Motto: Wenn sie mich/uns schon so dreist ignorieren, sollen sie alle sterben gehen, egal, ob es mich/unsere Branche dann auch mit runter reißt. Denn die Privaten, und auch das ist unausgesprochener akzeptierter common sense spielen noch weniger Österreicher.
Ich will das Klima der Gruseljahre 2000/01 nicht mit dem Klima, in dem sich Ö3 und Musikbranche niederclinchen, vergleichen, das wäre obszön, aber die Wucht der Zerstörungslust hinter dem jüngsten Shitstorm hat mich schon verstört. Und hier kommen wir zu einem weiteren Unterschied: Grissemann und Stermann sind in diesen Monaten durch eine Hölle gegangen, aber sie waren gewarnt, sie sind geeicht, sie wussten immer, dass ihre Aneckerei einmal gewaltigen Gegenwind erzeugen würde können. Frau Lichtenegger wusste das nicht; sie ist - wie die meisten - von den Medienränkespielen bislang nicht betroffen gewesen. Man hat hier also den Esel gemeint, aber den Sack geschlagen. Und das ist mies.
So, und jetzt noch eine wahrscheinliche Gemeinsamkeit. Die zentrale Lehre, die S&G aus der überstandenen Affäre gezogen haben, war, sich nie mehr öffentlich ungeschickt zu äußern. Das, was sie denken, hat der Scheißesturm nicht beeinflusst, im Gegenteil.
Im Fall der Ö3-Kollegen wird das ähnlich sein: es wird sich keiner mehr zu einer ungeschickten Aussage hinreißen lassen. Und bei allem, was mit einer sich auf Quoten und andere Pflichtaufgaben berufenden österreichische Musikszene zu tun hat, wird künftig ein Gefühl der angenommenen Feindseligkeit mitschwingen; ganz unterbewusst wird jeder Redakteur/Moderator davon ausgehen, dass man ihm Böses will.
Die Spätfolgen, die so ein Shitstorm für jene hat, die ihn losgetreten haben, sind noch recht schlecht untersucht, wissenschaftlich. Ich könnte mir aber vorstellen, dass man mit Zurückhaltung und ganz menschlicher Vorsicht besser fährt als mit "Kreuzigt ihn!"-Fantasien; auch im Zeitalter der vielen selbsternannten Wutbürgerhelden.