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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

23. 4. 2014 - 16:22

Nervös

"Nervös" ist mal ein guter Albumtitel. Und der beste Anlass, sich mit dem Musiker Chris Imler bestens über Gott und die Berliner Musikwelt zu unterhalten.

Dieser Mann ist ein umtriebiger Musiker. Er wartet nicht lange in Kellergewölben ohne Mobiltelefonempfang auf Interviewende, er setzt sich ins nächste Lokal und informiert einen über die Gegebenheiten. Der Deutsche Chris Imler ist dieser Tage unterwegs auf Tour mit Ja, Panik in Österreich und spielt dabei sein erstes Soloalbum. "Nervös" heißt das kürzlich erschienene Werk, und es ist ein herrliches Elektroalbum mit teils lustigen Geschichten, auf die noch eingegangen werden kann.

Chris Imler und Ja, Panik spielen heute, 23. April, in der ARGEKultur in Salzburg, und morgen, 24. April, im Weekender in Innsbruck

Die Ja, Paniks kennt Chris Imler schon lange. Mit Andreas Spechtl hat er bei "Die Türen" gespielt, das Label Staatsakt war es auch, dass sich von Imler schon lange ein eigenes Album wünschte. Tatsächlich wäre er da richtig reingeschlingert. "Ich mache schon lange Solokonzerte, seit acht Jahren oder länger", sagt Chris Imler. Auf einem belgischen Label war eine Single erschienen, ansonsten gab es keine Platte. Zu sehr war Imler am Musizieren mit und für andere - und ein "großer Prokrastinator", wenn er nur sich selber Rechenschaft schuldet.
Mit Peaches, Puppetmastaz und Jens Friebe hat er getrommelt, in den 90ern hatte er die Band Golden Showers und in den letzten Jahre war es das Elektroclash-Projekt Driver&Driver, das ihn beschäftigte. Unter anderem. Oum Shatt nicht zu vergessen.

Musiker Chris Imler raucht Zigarette

Chris Imler

Geschichten für Sprechgesang

Das Soloalbum "Nervös" wird gern verglichen mit Deutsch Amerikanische Freundschaft oder Suicide. Anscheinend könne man als Mensch Dinge nur einschätzen mit Ausscheidungsverfahren, sagt Imler dazu. Die Sounds der Platte könnten jedoch nicht in den Neunzigern entstanden sein: "Und die Mischung gab's übrigens auch nicht". Chris Imler hat viel experimentiert, den Korg MS-20 wie eine Ektara, eine Zupftrommel, bedient.

Er habe es nicht gemacht wie viele Bands, die mit einem Refrain beginnen und ein Monster hervor brächten, das schreit: "Hilfe! Ich bin ein Hit! Warum hört mich keiner?" Monstermelodien wollte er keine und so war er schnell beim Sprechgesang. Zum Beispiel beim Song "Norwegen": Imlers Bruder lebt in Norwegen, das als reichstes Land der Welt Rankings anführt. "Die haben ja auch Öl. Ich habe mir gedacht, ich knüpfe mir mal das reichste Land der Welt vor. Der Refrain heißt: 'Ich mach' mir Sorgen/ wegen Norwegen'. Es geht um eine Abrechnung mit der protestantischen Grundhaltung, einer Ödnis, die da auch vorherrscht und Kälte, die mit einer unglaublichen Freundlichkeit gecovert wird."

Voodohaftigkeit

Chris Imler

Chris Imler

Denkt er, dass er im Vorteil ist, weil er als Schlagzeuger ganz genau weiß, wie ein Song funktioniert? "Gegenüber Hufschmieden und HNO-Ärzten: ja!", Imler ist amüsiert, nicht ohne eine Erklärung. Mittlerweile ist Rhythmik in den Vordergrund getreten durch elektronische Musik wie Hip-Hop, Techno etc. "Im Grunde sind das rhythmische Pattern, die sich pausenlos wiederholen und da komme ich witzigerweise her. Auch wenn ich als Kind in Augsburg, als Zwölfjähriger, von Blues total fasziniert war. Bei uns in der Stadtbibliothek gab es eine Abteilung mit Delta-Blues. So sage ich das jetzt. Derart spezialisiert war die nicht. Blind Jefferson, Robert Johnson. Rhythmische Pattern auf der Gitarre, pausenlos. Und diese Voodoohaftigkeit habe ich bei meinen Songs auch. Ja, doch: Als Schlagzeuger ist man mittlerweile bei so einer Art von Musik im Vorteil."

Der große Bruder eines Nachbarkindes brachte als erster Bluesplatten in Imlers Welt. Die englischen Texte konnte der Schüler Imler für sich nachfühlen: "Ich fand das alles unheimlich einengend. Die Musik hat mich angesprochen. 'Nobody knows the trouble I've seen' - also ohne Jesus, den Rest konnte ich unterschreiben".

Mit Klischees aufräumen

Mittlerweile bezieht man neue Musik eher aus dem Netz als aus öffentlichen Bibliotheken. Chris Imler hat den Ruf, doch ein Szenemensch in Berlin zu sein und auch ein Anknüpfungspunkt, wenn man so will. Berlin ist ein großer Ankerplatz für Musiker aus der ganzen Welt. Spült es auf diesem Weg auch neue Musik zu ihm? Ach, so dürfe man sich das gar nicht vorstellen. "Die Leute, die neu in Berlin ankommen - auch wenn sie von bekannteren Bands sind -, dann sind sie so mit Arbeit zugedeckt, dass sie kaum ausgehen", sagt Chris Imler.

Es seien romantische Vorstellungen von Musikerleben, dass man ständig ausginge. "Ich bin der einzige, der noch versucht, das romantisch durchzuziehen und dann ohne Platten auf Tour losfährt, keine Monitorboxen dabei hat - das sind Sachen, die gerade passiert sind", überspitzt er es. Es gebe eine erweiterte Berliner Mischpoke, die Musik und das auf einem gewissen Level macht, jenseits von "Ich spiele bei einer Feierabend-Band". Da docken gewisse Leute an, über die Imler sich freut, dass sie in der Stadt sind. "Meist ist es besser, die Menschen sind wo anders. Dann triffst du sie eher! Wenn der nach Berlin zieht, siehst du den nie wieder. Weil er keine Zeit hat und du auch nicht."

Bleibt die Entdeckungsreise, die man im Internet antreten kann, um zuvor nie gehörte Galaxien aufzustöbern.