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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

23. 4. 2014 - 15:37

Rage Against The Mainstream-Machine

"Snowpiercer" reiht sich in die rare Tradition von Spektakelfilmen, die das Eventkino mit politischen Reflexionen zu verschmelzen versuchen.

fm4.ORF.at/film

Kinorezensionen, Regisseure im Interview und Schauspielerporträts

In den hochgeistigen Diskussionen, die die sozialen Netzwerke regelmäßig zum Erbeben bringen, wird Hollywood gerne als verlängerter Arm des Bösen gesehen. Das Unterhaltungskino und natürlich auch das Fernsehen erfüllen demnach nur einen Zweck: Im Auftrag der kapitalistischen Unterdrückungsmaschinerie die Massen einzulullen und ruhig zu stellen. Brot und Spiele, schrieb unlängst wieder jemand unter ein Filmposting von mir, hielten das Volk schon immer von aufwieglerischen Gedanken ab.

Man muss nicht solchen verstaubten Verschwörungstheorien, sehr frei nach Theodor W. Adorno, anhängen, um sich nicht gelegentlich grundsätzliche Fragen zu stellen: Ein Blockbuster, was ist das eigentlich gegenwärtig? Möglichst massenkompatibles Breitwand-Entertainment, zur tatsächlich belanglosen Feierabend-Zerstreuung? Von perfiden Marketingteams kreiertes Eventkino, einzig um Spielzeug und Popcorn zu verkaufen? Oder wollen nicht einige Regisseure, wie Peter Jackson, wenigstens moderne Märchen für die mythenarme Gegenwart erschaffen?

Terminator 2: Judgement Day

Studio Canal

"Terminator 2: Judgement Day", Regie: James Cameron

Schon immer gab es aber Filmemacher, die mitten im Mainstream noch mehr wollten und wollen als bloß mit gigantomanischem Aufwand die Sinne zu betäuben. James Cameron ist wohl die Schlüsselfigur in Sachen fortschrittlichem Blockbusterkino. In seinen beiden „Terminator“-Filmen trifft die Faszination für Effekte und Schauwerte auf gleichzeitige Technologiekritik und etwas, was man militanten Humanismus nennen könnte. Es ist kein Zufall, dass eine starke, alleinerziehende Frau, Sarah Connor, im Mittelpunkt der Rebellion gegen die Maschinen steht.

Im Unterwasserdrama „The Abyss“ steckt neben etwas naiver Öko-Kritik vor allem ein Manifest für Teamwork und Gleichberechtigung, aus dem Katastrophenepos „Titanic“ macht Cameron eine Parabel über Klassenkonflikte. Und das immer noch wirkungsvollste aller 3D-Spektakel, die knallbunte Fantasysaga „Avatar“, wird zum offensichtlichen Vehikel für Reflexionen über Fremdheit, Natur, Technik, Kolonialismus.

Avatar

Centfox

"Avatar", Regie: James Cameron

Spannende Gratwanderungen

Natürlich geht der offensive Populismus, den unbeirrbare Nörgler in James Camerons Schaffen nicht verdauen – der Kitsch, das Pathos, all das perfekte und manipulative Drücken bestimmter Knöpfe beim Publikum – Hand in Hand mit den unfassbar hohen Produktionskosten. Wer eine visionäre und einzigartige Geschichte erzählen will, die sich ganz nebenbei um Maschinenkriege, sinkende Luxusdampfer oder fremde Planeten dreht, braucht eben immense Produktionssummen und daraus folgend breitenwirksame Strategien.

Das Spannende, und das was einen leidenschaftlichen Kino-Innovator wie Cameron ausmacht, ist die Gratwanderung: Zwischen Genrekonventionen und blitzgescheitem Subtext, purer Lust an der filmischen Achterbahnfahrt und Gedankensplittern, die nach dem Seherlebnis wie Widerhaken stecken bleiben. Guillermo Del Toro ist ein anderer Ausnahmeregisseur, der Hollywoods gigantomanische Strukturen benutzt, um im Getöse und Bombast auch selbstverständlich und unverkrampft persönliche Anliegen unterzubringen.

Monster, Mann, Kampf

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Regisseur Guillermo Del Toro inmitten von "Pan's Labyrinth"

Im krassen Gegensatz zu einem technokratischen Blockbuster-General wie Michael Bay, dessen „Transfomer“-Reihe strunzdumme Stereotypen repetiert und die US-Army stets im goldenen Sonnenlicht erstrahlen lässt, ergreift Del Toro für Außenseiter Partei und verteilt Faustwatschen gegen Rassismus und Faschismus. Im Fantasyspektakel „Pan’s Labyrinth“ wird der Mexikaner am deutlichsten und präsentiert vor dem Hintergrund des spanischen Bürgerkriegs die wirklichen Monster in schwarzen Militäruniformen.

Auch das Comickino wird immer mehr zur Spielfläche für brisante Botschaften. Während „The Amazing Spiderman“ derzeit eher belanglos und frei von gesellschaftlichen Kontexten auf Häuserwänden herumturnt, ist die Marvel-Konkurrenz viel weiter. Ausgerechnet Captain America, die patriotische Ikone, steht in seinem neuen Abenteuer vor den Trümmern des Systems. Im Kampf gegen interne Verschwörungen im Überwachungsstaat USA können auch die Superhelden einander nicht mehr trauen, Edward Snowdens Enthüllungen haben auf die Marvelfilme abgefärbt. Verpackt in den dichtesten Actionthriller seit längerer Zeit signalisiert „Captain America: The Winter Soldier“ dass God's own country ideologisch am Ende ist.

Captain America: The Winter Soldier

Marvel

"Captain America: The Winter Soldier"

Hybrid aus Ambition und Action

An das Ende knüpft der radikalste Spektakelfilm des Jahres an. Die Welt ist in „Snowpiercer“ nach einer Klimakatastrophe mit Eis überzogen und nur ein einziger Zug rast mit den letzten Menschen an Bord durch die gefrorene Hölle. Für scheindemokratische Spiele ist dabei kein Platz mehr: Im hinteren Zugende hungern die unterdrückten Proletarier, vorne diniert die Oberschicht in luxuriösen Abteilen.

Der koreanische Erfolgsregisseur Bong Joon-ho, der bereits in Werken wie „The Host“ oder „Memories Of Murder“ die Grenzen des Genrekinos auf sehr persönliche Weise aufgebrochen hat, denkt in seinem Debüt für den internationalen Markt gar nicht mehr an schnöde Zielgruppen. Die Comicverfilmung „Snowpiercer“ beginnt als fast schon sozialistisches Lehrstück, in dem ausgerechnet „Captain America“ Chris Evans den stürmischen Anführer und Tilda Swinton eine faschistoide Schergin gibt. Mit dem Aufstand der Unterdrückten mutiert der Film aber zu einem atemberaubenden Action-Ballett, das regelmäßig durch bedrückende Momente der Stille unterbrochen wird.

Snowpiercer

Thiemfilm

"Snowpiercer", Regie: Bong Joon-ho

Während Arthouse-Puristen durch die stilisierten Gewalteinbrüche irritiert sein könnten, war den amerikanischen Verleihern des Films, den für ihre künstlerischen Eingriffe berüchtigten Brüdern Weinstein, genau die inhaltliche Tiefe von „Snowpiercer“ zu viel. Ohne etliche Schnittauflagen und eine Kürzung der Dialogpassagen wollten sie den Film nicht in die US-Kinos bringen, was wiederum Regisseur Bong Joon-ho keinesfalls akzeptieren wollte.

Bei uns läuft das gewaltige Hybrid aus Ambition und Action nun in ausgewählten Kinos ungekürzt an und man sollte sich von „Snowpiercer“ unbedingt via großer Leinwand überrollen lassen. Wer übrigens befürchtet, dass der revolutionärste Spektakelfilm des Jahres in ideologischer Einfalt erstarrt, kann aufatmen. Bong Joon-ho, ein erklärter Gegner simpler Botschaften, hinterlässt mit seinem Streifen eher die selbe Ernüchterung wie ein intensives Lesen der Tageszeitungen. Dass ein aufwändiges Science-Fiction-Abenteuer es wagt, über Politik zu reflektieren, das alleine ist aber schon eine schöne Utopie, die Wirklichkeit geworden ist.

Snowpiercer

Thiemfilm

"Snowpiercer"