Erstellt am: 23. 4. 2014 - 12:49 Uhr
Das Badproblem
Mein Freund Ivan hat ein Riesenproblem mit seinem Bad. Sein nigerianischer Mitbewohner ist sehr eifersüchtig und verdächtigt Ivan, dass er mit seiner Frau fremdgeht. Er lauert hinter jeder Ecke und verfolgt ihn überall hin. Der Mitbewohner glaubt, dass eine der Voraussetzungen, um Sex zu haben ist, vorher geduscht zu haben. Deshalb schaut er ganz genau zu, wenn Ivan das Bad betritt. Danach macht er sofort entweder das Licht oder das Gas aus. Ivan beschwerte sich bei mir, dass er seit Monaten nicht normal duschen kann. Er kam das letzte Mal mit einem Handtuch zu mir.
CC BY 2.0 - Umberto Rotundo - flickr.com/turyddu
Ich verstehe ihn. So viel zu duschen wie man will, ist einer der größten Vorteile vom Leben in Wien. Ich kann so lange unter der Dusche bleiben, bis ich mich in einen Frosch verwandelt habe. Im Haus meiner Eltern in Sofia war das Duschen ein Alptraum. Unser Viertel hat keine Kanalisation, dabei ist es eines der teuersten Wohnviertel der bulgarischen Hauptstadt. Überall gibt es Riesenpaläste, mit noch riesigeren Mauern um sie herum. Aber ihre Bewohner trauen sich nicht, die Dusche normal laufen zu lassen, weil jeder eine Senkgrube hat. Im Sommer riecht die Wohlstandsoase ganz stark nach Fäkalien.
Mein Vater hatte ein ganz drakonisches Baderegime eingeführt – mit einer Sanduhr. Man musste fertig mit dem Baden sein, bevor der Sand abgelaufen war. Wir scherzten, dass mein Vater jedes Mal mit einem Löffel etwas vom Sand abnimmt, um die Badezeit weiter zu verkürzen. Bald wäre die Zeit gekommen, wo du mit dem Baden fertig sein solltest, bevor du angefangen hast. Aber ich machte mich auf den Weg nach Wien. Gratulation!
Seit mehreren Generationen gratulieren sich die Menschen in Bulgarien, nachdem sie geduscht haben. Man sagt sich „tschestita bania“. Dieser Spruch kommt aus der Zeit, als die Menschen in Gemeinschaftsbädern gebadet haben und das Bad außer für die Körperhygiene auch als ein soziales Zentrum betrachtet wurde. Im Bad besprachen die Männer die Politik, die Frauen die Männer und alle zusammen ihre Liebesabenteuer. Google Translator übersetzt „tschestita bania“ als „glückliches Bad“. Diese Übersetzung ist nicht ganz unwahr. Denn nur im Bad ist man allein mit sich selbst und seinen Gedanken. Wenn man nackt ist, bleiben alle Klassenunterschiede vor der Tür.
Churchill soll über Bulgarien im Zweiten Weltkrieg gesagt haben, dass es ihm komisch vorkommt, dass ein Land, wo sich die Leute nach dem Baden gratulieren, Großbritannien den Krieg erklärt. Churchill hat anscheinend Ivans glückliches Gesicht nach dem Bad nie gesehen.
„Tschestita Bania“ – sagt meine Freundin M. zu ihm. Ich bin nicht so eifersüchtig wie der Nigerianer, aber ich muss aufpassen. Das nächste Mal badet Ivan anderswo. So bereichert er seine sozialen Kontakte.