Erstellt am: 22. 4. 2014 - 22:20 Uhr
The daily Blumenau. Tuesday Edition, 22-04-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Das Mittelgewicht ist/war die Gewichtsklasse von László Papp, Rocky Graziano, Jake LaMotta, Sugar Ray Robinson, Floyd Patterson, Carlos Monzón, Marvin Hagler oder Michael Spinks. Im Gegensatz zu heute, wo vier verschiedene von obskuren Geschäfte-Machern geführte Verbände ebensoviele eher wertlose Titel vergeben, war die Boxwelt 1963-66 noch fast (bis auf Cuba) geeint, weshalb Carters Top 3-Platzierung und sein WM-TItelkampf in seinem besten Jahr (1964) mehr wert sind als heute ein Titel. Die in einer heimischen Qualitäts-Zeitung gebrauchte Bezeichnung mittelmäßig ist angesichts der Tatsache, dass etwa Österreich nie jemanden in diesen lichten Höhen hervorgebracht hatte, mehr als entbehrlich.
#boxen #rassismus #civilrightsmovement
Am Osterwochenende ist er gestorben: Rubin Carter, den man "Hurricane" nannte, als Boxer einmal contender for the middleweight crown, weit übers Fachpublikum bekannt wurde er aber durch einen spektakulären Mord-Prozess, zwei mehr als umstrittene Schuldsprüche, einen langen Kampf für die Wiederaufnahme und einen finalen Freispruch nach fast 20 Jahren, eine Reihe prominenter Unterstützer, einen Bob Dylan Klassiker (Hurricane, gemeinsam mit Jacques Levy getextet, hier die einzig frei verfügbare Version davon, ein TV-Live-Auftritt der wie das Original die tragende Violine von Scarlet Rivera featured) und einen auf seiner Autobiographie beasierenden Norman Jewison-Film mit Denzel Washington, der The Hurricane hieß. Carter, besser sein Fall, seine Gerichts-Geschichte, ist ein unverrückbarer Teil der amerikanischen Populärkultur.
Ich habe heute durch diverse Obituaries geblättert, die je weiter vom Standort des Geschehens entfernt desto undeutlicher werden; ich habe Carters Quasi-vermächtnis in der New York Daily News gefunden, und dann in weiterer Folge auch ein paar Hintergründe über das Entstehen des Dylan-Stücks, das sich - wie jedes gute Protestlied, wenn es nicht in allgemeinem Die-sind-so-böse-Blabla festkleben will - durchaus an Fakten und Tatsachen orientiert, aber eine Grundthese verfolgt und die auch jenseits des konkreten Anklage-Falls sichtbar macht.
Als ich dann was über den Verbleib das Zeugen-Personal des Prozesses wie auch des Songs (Miss Valentine, die Kleinganoven Bradley & Bello) wissen wollte, bin ich auf zwei Seiten gestoßen, die den Fall Carter bzw den Lafayette Bar & Grill Triple-Murder Case bis aufs Kleinste sezieren.
Und, schau an, sowohl hier als auch hier wird mir eines ganz klar erzählt: Carter ist schuldig; oder besser: er muss schuldig sein.
Klar: zu jeder größeren Geschichte gibt es Verschwörungs-Theorien und sich festbeißende Trolle, das allein ist nicht weiter der Erwähnung wert. Interessant ist hier aber die Motivlage, die im einen Fall klar angesprochen wird, im anderen nur durchschimmert: der Stachel im Fleisch dieser Kritiker ist der rassistische Hintergrund des Falls. Der kann nicht wahr sein, weil er nicht wahr sein darf, alles Blödsinn, alles nur Zuschreibungen, alle beteiligten Weißen gute Christenmenschen, eh auch zwei Schwarze in der Jury.
In diesem Fall ist dann der recht schnell hingeschmissene Dylan-Text zu Hurricane wahrhaftiger als die penibel zusammengetragenen Fizzi-Fakten: weil er die Gesamtsituation, das Umfeld in dem der Fall Carter in der Öffentlichkeit verhandelt wurde, mitberücksichtigt, während die True/Not True-Checker das alles völlig außen vor lassen.
Bei Dylan heißt es über den Ort des Geschehens, Paterson, N.J.: "In Paterson that’s just the way things go/ If you’re black, you might as well not show/ up on the street/ ’less you wanna draw the heat".
Als ein Polizist Carter und seinen Kumpel Artis aufhält, weil die Beschreibung (weißer Wagen, zwei Schwarze) der flüchtigen Mörder auf sie passt, fragt Carter sarkastisch "Any two will do?".
Die US-amerikanische Alltags-Realität in der Rassenfrage stellt sich so dar, wie es zeitgleich in den Virgil Tibbs-Filmen und -Büchern beschrieben wird: jeder Schwarze, der in seiner Profession etwas erreicht, ist in erster Linie jemand, den es zu bekämpfen gilt. Theoretisch herrscht zwar Gleichheit, aber vor allem den Autoritäten geht es darum den Schwarzen ihren althergebrachten Platz zuzuweisen, den ganz hinten in der Respekts-Kette. Es herrscht Apartheid light. Und jeder Vorwand einen Schwarzen anzuschwärzen wird genutzt. Das ist repressiver Rassismus übelster Art; auch und vor allem von guten Christenmenschen praktiziert.
Später heißt es in Hurricane ganz beiläufig: "Four months later/ the ghettos are in flame/ Rubin’s in South America/ fightin’ for his name". Auch das ist wichtig: die Wehrhaftigkeit der Schwarzen steigt, es gibt Aufstände, Unruhen in den Ghettos, man beginnt sich zu organisieren (Black Panther startet, die Bürgerrechtsbewegung radikalisiert sich nach dem Tod von MLK, die Nation of Islam findet Anhänger).
Selbst der Sport, wo Schwarze lange Zeit zumindest eher geduldet wurden, ist in den Sixties Kampfzone. Kurz nach dem Carter-Fall folgt die bewusste, politisch motivierte Demontage von Muhammad Ali, der Umgang mit den Black Power-Protesten in Mexico 68; die weiße Vormacht, die white supremacy demonstrierte auch hier Härte.
In diesem Klima wird Carter, gegen den die Beweise nicht einmal ansatzweise ausreichen würden, durch gezielt abgesprochene Zeugenaussagen geframed und abgeurteilt.
Ich denke der Carter-ist-schuldig-Fraktion steht der aktuelle 2014er-Blick von und auf Rassismus im Weg. Klar sieht es heute anders aus, klar fühlt sich schlecht ausgebildeter White Trash gegenüber durch Förderprogramme zu besseren Chancen kommende Schwarze bedroht, klar kommt das Gegrummel vom umgekehrten Rassismus auf. Aber: selbst wenn das wahr wäre - mit den Realitäten der 60er hat das nix zu tun. Das anerkennen zu können und wollen, geht sich aber nur aus, wenn man imstande ist, Geschichte, die Vergangenheit, nicht aus der Jetzt-Perspektive, im Kontext aktueller Zustände zu sehen, sondern im Licht der damaligen Umstände.
So, und wenn sich jetzt einer/eine fragt, was "uns" hier in Österreich diese Rassisten-Kacke und historische Un-/Missverständnisse angehen: ich habe in der kurzen Beschäftigung mit diesem alten Fall so viele Parallelen zu österreichischen Zuständen und Zugängen von heute gefunden, dass es weh tut. Cal Deal unterscheidet wenig von Herbert Kickl. Die Argumentationslinien sind teilweise identisch. Rassismus gibt es nicht. Wenn man so modern und seriös ist, dass man das N-Wort nicht mehr verwendet, dann ist umgekehrt jeder, der den strukturellen Rassismus, der hinter vielen anderen Aussagen steht, anprangert, selber ein Ausgrenzer und also auch Rassist, der noch viel ärgere eigentlich.
Rassismus aus einem zeitgeschichtlichen oder gesamtgesellschaftlichen Kontext zu lösen und NLP-mäßig für den Gegenangriff zu verwenden, das ist kein Exklusivvorrecht des hässlichen Amerikaners mehr.