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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

22. 4. 2014 - 16:21

On the road to nowhere

"Durch das unendliche Weiß eines ewigen Winters rollt ein Zug über den vereisten Planeten, ein Zug, der niemals anhält." Der Schneekreuzer – ein Comicklassiker, der nun verfilmt wurde.

Es ist kalt draußen. Eisig kalt. Unvorstellbare Minus 80 Grad haben alles Leben zum Erfrieren gebracht.
Wie es genau zu dieser Eiszeit gekommen ist, weiß man nicht mehr. Man erinnert sich an einen Kriegsausbruch, einen Unfall, jedenfalls ein von Menschen ausgelöstes Ereignis, auf das eine tödliche Klimakatastrophe folgte.
Natürlich können bei dieser Kälte keine Menschen überleben. Bis auf jene, die es in den Schneekreuzer geschafft haben.

Der Schneekreuzer ist ein Zug mit tausend Wagen – ein Perpetuum Mobile - auf seinen Schienen dazu verdammt, ewig ziellos über den Erdball zu fahren.

zwei bilder aus dem comic der schneekreuzer

Jacoby & Stuart

"Durch das unendliche Weiß eines ewigen Winters rollt ein Zug über den vereisten Planeten, ein Zug, der niemals anhält.

Das ist die Ausgangssituation der Dystopie, die der französische Autor Jacques Lob Ende der 1970er Jahre entwarf. Für viele war die damalige Zeit ökologisch, politisch und gesellschaftlich dunkel: Öl-Krise, Waldsterben, Angst vor der Atomkraft, einem möglichen kalten Krieg.

Mit dem Schneekreuzer, diesem elendslangen Zug, hat Jacques Lob eine schlaue Ausgangssituation für die Post-Apokalypse geschaffen:
Ursprünglich war der Super-Luxuszug mit seiner außergewöhnlichen Maschine eine Art Kreuzschiff auf Schienen.
Es gibt Wagons mit Gärtnereien, in denen Obst und Gemüse gezüchtet wird - neben Wagen, in denen Fleisch gezüchtet bzw. fabriziert wird. Schneewasser kann geschmolzen und zu Trinkwasser verarbeitet werden - theoretisch können die Insassen also noch lange in diesem Zug leben.

comic schneekreuzer

Jacoby & Stuart

"In dieser abgeschlossenen Welt sind für die Reichen wie für die Verdammten die Wände ihrer Wagen der einzige Horizont."

Praktisch aber herrscht in den tausend Wagen, in dieser letzten Bastion der Zivilisation, eine gewaltsame ungerechte Gesellschaft, hierarchisch streng in drei Klassen geteilt.
Im hintersten Teil des Zuges, in den Wagen, die eigentlich nur für Konserven gedacht waren, vegetieren die Insassen der dritten Klasse - auf viel zu engem Raum, verwahrlost, nahe am Verhungern.
In der breiten zweiten Klasse lässt es sich schon ganz angenehm leben. Und an der Zugspitze schwelgen luxuriös die Passagiere der ersten Klasse, hauptsächlich die Hohen Tiere, die Militärs und die Spitzen des Apparats.

Die waren auf diese Reise wohl vorbereitet, stand der Zug direkt nach der Katastrophe doch auf wunderbare Weise abfahrbereit in einem Bahnhof. In aller Eile wurden damals noch weitere Wagen angehängt – die für die zweite Klasse und etliche Güterwagen, die eigentlich nicht für Passagiere vorgesehen waren. In genau jene aber haben sich in den Stunden vor der Abfahrt noch viele Verzweifelte gedrängt.

comic proloff wird befragt

Jacoby & Stuart

"Darf man sie wissen?" "Natürlich! Warum gehen Sie nicht einfach mal für eine Weile nach hinten? Dann werden Sie vielleicht verstehen, dass selbst der weiße Tod besser ist als dort zu leben."

Einer davon ist Proloff - die Geschichte beginnt mit seiner erfolgreichen Flucht von der dritten in die zweite Klasse. Diesen schwierigen Weg überlebt nur sehr selten jemand, deshalb soll Proloff an die Zugspitze zu den Führern gebracht werden. Man wolle die Zustände in der dritten Klasse kennenlernen, gibt das Militär vor.
Tatsächlich aber planen sie, die dritte Klasse vom Schneekreuzer abzuhängen, da der Zug immer langsamer fährt.

Interessanterweise liegt Proloff nichts an der Rettung der gesamten dritten Klasse. Mit dieser hat er abgeschlossen. Ihm geht es nur um seine Rettung.

Für soziale Gerechtigkeit setzt sich hingegen eine junge Frau ein. Die engagierte Adeline gehört zu einer Gruppe aus der zweiten Klasse, die Hilfe für die dritte Klasse organisiert.
Zwischen Proloff und Adeline entwickelt sich eine Beziehung.

Der Weg zu den Spitzen des Apparats und zur Lokomotive ist nicht nur weit, sondern auch beschwerlich und gerade nachts auch gefährlich.

Sozialkämpfe und Existenzängste dominieren diese Geschichte, die der Franzose Jacques Lob für den Zeichner Alexis schrieb. Alexis starb 1977 plötzlich und unerwartet am Zeichentisch. Erst fünf Jahre später fand Lob in Jean-Marc Rochette einen idealen Nachfolger, der damals mit seinen 25 Jahren ein absoluter Anfänger war.

Schneekreuzer

Jacoby & Stuart

Lob - Rochette - Legrand: Schneekreuzer. Aus dem Französischen übersetzt von Edmund Jacoby, Jacoby & Stuart, 2013

Mehrere Teile
Für Lob war die Geschichte abgeschlossen. Nach seinem frühen Tod 1990 sollten zehn Jahre vergehen, bis der Zeichner Jean-Marc Rochette sich an einen zweiten ("Der Landvermesser") und in Folge dritten Teil ("Die Überquerung") wagte.
Geschrieben wurden diese Teile von Benjamin Legrand, der neben Comics hauptsächlich Krimis und Science Fiction Literatur fertigt.

Der zweite und dritte Teil unterscheiden sich sowohl zeichnerisch als auch von der Erzähltechnik. Während es im ersten Band in klassischer Comictradition einen Helden gibt, dem man folgt - im wahrsten Sinne des Wortes durch den Zug - begleitet man in den beiden anderen Teilen mehrere Protagonisten und mit ihnen auch mehrere Erzählebenen.

Auch vom zeichnerischen Stil her ist der erste Teil sehr klassisch: eine möglichst realistische Darstellung in Schwarz-Weiß, mit harten Konturen und vielen Schraffuren.
Den zweiten und dritten Band hat Rochette mit Guachefarben gemalt.

Selbst wenn nicht alles in diesem Luxuszug schlüssig erscheint – die Grundidee ist spannend und das Erzählte erzeugt durchaus klaustrophobische Gefühle.

Der Comic-Klassiker aus Frankreich ist mit seinen fast eineinhalb Kilo zwar keine praktische Reiselektüre – trotzdem gerade für Zugfahrten zu empfehlen.

Verfilmung
2005 sicherte sich der koreanische Filmregisseur Bong Joon-hodie die Filmrechte für den Comic. "Snowpiercer" heißt sein Film - der basiert zwar auf der Graphic Novel, greift aber viele Aspekte des Comics nicht auf.