Erstellt am: 22. 4. 2014 - 11:36 Uhr
Herr C. greift zur Maus
"IIiiiii, eine Maus!"
Diese Panikbekundung hätte eine Rennaissance verdient.
Man stelle sich den gestrigen Abend von Herrn C. vor, dessen vollständiger Name der Redaktion zwar unbekannt, dem Autor dieser Zeilen aber sehr vertraut ist.
Herr C. kam nach einem erfreulichen Tag gegen neunzehn Uhr nach Hause und schaltete seinen Computer ein, da er einen Text schreiben wollte. Bevor er sich an die Arbeit machte, wärmte er sich noch vier Weißwürste auf, worauf jeder vernünftige Mensch einmal im Monat Lust hat. Da er beim Essen zusätzliche Sinneseindrücke begehrte, aß er das Mahl nicht in der Küche, sondern hockte sich in guter alter Nerd-Manier vor den Computer, um sich ein flankierendes Video anzusehen. Vom Video beschallt und bestrahlt schälte er die Würste und steckte sie eine nach der anderen in seinen Rachen. Herr C. neigt zwar zum Schlingen, schafft vier pralle Würste aber nicht unter 2:23, also sah er sich nach Wurst zwei gezwungen, das Mahl kurz zu unterbrechen, um ein neues Video zu suchen.
marc carnal
Eigentlich wollte Herr C. nun damit beginnen, seinen Aufsatz zu schreiben. Doch das jüngste Gericht hatte ihn derartig gesättigt, dass an konzentriertes Arbeiten vorerst nicht zu denken war.
Also verbrachte er die nächste halbe Stunde damit, sich an Kundenreaktionen auf Facebook zu erfreuen. Auf der Seite von BauMax fragt Nicole L.: "Wo bekommt man den Bau Max zu kaufen?" Renate E. lobt: "Ich finde es toll, dass in der Gartenabteilung die giftigen Sachen nicht mehr offen verkauft werden."
Weiter zu Hofer. Heinrich K. klärt auf: "kaufe zwei dreimal in der Woche bei hofer ein." Stefan K möchte wissen: "Liebes Hofer Team: Was ist mit den Salamipralinen?" Und Daniela B. fordert: "hab eine hand voll mäuler zu stopfen und würde mich über gutscheine freuen."
Schließlich noch ein kleiner Abstecher zu Billa. Anna P. hält fest: "man kriegt immer, ob man will oder nicht, und egal welche Wurst und zu welcher Uhrzeit man bestellt, eine Pikant (is leider in jedem Laden so, auch beim Fleischer). Ich find das sooo eklig. Kein einziges Wursradl ohne grausliche Waugerl. Ich kenn mich ja nicht aus hinter so einer Wurstbud'l, aber kann man da nix machen? Krieg ich irgendwie waugerlfreie Wurst?"
Früher fragte man sich manchmal, was das eigentlich für verschrobene Querulanten sind, die in ihrer Freizeit gerne erboste Leserbriefe an Zeitungen schicken. Dank des Internets weiß man nun, dass erstaunlich vielen Menschen die Lust am öffentlichen Nörgeln innewohnt, nur waren die früher wahrscheinlich zu faul, um dafür zu Papier, Feder und Kuvert zu greifen.
Herr C. hatte gerade noch mehrere waugerlfreie Würste gegessen, aber noch Gusto auf einen kleinen Bonus-Snack, also öffnete er eine Packung Salznüsse. Da er noch keine überzeugende Idee für den Aufsatz hatte, ließ er sich noch ein bisschen durch das Netz treiben und musste beim Anblick all der herrlich bunten Seiten feststellen, wie sehr er eigentlich das Internet schätzt.
Vieles spricht für dieses Medium, dem Experten eine große Zukunft vorhersagen: Man kann zum Beispiel online Lotto spielen und kommt in Windeseile an Musik, indem man einfach CDs bestellt, anstatt in Plattenläden zu gehen. Oft bekommt man anregende Zuschriften von sympathischen Damen, die ohne finanzielles Interesse Kontakt zu gepflegten Herren aus dem Westen suchen. Am besten ist, dass man sich keine langweiligen Urlaubsfotos von Freunden mehr ansehen muss, weil man behaupten kann, man hätte sie bereits auf Facebook gesehen. Außerdem ist das Internet unsichtbar und stinkt nicht. Doch natürlich hat das Internet auch Nachteile: Eine große Gefahr sind Viren. Durch das viele Surfen verbringt man viel Zeit in überheizten Räumen, das schwächt die Abwehrkräfte und man wird öfter krank. Und wenn man mit rechts onaniert, klickt man beim weiterskippen von einschlägigen Filmen mit der ungeschickteren Hand oft versehentlich auf die gefährlichen Werbebanner. Vor allem aber bekommt man viereckige Augen vom Internet.
marc carnal
Herr C. hatte zwar noch keine viereckigen, aber klebrige Augen und musste an diesem Abend auch zahlreiche Male niesen, da er unter Pollenallergie leidet.
Er hadert mit diesem Defizit, war er doch bis vor einigen Jahren froh darüber, sich im exklusiven Zirkel jener zu wähnen, die frei von Unverträglichkeiten oder Allergien durchs Diesseits schreiten (und den Unterschied zwischen Allergie und Unverträglichkeit auch nicht kennen). Was die Leutchen alles nicht vertragen! Gespräche wie das Folgende entspringen nicht etwa der Lust des Autors an der Überspitzung:
"Am Freitag kommen Anna-Maria, Anna-Lena, David, André und seine Freundin Toni zum Abendessen. Hast du Lust zu kochen?"
"Ja klar. Ich werd am Nachmittag mit Robert die Watchlist für die Ersatz-DJs am feministischen Minigolfturnier besprechen und bin dann so gegen sieben zu Hause. Was soll ich denn machen?"
"Vielleicht was ohne Milchprodukte, also Kuhmilchprodukte, Anna-Maria hat ja Laktose-Intoleranz."
"Weiß ich, und André ist ja sowieso Veganer, oder?"
"Stimmt. Und Toni kennst du noch gar nicht, oder? Die isst nämlich kein Weizenmehl."
"Allergie?"
"Nein, Unverträglichkeit."
"Ach ja, das war David mit der Allergie."
"Nein, David isst aus politischen Gründen keinen Weizen. Und Anna-Lena muss während der Hasel- und Eschenblüte auf Sorbit, Zitrusfrüchte, Hülsenfrüchte, Hausstaub und Latex verzichten, ist aber dafür bei Bio nicht so konsequent."
"Aber dafür ist David bei bio total konsequent. Und Kartoffeln schmecken ihm nicht, oder?"
"Doch, er mag halt nur gekochte oder gedünstete Kartoffeln, aber keine gebratenen. Und André isst grundsätzlich nichts Warmes nach dreizehn Uhr."
"Und Anna-Maria kaut jeden Bissen vierzig Mal, oder?"
“Ja aber sie isst auch nichts, was mit Plastik in Berührung gekommen ist und speist grundsätzlich nur am Boden."
"Ich dachte, das wäre Anna-Lena, die nichts mit Plastik isst."
"Nein, Anna Lena isst nichts mit negativer CO2-Bilanz. Wie übrigens auch Toni, außerdem isst die grundsätzlich keine Schalen, nichts aus Kärnten und verträgt keine Gluten."
"Aber David darf jetzt wieder Gluten, oder?"
"Er darf, isst aber jetzt aus religiösen Gründen weder Gluten noch Tiefgekühltes."
"Alles klar, ich freu mich schon."
Diamond Films
Dieser kleine Dialog entspringt der Feder von Herrn C., wie auch der Rest dieses Aufsatzes, den er zu später Stunde schließlich doch noch schrieb. Die ver-prokrastinierten Stunden zuvor hätte er freilich lohnender zubringen können, aber immerhin gelang ihm ein ganz ansehnlicher Text, der unter anderem davon berichtet, dass sich Herr C. im Laufe seines virtuellen Müßiggangs Weißwürste und Salznüsse einverleibt, nicht selten geniest und geschneuzt und die Möglichkeit des Konsums von erotisch stimulierenden Inhalten im Internet womöglich nicht nur in einem Nebensatz erwähnt, sondern auch tatsächlich in Anspruch genommen hat. Und ob er dabei… nun, wie drückt man das möglichst diskret aus?... ob er dabei womöglich gar die Preziosen seines stattlichen Körpers poliert hat? Wir wissen es nicht.
Ebenso wenig wissen wir, ob Herr C. zwischendurch auch Nasenmänner, Winterkirschen oder Hautpilzflechten geerntet und in seine fettigen Haare geschmiert hat. Auf jeden Fall wissen wir, dass er regelmäßig auf seine Computermaus gelangt hat. Und wenn wir uns vor Augen führen, wie viele unappetitliche Substanzen die Hauptfigur dieser Geschichte an nur einem einzigen Abend auf seinen Pratzen kleben hatte und wie viele ähnlich gestaltete Abende Herr C. regelmäßig zubringt, Abende, die auch großen Teilen der Leserschaft nicht ganz fremd sein dürften, dann ist es wirklich erstaunlich, wie schwach der allgemeine Ekel vor Computermäusen ausgeprägt ist. Gedankenlos greift jedermann auf jedermaus, niemals hört man ein berechtigtes