Erstellt am: 21. 4. 2014 - 18:00 Uhr
Release Your Problems
"James Blake ist Schuld", meint Kollegin Katharina Seidler und ich kann ihr nur beipflichten. Der blasse britische Produzent zieht einen Rattenschwanz ähnlich gepolter und gleich alter Kollegen nach sich, die sich in den letzten Jahren wie nasse Gremlins vermehrt haben.
Future Classic
Musiker wie SOHN, Jamie Woon, The Weeknd, James Vincent McMorrow oder Chet Faker widmen sich ebenfalls der Introspektion verwirrter und zerbrochener Gefühlswelten auf der Basis von verschlafenen Beats, reduzierter Samples und softer Synthies. Wobei Chet Faker, der aktuelle FM4 Artist of the Week, weit weniger fragil und melancholisch als der Pionier James Blake klingt.
Bereits 2011 wurde für diesen entschleunigten Neo-Soul und zeitgenössischen RnB eine neue, ziemlich blöd klingende Genre-Schublade aufgemacht - ihr könnt schon mal die virtuelle Steinschleuder rausholen und Munition zum Ablästern sammeln – sie heißt PBR&B und ist eine Wortkreuzung der amerikanischen Hipster-Biermarke Pabst Blue Ribbon und RnB.
Chet Faker
Mit seinem Vollbart und dem ironischen Pseudonym passt Chet Faker auch gut ins Hipster-Klischee. Der Name Chet Faker ist eine Verbeugung vor dem legendären Jazz-Musiker Chet Baker, dessen Gesangsstil auf Nick James Murphy, so heißt Chet Faker bürgerlich, großen Einfluss hatte: "He wasn’t a very good singer, but he used his voice to make his music more powerful. So it’s a very understated singing technique and that’s something I wanted to maintain in my music."
Die Karriere von Chet Faker ist eines dieser kurzlebigen "Über Nacht zum Star"-Märchen: 2011 veröffentlicht er ein Cover von Blackstreets Hip-Hop-Hit "No Diggity" auf Soundcloud und Youtube. Es war die erste Nummer, die er nach einer Laufbahn in zahlreichen Bands solo veröffentlicht hat und dann auch gleich eingeschlagen hat wie ein mittelgroßer Asteroid in die Musikblogs wie Hype Machine.
Es ist eine große Kunst, in Zeiten, wo jeder mit einem süßen Haustier reichlich Internet-Fame abstauben kann, die Aufmerksamkeitsspanne so lange wie möglich zu halten und das ist Chet Faker gelungen: 2012 kam die von Kritikern gelobte "Thinking In Textures"-EP heraus und die Kollaboration mit seinem australischen Kollegen Flume hat ebenfalls für Aufsehen gesorgt.
Obwohl ihm das Glück, gleich mit der ersten Nummer den Durchbruch zu schaffen, selbst ein bisschen unheimlich ist, hat er sich davon nicht stressen lassen. Zwei Jahre lang hat er am Debüt-Album "Built on Glass" in einem alten Kühlhaus in seiner Heimatstadt Melbourne gearbeitet und gleich zweimal hat er alles verworfen und wieder von vorne begonnen. Er ist eben Perfektionist und hat bis auf die Gitarre im letzten Song "Dead Body" alles selber eingespielt. Eine Tatsache, die er ohne sein Tontechnik-Studium nicht geschafft hätte: "That was huge, really helpful. It was probably the best musical education I had. I wouldn’t have been able to record the Album the way I did if I hadn’t studied this."
Seine Songs sind Tagebuch-Einträge über Liebe, Leid, Freundschaften und innere Zerrissenheit. Chet Faker macht sich dabei laut Eigenaussage so durchsichtig wie Glas, was auch zum Albumtitel geführt hat: "'Built On Glass' is a Metaphor. Glass is fragile, it’s transparent, it’s honest. Glass helps to frame things. This record is about personal experiences."
Der erste Song des Albums, "Release Your Problems" startet mit Slow-Motion-Beats und einem dezenten Piano und gemäß dem Songtitel kann man jetzt die Sorgen draußen lassen. "Built on Glass" ist ein Wohlfühlalbum, es bietet zenmäßige Entspannung auf einem Wasserbett aus Baldriantropfen. Beim zweiten Song, der Single "Talk Is Cheap" kann man dann schon die Hüllen fallen lassen. Es ist die ideale Klangtapete zum Herummachen mit sleazy Beats, dezentem Saxophon-Gesäusel und Textzeilen wie "I wanna make you move with confidence. I wanna be with you alone".
"Built on Glass" ist ein zweigeteiltes Album, basierend auf dem Konzept einer Schallplatte: die ersten sechs Nummern bilden die soulige A-Seite, Track Nummer Sieben heißt "/" und markiert den Wendepunkt. Man hört das Kratzen einer Nadel am Ende einer Vinylrille. Die B-Seite ist dann deutlich elektronischer und bewegt sich in Richtung Downtempo und House.
In seiner Musik verbindet Chet Faker die musikalischen Vorlieben seiner Eltern. Die Mama steht auf Motown, der Papa auf Ibiza-Chill-Out-Sound und der brave Sohn mach aus beidem Eins: modernen Soul.
Der persönlichste Song ist für Chet Faker das mit acht Minuten längste Stück des Albums "Cigarettes & Loneliness". Es zählt neben "Talk Is Cheap" und "To Me" zu den Höhepunkten, Nummern wie die Kollaboration "Melt" mit der New Yorker Sängerin Kilo Kish oder "Lessons In Patience" können da leider nicht ganz mithalten.
Chet Faker spielt beim FM4 Frequency Festival im August 2014.
"Built On Glass" ist ein eingängliches Konsens-Album ohne Ecken und Kanten, das sich bestens eignet um im trendigen Cafe-Latte-Hotspot oder einer verrauchten Bar im Hintergrund zu laufen. Wobei ihm das auch nichts ausmacht, der 25-jährige hat nichts gegen unaufgeregte Fahrstuhlmusik.
Ein großer Wurf klingt zwar anders, dennoch ist es ein gelungenes Debüt-Album, wärmend und entspannend wie die Frühlingssonne.