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Pia Reiser

Filmflimmern

15. 1. 2015 - 15:55

Oscar-Nominierungen 2015

Die Academy hat ihre Liebe zu Wes Anderson entdeckt: Neun Nominierungen für "The Grand Budapest Hotel", ebenfalls neun für "Birdman". Und viel wichtiger: Eine Nominierung für The Loney Island!

Kühlt den Sprudel ein und lasst die gepflegte Hysterie, das kleine Wettfieber und die Vorfreude beginnen und bereitet Zündhölzer vor, die man sich bei Bedarf in den frühen Morgenstunden der Oscarnacht zwischen die Augenlider klemmen kann: die Academy of Motion Picture Arts and Science hat die Oscar-Nominierungen heute bekannt gegeben.

Michael Keaton und Edward Norton in Birdman

Viennale

"Birdman": Neunmal nominiert

Der Birdman und der Concierge

Acht Filme gibt es heuer in der Königskategorie "Best Picture": "American Sniper", "Birdman", "Boyhood", "The Theory of Everything" "The Grand Budapest Hotel", "The Imitation Game", "Selma" und "Wiplash". Die meisten Nominierungen - je neun - haben "Birdman" und "The Grand Budapest Hotel - beides keine "wahren Geschichten", die die Academy doch so liebt. Juche!

Knapp auf den Fersen folgt "The Theory of Everything", James Marsh Biopic über Stephen Hawking (wahre Geschichte, Genie, Liebe und Krankheit: eine klassische Oscarmischung). Der ganz große Nominierungssiegeszug für Richard Linklaters "Boyhood" ist ausgeblieben, immerhin sechs Nominierungen - ebensoviele hat auch Clint Eastwoods "American Sniper" einheimsen können, der ist wohl genau am anderen Ende des us-politischen Spektrums als "Boyhood" angesiedelt, "a republican plattform movie" nenn es der Vulture-Blog.

Nominiert als "Best Director" - und nur die Filme von diesen Regisseuren haben wohl realistische Chancen auf den Oscar als "Best Picture" sind: Alejandro González Iñárritu ("Birdman"), Wes Anderson ("The Grand Budapest Hotel"), Bennet Miller ("Foxcatcher"), Richard Linklater ("Boyhood") und Morten Tyldum ("The Imitation Game").

Filmstill "Boyhood"

Universal

"Boyhood": Sechsmal nominiert

Die größte Seltsamkeit für mich momentan ist, dass "Foxcatcher"-Regisseur Bennet Miller zwar nominiert wurde, der Film es aber nicht in die "Best Picture"-Kategorie geschafft hat. (Ich hätte ja auch "Foxcatcher"-Kameramann Greig Fraser unter den Nominierten bei "Best Achievment in Cinematography" erwartet und erhofft).

Anderson und die Oscars

Die größte Überraschung ist wohl, wie sich Wes Andersons "The Grand Budapest Hotel" in den letzten Monaten zum wichtigen Mitspieler im Oscar-Rennen entwickelt hat. Anderson war bis jetzt alles andere als ein Liebling der Academy (für seine Filme gab es zwei Nominierungen für "Best Screenplay", einmal "Best Original Score" und einmal "Best Animated Feature"und gewonnen hat er nie), umgekehrt scheint aber auch Anderson einer zu sein, der wenig Interesse an Aktivitäten wie "campaigning" hat. Ist ein Film fertig, steckt er mit dem Kopf schon im nächsten Projekt (er ist aber auch kein genereller Award-Grantscherben wie Joaquin Phoenix; auf die Frage, "Do you care about awards?" antwortet er "I would if I had won more.".)

Überraschend an der Nominierung von "The Grand Budapest Hotel" in 9 Kategorien ist auch etwas ganz Banales, nämlich das Startdatum des Films. "The Grand Budapest Hotel" ist Anfang März 2014 in den USA gestartet und somit ja schon wieder aus den greisen Hirnen der Mitglieder der Academy verschwunden. (Statistisch gesehen wächst die Chance auf einen Oscar mit einem späteren Startdatum).

Ralph Fiennes in "The Grand Budapest Hotel"

centfox

Darauf mal einen Damenspitz: Neun Nominierungen für "The Grand Budapest Hotel"

Testosteron wohin man schaut

Wer also außer Andersons pittoreske Figuren bevölkern die Filme in der "Best Picture"-Kategorie? Da findet man Schlagzeuger, Kriegshelden, Astrophysiker, Autoren, Kryptographen und einen junger Mann, dem wir beim Aufwachsen zusehen. Die Narrative dieser Kategorie (va die, die sich mit "Best Director" überschneiden) bersten vor Testosteron. (Die Riege der nominierten Regisseure auch, aber das spiegelt auch einfach nur den Mangel an Regisseurinnen im amerikanischen Filmzirkus).

In den Filmen der "Best Picture"-Kategorie und deren Fokus auf männliche Hauptfiguren war noch nichtmal wirklich Platz für weibliche Hauptrollen. Es gibt zwei Überschneidungen zwischen der "Best Picture"- und der "Best Actress in a leading role"-Kategorie: Keira Kneightley in "The Imitation Game" und Felicity Jones in "The Theory of Everything" (als Ehefrauen von Männern, die man generell als genial betrachtet. Beides: True stories).

Oscars und Arthaus

Doch wo das Östrogen fehlt, ist der independent film, der - "Nicht-Blockbuster"-Anteil - ziemlich hoch: "Boyhood", "Birdman" und "The Grand Budapest Hotel" stehen visuell und narrativ im Kontrast zum klassischen "Oscar-Film", wie ihn zB "The Imitation Game" verkörpert. Das freut alle, die sich schon seit Jahren wider besseres Wissen die Übertragung der Preisverleihung anschauen obwohl man nicht weiß, ob man eher an der Urteilsfähigkeit oder der Vorhersehbarkeit der AMPAS verzweifeln soll. Und eigentlich wünscht man sich doch nur eine kleine Abwechslung beim alljährlichen Abfeiern der Narrative, die auf wahren Begebenheiten oder Bestsellern beruhen und so gerne heldenhafte Leidensgeschichten mit finalem Triumph erzählen. Nun, ein alternder Schauspieler mit telekinetischen Fähigkeiten, ein Concierge der alten Schule in einer putzigen Wes Anderson-Schuhschachtelwelt und ja, auch der junge Mann, dem wir beim Aufwachsen zusehen, sind genau so eine Abwechslung.

Manche haben sogar den Begriff "Arthaus" aus der Schublade geholt. Genau dieser Begriff macht aber wiederum die Hände der Verantwortlichen für die Preisverleihung ein wenig schwitzig: Bei den nominierten Filmen hält sich die Nummer derer, die sich an ein Massenpublikum richten, in Grenzen - und das hatte bis jetzt immer direkte Auswirkungen auf die Anzahl derer, die sich Sonntag Abend dann das Oscar-Spektakel im TV anschauen (und nicht etwa wie am diesjährigen Ausstrahlungstag möglich - "Girls" oder "The Walking Dead). Was macht man also, um an die guten Einschaltergebnisse aus dem letzten Jahr anzuschließen: Man stellt ein Werbebudget von über 5 Millionen Dollar auf.

Die Geschichte zählt

Dass bei Filmen, die sich bei den Oscars durchsetzen, es vorrangig um deren Geschichte geht, ist bekannt. Und natürlich auch um das Narrativ, das die Filme und ihre Mitwirkenden umgibt. Bei "Boyhood" hat wohl die Entstehungsgeschichte des Films (12 Jahre!) maßgeblich zu dessen Triumph beigetragen hat und ist im Grunde genau so eine Erzählung von Mühsal mit anschließendem Triumph, wie sie die Academy so gerne hört.

Da Birdman bin imma nu i

Ebenso ist die überraschende wie umwerfende Rückkehr von Michael Keaton mit "Birdman" auf die Leinwand (und ins Kinogeherbewusstsein) auch eine Geschichte über die Unberechenbarkeit des sogenannten Showbusiness (ebenfalls ein Thema, das die AMPAS herzt). Dass Keaton nicht nur mit einer Paukenschlag-Präsenz zurückkehrt, sondern dass Inarritus "Birdman" auch gleich noch mit Keatons persönlicher Geschichte spielt, sie ein wenig spiegelt und zitiert, ist natürlich das Tüpfelchen auf dem triumphalen Comeback-"i": So wie es im letzten Jahr einen Oscar für Matthew McConaughey geben musste, weil die Geschichte vom nicht ernstgenommenen Surferboy zum verehrten Charakterschauspieler eine zu verlockende ist, um sie nicht mit einer Statuette zu belohnen, muss eigentlich dieses Jahr der Award an Keaton gehen. An den, mit dessen Rückkehr man nicht gerechnet hatte.

Best Actor

Hingegen könnte Benedict Cumberbatch (nominiert für "The Imitation Game") ein DiCaprio-Schicksal blühen. Einer, der so verlässlich umwerfend spielt, dem kann man ja im nächsten Jahr auch einen Oscar geben. Oder im Jahr darauf. Oder halt irgendwann einen fürs Lebenswerk. Außerdem, der Mann heiratet und wird Vater, das genügt ja auch mal an Großereignissen.

Keatons Konkurrenten in der Kategorie "Best Actor in a leading role" - neben Benedict Cumberbatch ("The Imitation Game") - sind Bradley Cooper für Clint Eastwoods muskelbepackte True Story "American Sniper", Steve Carrell als batshit crazy Millionär in "Foxcatcher" und Eddie Redmayne als Stephen Hawking in "The Theory of Everything". (Vier Mal: True Story also).

Best Actress

Als quasi schon eingeritzt im Oscarsockel gilt der Name "Julianne Moore", nominiert als "Best Actress in a leading role" für ihre Rolle der an Alzheimer erkrankten Linguistin in "Still Alice". Krankheits-Geschichten, ebenfalls so ein Steckenpferd der Oscars. Moore hätte dann gleich Gelegenheit, die Dinge zu verbessern, die ihr an ihrer Dankesrede bei den Golden Globes nicht so gefallen haben. Außer Krankheitsgeschichten liebt die Academy auch wahre Geschichten, in diese Kategorie fallen Reese Witherspoons Darstellung von Cheryl Strayed, die 1995 von der Mojave Wüste bis nach Kanada wandert und dabei zu sich selbst findet und Felicity Jones' Rolle als Jane Wilde-Hawking, Autorin und Stephen Hawkings Ehefrau in "The Theory of Everything", Rosamund Pike in "Gone Girl" und - das war vielleicht die größte Überraschung: Marion Cotillard für "2 Days, 1 Night".

Julianne Moore in "Still Alice"

Filmladen

Arquette als Favoritin

Wie "Best Actress in a leading role" hat auch "Best actress in a supporting role" bereits eine Favoritin:
Patricia Arquette wurde für ihre Rolle in "Boyhood" bereits mit dem Golden Globe ausgezeichnet. Wer sich jetzt fragt, wo bleibt eigentlich Meryl Streep, hier ist sie: Nominiert für ihre Rolle im Märchen-Musical "Into the Woods". Ansonsten mit dabei: Laura Dern als Frohnatur trotz widriger Umstände in "Wild", Keira Knightley in "The Imitation Game" und Emma Stone als Michael Keatons Tochter in "Birdman". Ich mochte vor allem Emma Stone sehr, denke aber, dass wir am 22. Februar nochmal eine schöne Rede von Patricia Arquette hören werden.

Patricia Arquette in "Boyhood"

UPI

Patricia Arquette in "Boyhood"

Schlag das Zeug!

Bei "Best Actor in a supporting role" gilt JK Simmons für seine Darstellung als brutaler - Achtung jetzt kommts - Schlagzeug-Lehrer in "Whiplash". Geht der Oscar tatsächlich an Simmons, so kann man das wohl auch als Auszeichnung für seine jahrzehntelange, stets fantastische Arbeit sehen, vom überdrehten Chefredakteur in "Spider-Man" zum umsichtigen Vater einer schwangeren Teenagertochter in "Juno". Seine Konkurrenz ist groß: Edward Norton brilliert in "Birdman" als egomanischer Schauspieler mit Fähigkeit zur Selbstkritik, Ethan Hawke ist der Vater in "Boyhood", der ebenfalls eine "coming of age"-Entwicklung macht und Mark Ruffalo, die sanfte Tinseltown-Seele ist der geerdete Dritte im Bund in "Foxcatcher", zwischen dem mehr als exzentrischen Steve Carrell und dem wortkargen, strauchelnden Channing Tatum. Das Herz zwischen Hirn und Hand, um "Metropolis" als Metapher zu bemühen. Außerdem nominiert in der Kategorie: Robert Duvall in "The Judge", den hab ich leider noch nicht gesehen.

JK Simmons in "WHiplash"

Sony

Drummer-Drama: JK Simmons in "Whiplash"

Sorgenkind Selma

"Selma" ist das Sorgenkind der Award Season, da machen auch die Oscars keine Ausnahme (2 Nominierungen sind es geworden) dabei wäre die Geschichte über Martin Luther Kings Protestmarsch nach Alabama und die Bemühungen seiner Bürgerrechtsbewegungen, dass das Wahlrecht für Schwarze tatsächlich exekutiert wird, ja ansich auch prädestiniert für einen Oscar-Raubzug (und eine Frau am Regiesessel würds auch noch obendrauf geben). "Selma" hat aber zunächst einmal das nicht unwesentliche Problem, dass der Film den Originalwortlaut von Kings Reden nicht verwenden durfte, die Rechte liegen bei - genau! - Steven Spielberg und dann wurden auch noch keine Screener an die Mitglieder der Producers Guild ausgeschickt - deren Mitglieder stimmen zwar nicht bei den Oscars ab, doch der beste Film bei den Oscars war bis jetzt immer einer, der auch bei den PGA ausgezeichnet wurde und "Selma" findet sich da nicht unter den Nominierten. Mit der Nicht-Nominierung von David Oyelowo für seine Rolle als Martin Luther King sind somit die Oscars 2015 "the whitest oscars since 1998". Die Empörung über die fehlende Diversität bei den Oscars ist nur nicht wirklich sinnvoll, man kann ja auch nur Filme nominieren, die es gibt und es ist seit Jahrzehnten so, dass überwiegend weiße Männer Filme für weiße Männer machen und sie mit weißen Männern besetzen. Und wer stellt den Großteil der Academy? Genau. "Selma" hätte der Film sein können, der eine schwarze Regisseurin ins Spiel bringt, doch nicht nur die nicht verschickten Screener waren ein Problem, sondern auch laute Kritik an der Darstellug historischer Ereignisse.

Die Krux mit der geschichtlichen Genauigkeit

Bei "Selma" wie bei fast allen "wahren Geschichten" gerät die Rezeptionskultur irgendwann an den Punkt, wo die geschichtliche Genauigkeit in Frage gestellt wird. (siehe: "Foxcatcher", "The Theory of Everything" oder auch "The Imitation Game").

Bei "Best Picture in a foreign language" fehlt (für mich) der schwedische "Force Majeure", über den ich schon so viel Gutes gehört hab, zum Favoriten "Ida" (Polen) gesellen sich folgende Filme - die alle so heißen, wie sich die Academy wohl "ausländische Filme" vorstellt: “Leviathan” (Russland), “Tangerines” (Estland), “Wild Tales” (Argentinien) und “Timbuktu” (Mauretanien).

Der größte Snub ist sicherlich die Nicht-Nominierung, ja, die noch nichtmal Qualifizierung, von Antonio Sanchez' herrlich verschleppt-hypnotischen und doch treibenden Score von "Birdman".

Und wer sich fragt, warum es nicht mehr Filme gibt, die sich mit den Oscars selbst beschäftigen, nun, bald gibt es einen, der das Thema streift: In David Finchers Remake von "Strangers on a train" wird Ben Affleck einen Schauspieler geben, der mitten in einer Oscarkampagne steckt, statt in einem Zug, treffem die beiden titelgebenden strangers" in einem Flugzeug aufeinander. (Ich hoffe auf einen Samuel L Jackson Cameo, "I've had it with this motherfucking strangers on a motherfucking plane". haha).

Vom dicken Werbebudget in Sachen Bewerbung der Veranstaltung ist bis jetzt wenig sichtbar geworden (wir erinnern uns ja auch an Zeiten, in denen man uns quasi im Sekundentakt ein neues Social Media Fitzelchen vor den Latz knallte). Neil Patrick Harris (Doogie Howser für die einen, Barney Stinson für die Anderen, Dr Horrible für manche und "der älteste Bruder aus Malcolm in the Middle" für die, die gern unrecht haben) wird moderieren, Ellen deGeneres wollte sich die Bürde nicht ein drittes Mal aufhalsen. (Und sie wird schwer zu schlagen sein, wie soll man das "Superselfie", das Twitter lahm gelegt hat, toppen?). Aber freuen wir uns jetzt mal darüber, dass The Loney Island/Tegan&Sara für den Song "Everything is awesome" aus "The Lego Movie" nominiert sind, das sollte uns zumindest schonmal einen fantastischen Moment in der Oscarnacht bescheren.

Neil Patrick Harris vor Oscarstatuette und Weihnachtsgeschenken

AMPAS

Am 22. Februar 2015 findet die Verleihung der Academy Awards statt, begleitend dazu gibt es hier wieder den Live-Ticker vom roten Teppich bis zum verstörenden Kinderprogramm auf ORF1 und hoffentlich mit euch als griechischem Chor und einer analysierenden Postingballade zu Man Buns (so last year!), wardrobe malfunctions, Eröffnungsdialogen, Dankesreden, Gesangseinlagen und natürlich den Oscargewinnern. Ich freu mich jetzt schon.