Erstellt am: 21. 4. 2014 - 18:18 Uhr
The daily Blumenau. Easter Edition, 20-04-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
#ostern
Ich habe nichts gegen Familie, einige meiner liebsten Menschen sind Familie.
Familie, das größere Ganze jenseits der Kernfamilie, egal wie blutbündig oder patchworkend, zeigt sich am wahrhaftigsten zu Ostern. Weihnachten ist von jahreszeitlich nötigen und lagerkollermäßigen Dramen überzuckert, womögliche gemeinsame Urlaube bieten Fluchtzonen - Ostern liegt in der Mitte der Normalität.
Familie reagiert auf das Leben und seine dauerhaften Veränderungen wie die ÖVP: mit einer Mikro-Evolutionspraxis, die die grundlegende Substanz nicht angreift, ja nicht einmal in Erwägung zieht sie zu hinterfragen. Familie funktioniert so wie der durchschnittliche Arbeitsplatz, auch der in den Medien, wo der Veränderungswille nicht viel weiter als bis zur Nasenspitze des eigenen Vorteils reicht.
Familie ist gleichzeitig der beste Regulator und Eindämmer für Überkandideltes und das Best Practice-Beispiel für das Verdrängen, ein Fanal für das Leben mit dem Unan/ausgesprochenen. Familie erzählt alles Wissenswerte über passiv-aggressive Verhaltensweisen und über kontinuierliche Destruktivität; Familie ist ein Hort für den unausweichlichen Zwiespalt zwischen Nicht-Anerkennen-Können-von-Erreichtem und von Scheinwehrhaftigkeit geprägter Apathie.
Familie ist der Ausgangspunkt für ein durchgehend kindliches Verhalten – früher hätte man das pubertär genannt; heute ist es ein gesamtgesellschaftlicher Zugang. Der Ursprung allen Nicht-Zuhören-Könnens, des beleidigten Leberwurst-Daseins, des fehlenden Formulierungswillens für Unbill, der Abwesenheit von Widerstandsfähigkeit, die Mutter des Hinnehmens. Alles einst exklusive Ausdrucksformen des pubertierenden Teenagers – heute Alltag in jedem von uns.
Und nein, nicht erst seit den Baby-Boomern, also meiner Generation, der ersten, die sich weigert nach dem Vorbild der Altvorderen zu altern. Gerade die heutige Pensionisten-Generation lebt diese Pubertierung in all ihrem Widersinn vor, die besserwisserischen Protestbürger, die das, was sie in ihrer aktiven Zeit als Politiker oder Medienmacher nicht zusammengebracht haben, dann durch eine Kultur der hämischen Zurufe von der Nachfolge-Generation einfordern. Und damit eine Lawine lostreten, die durch nichts zu bremsen sein wird. Weil sich zunehmend machtloser Werdende zunehmend mit diesen Tertiär-Tugenden zufriedengeben werden und ein differzierungsfreies Leben zwischen Daumen-Rauf und -Runter führen wollen.
Die Basis dafür wird in der Familie gelegt, wo nicht nur schlechte Tugenden und opportunistischer Fundamentalismus, sondern auch Grant und Bitterkeit weitergegeben wird. Die Familie ist in viel zu wenigen Bereichen und bei viel zu wenigen Gelegenheiten die Tankstelle für emotionale Kraft, sondern wieder zunehmend die Abgabestelle für persönliche Prinzipien, das Amt für den kleinsten gemeinsamen moralischen Nenner.
Die Familie hat sich vor allem in der westlichen Wertegemeinschaft nach 9/11 deutlich an die archaischen Prinzipien diverser Vergangenheiten angenähert, lässt sich noch leichter als Ort des Bewahrens und der Abschottung nach außen missbrauchen.
Und obwohl Familie, als kleinste soziale Gemeinschaft, die Grundlage für menschliche Organisationsformen ist, vom Clan bis hin zur staatlichen Gemeinschaft, werden die zentralen sozialen Kitt-Stellen unserer Gesellschaft zunehmend gegeneinander aufgerechnet und ausgespielt. Die gezielte Verunglimpfung des Staats und die gleichzeitige Überbewertung der Kernfamilien etwa dienen der verstärkten Kontrolle der Gesellschaft – und nirgendwo schimmert der erzkatholische Schuld-und-Sühne-Mechanismus stärker durch als hier.
Ich habe die aktuellen Statistiken nicht parat, aber die Faustregel, dass 80% aller Fälle gegen Leib und Leben im (durchaus erweiterten) Familienkreis stattfinden, gilt immer noch; Missbrauch findet praktisch ausschließlich im Schoß der Familie statt, so gesehen gilt für Priklopil tatsächlich die Einzeltäter-These.
Ich habe nichts gegen Familie, einige meiner liebsten Menschen sind Familie. Und zu Ostern überfordert sie mich in nur geringem Maß.