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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

19. 4. 2014 - 15:20

Wie ich mir das Glück vorstelle

Martin Kordićs Debütroman erzählt den Bosnienkrieg aus der Perspektive eines Kindes.

Ein Buch aus der Perspektive eines Kindes zu schreiben, kann leicht schiefgehen. Entweder klingt alles viel zu niedlich oder dem Kind werden Worte in den Mund gelegt, die es nie verwenden würde. Der deutsche Autor Martin Kordić hat allerdings genau den Mittelweg gefunden. In seinem Debütroman "Wie ich mir das Glück vorstelle" nimmt der 30-Jährige die Perspektive eines kleinen Jungen ein, der von seinem Leben im Bosnienkrieg erzählt.

Cover Wie ich mir das Glück vorstelle

Carl Hanser Verlag

Zuerst kämpfen die Mudschis zusammen mit den Kreuzern gegen die Krieger in den Bergen. Als die tot sind, kämpfen die Kreuzer gegen die Mudschis, weil die Kreuzer die Stadt jetzt für sich allein haben wollen. Irgendwann ist aber die ganze Stadt kaputt und keiner weiß mehr, worauf er überhaupt schießen soll. Also schießen sie weiter in die kaputten Häuser.

Mit diesen Worten fasst der kleine Viktor den Bosnienkrieg zusammen - und damit die Rivalitäten zwischen den muslimischen Bosniaken, katholischen Kroaten und orthodoxen Serben in den 90er-Jahren.

Als der Krieg ausbricht, ist Viktor gerade sechs Jahre alt. Bei einer ethnischen Umsiedelung wird er von seiner Familie getrennt und landet im Waisenhaus einer Gebetsgemeinschaft. Nach dem Ende der Kampfhandlungen kehrt er schließlich in die Trümmer seiner Heimatstadt zurück, wo er sich gemeinsam mit einem Einbeinigen und einem Hund durchschlägt:

Ich muss durch die Straßen ziehen, in die sich keiner mehr traut. Ich muss alles einsammeln, was der einbeinige Dschib für uns gebrauchen kann. Ich soll vor allem Geschosse und Raketenteile suchen. Ich muss aufpassen. Es kann immer sein, dass da noch was in die Luft fliegt, wenn ich das anfasse. Ich verstecke mich hinter einer Mauer. Dann schmeiße ich ein paar Steine auf das Metall und gucke, was passiert.

Jungautor Martin Kordic

Sabine Lohmüller

Martin Kordić wurde 1983 als Sohn einer Deutschen und eines kroatischen Gastarbeiters aus Bosnien in Niedersachsen geboren. Er studierte Literarisches Schreiben und arbeitet als Lektor in Köln. "Wie ich mir das Glück vorstelle" ist sein erster Roman.

Viktor, der auch noch mit einem krummen Rücken zur Welt gekommen ist, spricht die schlimmsten Grausamkeiten völlig nüchtern aus. Denn er kennt nur den Krieg. Es ist für ihn Alltag, Massengräber zu plündern, um die erbeuteten Stiefel und Patronen später einzutauschen; es ist Alltag, bei der Suppenausgabe Schlange zu stehen und in einem zerbombten Haus auf ausgelegtem Karton zu schlafen. Überstehen kann Viktor all das nur, indem er seine Beobachtungen aufschreibt:

Diese Geschichte ist mein Leben. Diese Geschichte darf nicht länger sein als das Heft, in das ich reinschreibe. Ich schreibe sie für dich. Ich schreibe sie für den einen, der sie liest.

Als Sohn einer Deutschen und eines kroatischen Gastarbeiters aus Bosnien kennt Autor Martin Kordic den Krieg nur aus Erzählungen von Verwandten. Doch in "Wie ich mir das Glück vorstelle" finden sich auch reale Elemente, wie die zerstörte Brücke von Mostar, die 2004 wieder aufgebaut wurde. Und nach ein paar Seiten gewöhnt man sich auch an die kindliche Sprache. Sie wirkt eindringlich aber nie pathetisch, und bringt vor allem die komplexesten politischen Zusammenhänge präzise auf den Punkt ohne je zu werten.