Erstellt am: 28. 4. 2014 - 14:02 Uhr
All Hair Must Die
"When you lose something you can't replace"
(Coldplay: "Fix you")
Sprechen wir es mal offen aus: Haarausfall ist scheiße.
Die medizinische Entwicklung unserer Zeit ist weit fortgeschritten, aber rieselt das Haupthaar vor allem bei Männern, dann gibt es nur noch Monoxidil und Co, die man bis zum Sterbebett einmassieren oder einnehmen müsste, eine teure und gesellschaftlich immer noch geächtete Eigenhaarverpflanzung (Silikonbrüste sind heutzutage akzeptierter) oder schlichtweg der gezwungene Mut zur Glatze. Alles dazwischen, nämlich das peinliche Frisieren des Resthaars über lichte Stellen, der Kurzhaarschnitt oder die bewährte Kompensation - mehr Haar im Gesicht statt am Kopf - sind stümperhafte Wege sich selbst zu helfen.
Dabei ist es ein rein ästhetisches Problem. Die große Mehrheit des männlichen Haarausfalls ist erblich bedingt (danke an Opa und Papa) und für Frauen ist es ein weitaus geringeres Problem als Männer es sich einreden. Jeder Mann mit etwas Grips und aufgeklärtem Verstand weiß, dass es sich hierbei um ein kulturell und medial geschürtes Jugendideal handelt, dem man ohnehin selten genügen kann (und aus Sicht der Konsumkultur auch nie genügen soll) und es ja wirklich nur Haare sind.
Trotzdem. Haarausfall ist scheiße.
Norwood Skala
Das weiß auch Jonas, stellvertretende Romanfigur für all euch Männer da draußen. Jonas entdeckt eines Morgens ein Büschel Haare im Abfluss seiner Dusche: der Anfang vom Ende seines Wuschelkopfes. Die lichten Stellen werden mehr, insbesondere am Haaransatz. Es sind die sogenannten Geheimratsecken.
Holy shit, Geheimratsecken!
Salis
Eins vorweg: Geheimratsecken sind ein übles Ding. Wischiwasche kahle Stellen an der Stirn, mir hat man kürzlich gesagt, ich würde dadurch "diabolischer" aussehen. Sei's drum. Jonas ist nicht begeistert, er verfällt in Panik. Hat er doch soeben einen neuen Job in einer Münchner Werbeagentur angenommen und die sexy Praktikantin hat auch ein Auge auf ihn geworfen. Naja, anscheinend hat sie noch nicht sein Haupthaar inspiziert, sonst wäre sie wohl schreiend geflohen. Meint Jonas.
Daher beginnt eine hysterische Suche nach einem Gegenmittel. Es werden Kopfmassagen probiert, neue Haarschnitte und andere rigide Maßnahmen, die sogar seine Mitbewohnerin Anne in den Wahnsinn treiben. Ein weiterer Effekt: Haarausfall führt zu sozialer Isolation, weil man(n) seine Umgebung so damit nervt, bis die sich vollständig von einem abkapselt. "Findest du, dass ich hier weniger Haare hab? Schaut das hier noch was gleich?"
Jonas stolpert in immer absurdere Situationen, nur um seine "Problemzone" zu bekämpfen.
Alexander Boëthius
KeinHaarHasen
Alex Senn, selbst Geheimratsecken-Träger, legt mit "Geheimratsecken" ein süßes Debüt vor, lustig an vielen Stellen, aber leider inhaltlich so oberflächlich wie das Haupthaar des Protagonisten. Man spürt richtig, wie sich Senn schon jetzt für eine Til Schweiger-Verfilmung empfehlen möchte: "Geheimratsecken" ist der ideale seichte Comedy-Romance-Schlager mit Nora Tschirner und Matthias Schweighöfer und maybe Jürgen Vogel als abschreckendes Beispiel.
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Gleichzeitig stochert Senn in einer nicht zu unterschätzenden Marktlücke: Literatur von und für junge Männer. Die sogenannte "Jungsliteratur" erzählt von gebrochenen Männerfiguren, alles andere als diabolisch, aber hilflos, hoffnungslos, haarlos. Und das sind, wie wir bereits festgestellt haben, gar nicht so wenig.
Wer sich von "Geheimratsecken" allerdings ein Mittel gegen Haarausfall erwartet, der wird enttäuscht. Stattdessen sollte man lieber seine Zeit und Gunst in Menschen investieren, denen die Haarpracht sowieso egal ist.