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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

18. 4. 2014 - 16:43

"Seine Romane werden ihn überleben"

Anlässlich seines Todes: Vier Empfehlungen aus Gabriel García Márquez' Werk.

Gabriel García Márquez ist am Donnerstag an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Der kolumbianische Schriftsteller gilt als einer der größten AutorInnen Lateinamerikas und ist 1982 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet worden.

Die literarische Stimme Lateinamerikas. Ein Nachruf auf Gabriel García Márquez

In den letzten Jahren hat er sich, beeinträchtigt durch seinen Kampf gegen Lymphdrüsenkrebs und fortschreitende Demenz, weitgehend aus der Öffentlichkeit und auch dem literarischen Leben zurückgezogen. Sein letzter Roman "Erinnerungen an meine traurigen Huren" (2004) ist bei der Kritik großteils durchgefallen, seine Meisterwerke stammen alle aus den Jahrzehnten davor.

Gabriel Garcia Marquez

APA/EFE/epa efe Toni Garriga

Hundert Jahre Einsamkeit (1967)

Wer einen guten Eindruck vom Werk Gabriel García Márquez bekommen möchte, kommt um "Hundert Jahre Einsamkeit" nicht vorbei. Sein fünfter Roman, 1967 erschienen, ist prototypisch für sein Werk und eine Vorlage für den Stil des "Magischen Realismus", den er zwar nicht erfunden, aber stark geprägt und vor allem popularisiert hat.

"Hundert Jahre Einsamkeit" ist ein Familienepos über sechs Generationen, das im abgeschiedenen Dorf Macondo, mitten im kolumbianischen Dschungel spielt, wo das Mystische länger Bestand hat als sonstwo. García Márquez lässt Übernatürliches und Phantastisches in seinen Roman einfließen, beschreibt das alles aber in einer nüchternen, naturalistischen Sprache, einem Ton, den er angeblich von den Geschichten seiner Großmutter übernommen habe. Das Ordinäre, Wissenschaftliche hingegen kann als etwas phantastisches erscheinen. So nehmen die BewohnerInnen von Macondo Geistererscheinungen oder die Himmelfahrt einer Dorfschönheit als normal hin, während sie vom Magnetismus oder von Eisblöcken, die von Fahrenden in das Dorf gebracht werden, in Erstaunen versetzt werden.

Der Roman ist spielerisch und verwinkelt, was García Marquez schon im allerersten Satz des Romans andeutet: "Viele Jahre später sollte der Oberst Aureliano Buendía sich vor dem Erschießungskommando an jenen fernen Nachmittag erinnern, an dem sein Vater ihn mitnahm, um das Eis kennenzulernen". Der Erzähler springt zwischen Zeitebenen und Generationen, wobei man sich leicht verlieren kann, vor allem auch, weil die männlichen Familienmitglieder über alle Generationen hinweg stets die gleichen Vornamen bekommen. García Márquez gestaltet die Figuren aber alle so liebevoll und schrullig, dass man sofort Sympathie für jede von ihnen empfindet.

Chronik eines angekündigten Todes (1981)

"Chronik eines angekündigten Todes" bietet wahrscheinlich den einfachsten Zugang zu Gabriel García Márquez Werk. Mit 128 Seiten ist es schön kurz, aber vom ersten bis zum letzten Moment spannend. Schon ganz am Anfang weiß man, dass eine Person sterben wird, man kennt auch seine Mörder, denn die erzählen ihr Vorhaben dem ganzen Dorf, doch niemand greift ein. Minutiös werden die Ereignisse des Tages erzählt, jedoch aus großer zeitlicher Distanz von 27 Jahren, sodass nie wirklich klar wird, ob die Ereignisse der Wahrheit entsprechen. Das Motiv für den Mord ist schon am Anfang schief, der Wille ist ebenso schwach, doch der Zwang und falsches Ehrverständnis führen zu einem unausweichlichen Ende. Moralvorstellungen, Religion, Machismo, Unfähigkeit zur Liebe, García Márquez packt viel in diese kurze Erzählung.

Der General in seinem Labyrinth (1985)

Gabriel García Márquez zeichnet in diesem ebenfalls sehr kurzen Roman die letzte Reise Simón Bolívars nach, dem Kämpfer für die Befreiung der amerikanischen Staaten von der spanischen Kolonialherrschaft. Einst der Held der Unabhängigkeit, hat er es sich mit zu vielen Mächtigen verscherzt und will nun ins Exil nach Europa. Sein Abstieg von den Anden ans Meer wird begleitet von schwerer Krankheit, die immer wieder zu Rückblicken über sein bewegtes Leben verführt. Anstatt die ehemaligen spanischen Kolonien zu einem prosperierenden Staat zu machen, hat Bolívar überall Kriege angezettelt, für die das Volk jeweils einen hohen Preis zahlen musste. Überall musste er sich einmischen, wo sich ihm die Gelegenheit bot, auch knapp vor seinem Tod lässt er nochmal Truppen aufmarschieren, anstatt nach Europa zu segeln. "Der General in seinem Labyrinth" kommt fast ohne fantastische Elemente aus und wird oft als Darstellung der lateinamerikanischen Psyche interpretiert.

Der Herbst des Patriarchen (1975)

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Für "Der Herbst des Patriarchen" hat García Márquez zehn Jahre über Diktatoren recherchiert (von Trujillo in der Dominikanischen Republik, zu den Somozas in Nacaragua, Franco in Spanien oder Perón in Argentinien) um einen Archetypus des lateinamerikanischen Gewaltherrschers zu beschreiben. Der Roman beginnt mit einem toten Diktator am Boden des Präsidentenpalasts, nachdem er irgendwas zwischen 107 und 232 Jahre alt geworden ist. In Monologen um den Leichnam wird dessen Geschichte erzählt, beginnend als Marineinfanterist, der durch einen Putsch an die Macht kommt und diese auszunutzen weiß, um seine Vorteile daraus zu ziehen, sei es in sexueller oder finanzieller Hinsicht.

Die Sprache in "Der Herbst des Patriarchen" unterscheidet sich von den meisten anderen Roman García Márquez', sie ist sehr ausschweifend und fordernd, teilweise mit seitenlangen Sätzen, ein Beweis für die schöpferische Vielfalt in seiner Literatur.

Ein Leben voller Erzählungen

Der Nobelpreisträger hat sich immer viel Zeit gelassen, mit seinen Romanen, hat sie reifen lassen, weshalb wir ihm eine große Fülle außergewöhnlicher Romane verdanken. Was darüberhinaus von ihm bleibt ist, dass er der Literatur eines ganzen Kontinents zu mehr Aufmerksamkeit verholfen hat. Im Zuge des Erfolgs von "Hundert Jahre Einsamkeit", das sich weltweit etwa 30 Millionen Mal verkauft hat, ist eine große Nachfrage nach Literatur aus Lateinamerika aufgetreten, wovon auch AutorInnen wie Isabel Allende, Julio Cortázar oder Mario Vargas Llosa profitiert haben. Letzterer, selbst Nobelpreisträger, mit dem er sich einst wegen unterschiedlicher politischer Ansichten überworfen hatte, beklagte gestern den Tod eines großen Schriftstellers, doch "seine Romane werden ihn überleben und überall auf der Welt weiterhin Leser gewinnen“.