Erstellt am: 17. 4. 2014 - 22:37 Uhr
The daily Blumenau. Thursday Edition, 17-04-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Ich habe übrigens noch nie etwas bei einer der erwähnten Firmen bestellt und habe das auch nicht vor.
#zalando #amazon #hypo #protesttheorie #empörungspraxis
Auch auf die Gefahr hin, jetzt sehr analog und festkkörperlich, antidigital und verflüssigungsfeindlich zu denken: Die Frage, ob sich neue Formen sozialer Interaktion auch rechnen müssen, stellt sich, immer wieder.
Etwa angesichts der Aufmerksamkeits-Ökonomie, die vor nicht allzu langer Zeit als neue Währung eingeführt wurde, als perfekte Ergänzung zur Dauer-Prekarisierung, als Topfdeckel für den boiling pot von permanent mit Versprechungen abgespeisten, mit Optionsscheinchen gefütterten Generation/en bzw Berufskasten. Dass einem, wenn man gut, speziell und auffällig agiert kein Ziel verwehrt bleiben könne.
Wie so oft galt dieses neue Heilsversprechen, das diesmal eben vor dem Hintergrund der neuen Medien (sogar noch vor dem Social Media-Boom) gegeben wurde, nur für die paar wenigen, die sich dann auf diesem Feld, das ganz schnell zum Markt wurde (so wie alles zum Markt wird, in einer turbokapitalistischen Gesellschaft, deren selbstgewählter Titel, der der Markt-Wirtschaft so harmlos klingt, weil er einen uns vertrauten und schönen Topos gewählt hat, reiner Etikettenschwindel...) durchsetzen konnten.
Womit der Beweis erbracht wurde: Aufmerksamkeits-Ökonomie zählt, bedeutet etwas, bringt (manchmal kurzfristiger, manchmal in the longer run) auch zählbare Werte. Halt nur für ein paar wenige.
Mit den virtuellen Protesten ist es ähnlich. Mal sind sie erfolgreich (Tunesien), mal stoßen sie etwas an (der Rest des arabischen Frühlings), manchmal aber auch nur auf Granit (Iran, China).
Um im übersichtlichen und für Österreich nachvollziehbareren Europa zu bleiben: die Studentenproteste, die Occupy-Camps oder die flächendeckenden Jugend/Arbeitslosigkeits/Proteste in Spanien oder Griechenland, haben aufmerksamkeits-ökonomisch viel losgetreten, aber natürlich keinen Bitcoin eingespielt, geschweige denn die Systeme geändert: Bologna steht ebenso stark da wie Wall Street, die Frankfurter City und das Ausbluten des EU-Südens durch die globalen Machtzentren und Business-Interessen. Immerhin wissen jetzt mehr Menschen als je zuvor aber Bescheid über das, was die Welt im Innersten zusammenhält. Und die Hoffnung darauf, dass dieses Wissen irgendwann auch Handlung nach sich zieht, stirbt zuletzt.
Erwartungen, die über die Informations-Verbesserung hinausgehen, wären auch ein wenig sehr naiv gewesen. Wirklich etwas unternehmen können der Einzelne, aber auch die Community, ein Interessenszusammenschluss von Citoyens, also Menschen, die sich in einem staatlichen Komplex zusammenschließen und über ihre Partikulär-Interessen hinaus denken und handeln, wirklich unternehmen kann das Wahlvolk der europäischen Demokratien ohnehin nur etwas im vergleichsweise Kleinen.
Wenn man z.B. mitkriegt, dass ein ohnehin suspekter Groß-Konzern arbeitsrechtliche Verbrechen begeht und seine Mitarbeiter (die von diesen Schinder-Jobs nicht einmal leben können) nicht mehr wie Menschen behandelt, dann führt das zu schnell aufflutender Empörung und ebenso umfangreichen Geshitstorme.
Das war so im Fall der Aufdecker-Geschichte rund um Amazon und dem österreichischen Zulieferer von Menschenmaterial Trenkwalder, das ist aktuell so im Fall von jedermanns originellster Fußbekleidungs-Kette Zalando.
Die stehen dann ordentlich am Pranger und werden noch dazu von Boykotten bedroht. Und an einer empfindlicheren Stelle als dem dann zunehmend leerer werdenden Warenkorb kann man diese Menschenschinder, Gierschlunde und Branchenzerstörer nicht treffen.
Hier hat der Konsument also ein machtvolles Instrument in der Hand: sein Konsumverhalten
Und ja, jetzt, anlässlich der Zalando-Sache, werden auch erste Resumees der Amazon-Affäre gezogen. Die Annahmen, dass die Empörung zu einer note-to-self-Handlungsanleitung geführt hätte, dass eine inhaltliche Diversifizierung stattgefunden hätte, dass sich die Aufgebrachten und Wutbürger unter den Amazon-Kunden künftig andere Wege an ihr Klumpert zu kommen (und die gibt es, und sie sind auch nicht teurer und besser, nur halt nicht so bequem, all in one) sind allesamt trügerisch. Wie diese kleine Recherche schön belegt, wird zwar empört, gekoffert und gejammert, aber keinerlei Konsequenz gezogen.
Insofern ist die in ihrer abgeklärten Professionalität so grausliche Reaktion der Zalando-Verantwortlichen nachvollziehbar: Es gilt echt nur den Sturm abzuwarten und auf den nächsten Tag mit Sonnenschein zu warten; kommt garantiert.
Es geht nicht um Revolten, Selbstverwaltung oder andere wirkliche zeichensetzende Maßnahmen, wie sie im Süden Europas und außerhalb passiert sind: das mitteleuropäische Publikum, eines, das es kaufkraftmäßig in der Hand hätte, zumindest im eigenen Vorgarten Wirkungstreffer zu erzielen, ist in seiner Wohlfühlstarre so gefangen, dass es glaubt, selbst auf kleine Gesten verzichten zu können. Die Veränderungs-Ansprüche sind dann wenn es etwas zu maulen oder zu stänkern gibt, ganz groß - und in der Praxis dann bei kleiner gleich Null.
Dieses offensive Nichtstun jener sich selbstgerecht als Wutbürger Bezeichnenden, die planvolle Demonstration einer Lust an der Ohnmacht, dieses satte Sich-Ergeben ins Leider Geile ist es auch, die mir jeden Glauben daran raubt, dass die von denselben Mechanismen, denselben Wichtigtuern vorangetriebene Erregungs-Maschine in Sachen Hypo irgendeine noch so kleine praktische Konsequenz haben wird. Ein plattes Lied oder Brieferl zu schreiben und die Empörung dann an sonstwen, am besten an gierig auf derlei lauernde Populisten zu delegieren, um sich weiter in die Selbstvergessenheit zurückzuziehen, ist zu wenig, um eine ins Trudeln geratene Praxis demokratischer Kultur von unten am Leben zu erhalten.