Erstellt am: 20. 4. 2014 - 15:00 Uhr
Eva Menasse in der FM4 Bücherei
- Die FM4 Bücherei mit Eva Menasse am Ostersonntag, 20. April in FM4 Connected (13-17 Uhr)
- Alle bisherigen Gäste der FM4 Bücherei
- Eva Menasse zu Gast im Doppelzimmer Spezial
Die FM4 Bücherei ist keine herkömmliche Bücherei, in der man Bücher ausleiht, sondern eine, in der Bücher vorgestellt werden.
Der oder die BesucherIn der FM4 Bücherei stellt seine oder ihre drei Lieblingsbücher vor bzw. Bücher, die man lesen sollte.
Diesmal zu Gast: Eva Menasse
Die Schriftstellerin Eva Menasse hat nicht nur furchtbar viele Bücher, sondern Lieblingsbücher gleich doppelt. Als Kind war sie häufig in Büchereien, jetzt ist sie werktags eigentlich immer in der Staatsbibliothek in Berlin zu treffen – der ideale Ort für sie zum Schreiben.
Als Wortlautjurorin bricht sie eine Lanze für die Kurzgeschichte. Die Kurzgeschichte ist für sie ein extrem herausforderndes und anspruchsvolles Genre – im Gegensatz zum Roman. "Im Roman kann sich jeder Exkurse, Mäander und Sackgassen leisten. In einer guten Kurzgeschichte muss man immer sofort wissen, wo man ist. Daher muss alles an seinem Platz stehen – noch sehr viel genauer als in einem Roman."
Das schlechte Image der Kurzgeschichte im deutschsprachigen Raum sieht Eva Menasse in der Kapitalisierung des Buchmarktes.
"Jeder kleine dumme Autor, der sein erstes Buch schreibt, muss erst Mal einen Roman schreiben. Früher hat man erst mal ein paar gute Kurzgeschichten schreiben müssen, die so gut waren, dass sie die wichtigen Magazine abgedruckt haben. Und dann habe man sich langsam einem Roman genähert." Auch wenn es heute Schreibschulen und Literarische Werkstätten gäbe, heiße das noch lange nicht, dass man auch die große Form könne. "Jemand, der zu laufen beginnt, macht auch nicht am ersten Trainingstag einen Marathon."
Die Missachtung der Kurzgeschichte in den letzten Jahrzehnten regt sie wirklich auf.
Die Autoren würden zwar Kurzgeschichten schreiben wollen, aber der Markt würde so tun, als könnte man dann nicht mehr überleben. "Wenn du Kurzgeschichten schreiben möchtest, kannst du gleich Lyriker werden. Dann suchst du dir am besten einen Job als Taxifahrer."
Kurzgeschichten seinen ein guter Einstieg für junge Autorinnen und Autoren. "Ich habe schon aus Trotz vor, als nächstes wieder einen Kurzgeschichtenband zu schreiben."
Zita Bereuter/Radio FM4
DVA
Richard Yates: Zeiten des Aufruhrs
"Mich stört der deutsche Titel wahnsinnig. Es heißt auf Englisch 'Revolutionary Road' und 'Zeiten des Aufruhrs' ist ein vollkommen unangemessen kitschiger Titel. Immer verkitschen, ich weiß nicht warum.
Das ist ein Eheroman, es ist ein Gesellschaftsroman und es ist auch gleichzeitig ein zeitloser Roman über das Streben des Menschen nach einem bedeutungsvollen Leben, das meistens ziemlich misslingt.
Aber bleiben wir beim Eheroman. Es ist die Ehe eines Paares mit zwei Kindern, die in den Outskirts von New York, am Land ein Haus bezogen haben – in der Revolutionary Road. So ein bisschen ein Angeberhaus. Das Buch beginnt mit einer Theatervorführung der Mutter, also der Ehefrau April Wheeler. Der ist ein bisschen langweilig in ihrem Familienleben und sie schließt sich einer Laientheatergruppe an und es wird wochenlang geprobt. Sie spielt die Hauptrolle, sie ist wohl eine sehr schöne Frau, Anfang Mitte Dreißig. Die Aufführung geht komplett schief und das ist alles irgendwie total peinlich. Danach entspielt sich eine Szene, die in so kurzer Zeit den Horror einer Ehe portraitiert – das muss man einfach selber lesen.
Es geht dann um ein paar Monate in dem Leben von diesem Ehepaar, wie sie immer denken, sie sind so intellektuell und sie sind was Besseres und sie sind nicht so peinlich wie ihre Nachbarn und das Ganze geht alles fürchterlich schief. Also wirklich bis zum blutigen Ende.
(…)
Das Buch liebe ich deswegen so, weil es so sparsam ökonomisch geschrieben ist. Das ist nichts zu viel und trotzdem ist es ein ganz unglaublich genauer Aufbau der einzelnen Handlungsstränge, der Rückblicke, die Dialoge sind meisterhaft – das schneidet einem wirklich ins Herz und das bleibt irgendwie immer gültig, dieses Buch.
(…)
Er ist wie ein Lehrbuchschreiber. So muss man das können. Das ist klassisches Schreiben. Eigentlich liest man nur, um alle paar Jahre so ein Buch zu finden, das einem wirklich den Teppich wegzieht."
Schöffling
Ulrich Becher: Murmeljagd
"Ein ewiges Lieblingsbuch von mir, das ich auch sicher schon fünf Mal gelesen habe und immer wieder was Neues dabei entdecke. Unvergesslich bleibt aber meine erste Lektüre, denn das war die unglaublichste Lektüreerfahrung, die ich in meinem Leben hatte. Ich war 19, jemand hat mir dieses Buch gegeben, ich hab angefangen zu lesen und ich war im Drogenrausch. Nur durch das Lesen. Ich konnte nicht mehr aufhören.
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Das Buch ist ein zeithistorischer Roman, aus dem 20. Jahrhundert. Es setzt ein 1938, als ein politisch verfolgter Sozialdemokrat aus Österreich über die Berge, auf Schiern, von Vorarlberg in die Schweiz flüchtet. Hinter ihm schießt noch die Gestapo her, aber sie erwischen ihn nicht.
Dann sitzt er als politischer Flüchtling in der Schweiz - in einer total prekären juristischen Situation, weil er nicht weiß, ob er akzeptiert wird als Asylsuchender, ob er bleiben darf. Rund herum beginnt sich der Nationalsozialistische Irrsinn zu entwickeln. Er kriegt dauernd schreckliche Nachrichten: Schwiegervater von der Gestapo verhaftet, bester Freund im KZ umgebracht.
Der spanische Bürgerkrieg tobt, seine Freunde, die österreichischen Sozialdemokraten, gehen Scharenweise nach Spanien, um zu kämpfen und werden dort umgebracht. Und er sitzt im Auge des Orkans, wo sich nichts bewegt und er aber nicht weiß, ob er dort sicher ist und gleichzeitig ein wahnsinnig schlechtes Gewissen hat, dass ihm da ja nichts passiert, während alle anderen wirklich jetzt drankommen.
Das ist ein so funkelnder Roman, ein so schwarzer dämonischer und auch unglaublich komischer Roman, dass es mir eigentlich ein Rätsel ist, warum er immer noch so unbekannt ist.
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Ulrich Becher ist in Berlin geboren, heiratet dann die Tochter des österreichischen Komikers Roda-Roda, lebt dann in Österreich, muss wirklich 1938 weg - in die Schweiz, und verbringt seinen Lebensabend nach Emigrationen in Basel.
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Man kennt ihn auch in Österreich nicht, aber wenn man sagt, es ist der, der auch den 'Bockerer' geschrieben hat, sagen die Leute 'aha'.
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Er war der jüngste Autor, dessen Bücher 1933 verbrannt wurden. Sein erstes Buch, ein Erzählungsband mit dem bezaubernden Titel 'Männer machen Fehler'."
Heimito von Doderer: Die Wasserfälle von Slunj
dtv
"Ein österr. Klassiker. Sein letzter vollendeter Roman, die Doderers Kunst auf die Essenz bringen. Das ist ein Roman in seiner Altersklarheit. Ein Abgesang auf die Monarchie. Es spielt in den 1910er Jahren bzw. setzt um die Jahrhundertwende ein.
Ein englischer Industrieller kommt mit seiner gerade frisch geheirateten Frau nach Wien, baut sich eine Villa und gründet dort eine Niederlassung seiner englischen Firma. Der Sohn wird ins Wien vor dem Ersten Weltkrieg reingeboren und wächst da auf. Und es gibt halt noch das Kaiserreich. Der Prokurist der Firma, ein sehr fähiger Mann, lernt alle möglichen Sprachen noch zusätzlich, weil er ja überall hinfahren muss um dort die Handlungsniederlassungen zu kontrollieren. Der reist nach Bosnien, nach Ungarn, nach Böhmen - bis ins Osmanische Reich. Es ist so ein Roman mit so vielen Figuren, die man aber alle sehr gut kennt und sehr schnell kennt, weil sie alle so plastisch sind.
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Ein funkelnder kleiner Kristall von Buch und der Doderer, der auch am zugänglichsten ist.
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Fangts mit 'den Wasserfällen' an, wenn euch die gefallen, dann könnt ihr später auch 'die Strudelhofstiege' lesen.
Ich finde es ist eine Einstiegsdroge und für mich das Frühlingsbuch. Nicht jedes Jahr, aber oft, wenn der Frühling so beginnt, dann bin ich in Berlin und dann krieg ich ein bisschen Heimweh und dann lese ich 'Die Wasserfälle von Slunj'."