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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

13. 4. 2014 - 16:04

Lärm of Love

Der Song zum Sonntag: Pharmakon – "Bang Bang (My Baby Shot Me Down)"

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  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.

Der Song "Bang Bang (My Baby Shot Me Down)" existiert in unzähligen Versionen. Geschrieben hat das Stück Sonny Bono im Jahr 1966, das Original gesungen hat seine damalige Frau Cher. Carla Bruni, Stevie Wonder, die Raconteurs und viele andere haben es gecovert, vor kurzem erst hat sich auch David Guetta daran vergangen. Am bekanntesten aber ist freilich die Interpretation von Nancy Sinatra, ebenfalls aus dem Jahr 1966. Der Einsatz in Quentin Tarantinos "Kill Bill Vol. 1" hat die Popularität des Stücks noch einmal deutlich befördert.

Ein Song, der davon erzählt, wie aus dem kindlichen Cowboy-Spiel zwischen einem Mädchen und einem Jungen im Laufe der Jahre dann erwartungsgemäß Liebe werden muss. Am Ende des Songs ist die Liebe zerbrochen, der Mann verschwunden. Die spielerischen Schüsse, die einst als Pfeile Amors gelesen werden konnten, sind zu Symbolen der emotionalen Zerstörung geworden.

Am 30. April tritt Pharmakon beim Donaufestival auf.

Pharmakon

Pharmakon

In einer neuen Deutung des Songs anlässlich des Record Store Days dringt jetzt eine Künstlerin, von der man sich eine Annäherung an gerade dieses Stück nicht unbedingt erwartet hätte, zum finsteren Kern von "Bang Bang (My Baby Shot Me Down)" vor: Die 23-jährige New Yorker Musikerin Margaret Chardiet, die für gewöhnlich unter dem Künstlernamen Pharmakon an ihrem Gerätepark haarsträubenden und großartigen Noise zusammenschweißt und auch stimmlich ganz im Dienste der sonischen Kriegsführung zu stehen scheint.

Gleich das Allererste, was man auf Pharmakons erstem offiziellen, 2013 beim sehr guten Label Sacred Bones erschienenen Album "Abandon" zu hören bekommt, ist ein langgezogener, markerschütternder Schrei einer jungen Frau, die gerade in einem Horrorfilm mit einer Motorsäge bearbeitet werden dürfte. Schmerz, Terror, Gewalt. Die Platte scheint Dokument eines giftigen Fiebertraums zu sein.

Warum mancherlei Musik "Industrial" genannt wird, lässt sich anhand von "Abandon" nur bestens erahnen: Metallenes Klirren und Geratter, harsche Power Electronics, scharf zischender Ambient, ein Wummern, ein Fauchen; stumpf schlagen Beats ein wie Splitterbomben in Zeitlupe. Und immer wieder: schrille Schreie, Grunzen und Sounds, die man wohl als Kotzgeräusche interpretieren darf. Musik aus der Schleifmaschine, Abenteuer am Schlachtschussapparat, Explosion in der Folterkammer. Dabei wird Pharmakon nie peinlich, der dringende Wunsch nach Krassheit und Intensität wirkt hier nie wie sich selbst auf die Schulter klopfender Selbstzweck. Diese Musik muss so sein. Die Welt ist schlecht, wir müssen brennen und uns von innen reinigen.

Pharmakons Coverversion von "Bang Bang (My Baby Shot Me Down)" ist jetzt vielleicht eine Überraschung. Es gilt hier nämlich kein Gekreische zu erleben, von dem einem die Zehennägel abfallen, sondern gar wunderhübschen Gesang. Wer hätte es geahnt? Es wäre Pharmakon wohl auch zu einfach und vorhersehbar gewesen, diesen großen Song bloß durch den Reißwolf zu drehen und im von ihr bekannten Design der Verwüstung zu präsentieren.

Über einem wohligen Summen thront Chardiets Stimme, sie fließt wie der edelste Honig, einzig kurze Noise-Eruptionen und ein immer wieder aufkommendes dumpfes Hämmern am Garagentor stören das Glück. Kleine, intensive Blitze der Verzweiflung, die daran erinnern, dass es jetzt endgültig vorbei ist mit der Wonne und dass es, sollten wir es vergessen haben, schon auch immer noch ziemlich weh tut.