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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

13. 4. 2014 - 15:05

Kill Your Idols

Wenn Kinogötter künstlerisch versagen, beschädigt das dann rückwirkend das Gesamtwerk? Essentielle Fragen, anlässlich von Darren Aronofskys "Noah".

Sind dem guten Mann jetzt wirklich alle Sicherungen durchgebrannt? Welcher Teufel in Engelsverkleidung hat Darren Aronofsky zu diesem Projekt getrieben? Wenn er schon Lust auf einen überzogenen Blockbuster hat, warum muss der US-Regisseur dann ausgerechnet eine Fantasyvorlage wählen, die noch muffigere Botschaften als Tolkien verbreitet?

Solche Fragen plagten wohl etliche Fans von Mr. Aronofsky, inklusive meiner Wenigkeit, bereits im Vorfeld von "Noah". Nach der Vorstellung denke ich erst mal gar nichts mehr, stolpere mit einem Gefühl der Leere ins Freie. Mir ist auch leicht schlecht, weil der Film vor allem ästhetisch eine Katastrophe biblischen Ausmaßes ist.

Noah

Paramount

"Noah"

Geschmacklos in den Untergang

Ausgerechnet der für seine bisweilen atemberaubende Bildsprache bekannte Darren Aronofsky erzählt die alttestamentarische Fabel von Noah und seiner Arche auf visuell derart platte Weise, dass der innere Design-Diktator in mir immer wieder still in sich hineinweint. Inklusive grausam schlechten CGI-Animationen, einer qualvoll misslungenen Farbdramaturgie und den hässlichsten Leinenbeutel-Kleidungen diesseits esoterisch angehauchter Bio-Bobo-Läden. "Noah" ist aber nicht nur der stil- und geschmackloseste Weltuntergangsfilm seit langer Zeit, ohne dabei ansatzweise Trash, Camp oder Meta-Schund zu sein, sondern auch einer der blödesten.

Da können, wie manche Blogger erklären, noch so viele Umdeutungen des christlichen Urtexts in Richtung Gnostik in der Geschichte versteckt sein. Das rettet die dröge Angelegenheit genausowenig wie der angebliche Atheismus des Regisseurs, sein Umweltaktivismus und sein engagiertes Veganertum.

Im Gegenteil, all diese Ansätze machen das Desaster noch größer. Denn letztlich wäre ein durchgeknalltes, fundamentalistisches Bibelepos, das an alte Ölschinken in einsamen Priesterwohnungen erinnert und fern jeglicher Aufklärung ehrlich zur religiösen Verblendung steht, noch spannender gewesen. Alles, was Darren Aronofsky stattdessen einfällt, ist bloß: Seid fruchtbar und mehret euch, tragt nachhaltige Schlabberkleidung und seid lieb zum Planeten.

Noah

Paramount

Darren Aronofsky am Set von "Noah"

Ausnahmestreifen und Abstürze

Stunden und Tage nach dem Film muss ich es mir dann aber doch stirnrunzelnd eingestehen: Der Totalabsturz "Noah" ist vom selben Propheten des intensiven Körperkinos, dem wir experimentell angehauchte Ausnahmestreifen wie "Pi" oder "Requiem For A Dream" verdanken. Mit "The Wrestler" gelang Aronofsky dann eine Mischung aus physisch spürbarer Kinotortur und ergreifender Countryballade, "Black Swan" faszinierte schließlich als Neo-Giallo in der Ballerinawelt, ein herrlich maßloses, pathetisches, perverses und im besten Sinne dick aufgetragenes Thrillerdelirium.

Bewusst ausgelassen habe ich in dieser Aufzählung den durchwachsendsten Film des Regisseurs. Mit "The Fountain" (2006) wagte sich Darren Aronofsky bereits auf spirituelles Terrain und produzierte auf seiner Sinnsuche tatsächlich Szenen wie direkt aus einem Werbespot für ein New-Age-Seminar. Trotzdem flackerte hinter dem manierierten Kitsch eine berührende Annäherung an die letzten Dinge auf, die zumindest für Hardcore-Sympathisanten wie mich den Film erträglich machte.

Was sagt nun aber "Noah" über das Gesamtwerk von Aronofsky aus? Konnte man die Zeichen der künstlerischen Apokalypse bereits in früheren Filmen erahnen oder sogar deutlich sehen, wie Gegner des Regisseurs meinen? Färbt der kommerziell höchst erfolgreiche Karriere-Tiefpunkt auf die vielen Höhepunkte davor retrospektiv ab? Kann man sich Mickey Rourkes Selbstmalträtierung und die Leidensposen von Natalie Portman erneut ansehen, ohne an die gramzerfurchte Miene von Russell "Noah" Crowe zu denken, der mit lächerlichen Steinfiguren redet, die offensichtlich aus dem Fundus der "Unendlichen Geschichte" stammen?

Noah

Paramount

"Noah"

Von Säulenheiligen verraten

Ja, man kann und soll und muss. Zum einen, weil großartige Filme, Platten und Bücher natürlich für sich alleine stehen, ein Eigenleben entwickeln, abgekoppelt von ihren Schöpfern und der Rezeption. Und zum anderen, weil kein Künstler bedingungslose Verehrung verdient, die bis zur Verblendung reicht und auch noch ödeste Arbeiten euphorisch hochjazzt.

"Kill Yr Idols" nannten Sonic Youth einen ihrer legendärsten Songs und wer die umfangreiche Referenzwelt der Band kennt, weiß, dass das durchaus produktiv gemeint ist und gar nicht so respektlos, wie es klingt. Zugegeben musste ich als jemand, der gewissen Kinogöttern streng ergeben auf ihren Pfaden folgte, diesbezüglich aber auch erst einen schmerzhaften Lernprozess durchlaufen.

Ich erinnere mich noch an den Schock nach "Kundun": Hatte wirklich Martin Scorsese, der einstige Säulenheilige der existentialistischen Amokläufer und kriminellen Außenseiter, dieses treuherzige Buddhisten-Epos verantwortet? Und da war das irritierende Gefühl nach "Wild At Heart", als ich mich von David Lynch, dem Verkünder reinster märchenhafter Unschuld und todernster Finsternis zugleich, richtiggehend verraten fühlte. Es dauerte Jahre, bis ich meinem vielleicht allerliebsten Regisseur die postmoderne Ironie in seinem poppigsten Film verziehen hatte, der Geniestreich "Lost Highway" machte alles wieder gut.

David Lynch

PIAS

David Lynch

Die Götter müssen verrückt sein

Irgendwann hatten sie für mich alle ihren Sündenfall, die Ikonen aus meinem privaten Kino-Olymp. Sind Roman Polanski nach "Chinatown" überhaupt noch Genialitäten wie "Repulsion" oder "Rosemary's Baby" gelungen? Beschädigen glitschige Ausrutscher auf dem Kinoparkett wie "The Ninth Gate" diese Werke irgendwie?

Drehte Francis Ford Coppola, der mit "The Conversation", "The Godfather" und "Apocalypse Now" das amerikanische Kino komplett erneuerte, wirklich konventionelle Belanglosigkeiten wie "The Rainmaker" oder "Jack"? In wie viele Phasen muss man Woody Allens Filmografie teilen, in der Meilensteine wie Machwerke Platz finden?

Ist es derselbe Bernardo Bertolucci gewesen, der "Last Tango in Paris" gedreht hat, der tatsächlich später klebrige Durchschnittsware wie "Stealing Beauty" machte? Und sollte man über die letzten Leinwandabstecher des großen Michelangelo Antonioni nicht lieber den Mantel des Schweigens breiten? Tapste ausgerechnet der unantastbare Stanley Kubrick, dessen Œuvre fast nur aus funkelnden, kristallinen Meisterwerken besteht, am Ende seiner Laufbahn in schlüpfrige Altmänner-Fantasie-Fallen und ist an "Eyes Wide Shut", neben tollen Momenten, nicht manches schlicht peinlich?

Eyes Wide Shut

Warner

"Eyes Wide Shut"

Regisseure als gute Freunde

Weiter gefragt: Konnte der bestechende Innovator des Horrorfilms, George A. Romero, jemals wieder an die Qualität seiner originalen Zombie-Trilogie anschließen? Und verblassen nicht sämtliche Spätwerke Dario Argentos, eines anderen Lieblingsregisseurs meinerseits, gänzlich gegen die blutroten Mysterien der frühen Jahre? Sind nicht gewisse Höhenflüge überhaupt nur innerhalb gewisser Zeitfenster möglich und trägt die Schuld an kreativen Bauchlandungen nicht auch eine veränderte Filmlandschaft mit restriktiveren Produktionsbedingungen?

Letztlich geht es wohl darum, sich die künstlerischen Aussetzer seiner Darlings nicht schön zu reden, aber sie auch nicht auf deren Großtaten abfärben zu lassen. Es ist mit Regisseuren, die einen über Dekaden begleiten, wie mit guten Freunden: Persönlichkeiten wandeln sich, andere Wesenszüge tauchen auf, vieles davon ist positiv, manche Verwirrungen versteht man nicht, akzeptiert sie aber dennoch. Sehr verehrter Darren Aronofsky, auch wenn "Noah" einfach jenseitig war, die Vorfreude auf ihren nächsten Film ist ungemindert.

Noah

Paramount

"Noah"