Erstellt am: 10. 4. 2014 - 16:56 Uhr
Die Anhäufung der Signale
Popmusik aus allen Kanonen. Wir schießen mit Munition jeglicher Form und Farbe. Mal schauen, was kleben bleibt. Vor ein paar Jahren noch hat die dänische Musikerin und Sängerin Karen Marie Ørsted mit einer Freundin angeschrotteten Electro-Punk mit gerne anzüglichen Texten und Fuck-You-Charme produziert, heute poliert sie sich unter dem Namen MØ den hyperslicksten Popapparat zurecht, den die Welt hergibt.
MØ tritt am 30. April in der Fluc Wanne Wien auf.
Vor kurzem hat MØ ihr Debütalbum "No Mythologies To Follow" veröffentlicht, das erwartungsgemäß gut empfangen worden ist: Mit dem dänischen Produzenten und Multiinstrumentalisten Ronnie Vindahl hat sie da so ziemliche alles Styles of Wow und Now aus den nur hippsten Blogs gezogen, angehäuft und schick in Form gebracht. Konfetti-HipHop und in Hinblick auf Jugendfreundlichkeit deutlich abgemilderten Südstaaten-Rap, Synthie-Pop aus Plastik, Richtung Knisterbrause hochgejazztes Poststep-Gepolter, Glitzerkugel-Glamour, Glitzerkugel-Nostalgie. Boombox, Tracksuit, Umhängekeyboard.
Alle zwölf Songs auf "No Mythologies To Follow" fußen auf feinem Songwriting und sind supersmoove gearbeitet. Es sind Hits, die die jugendliche Verwirrung, die Frustration, Liebesprobleme, den Schweiß, die Party und den Körper feiern. Musik wie geiles Quecksilber – alleine: Was will uns dieser Friedhof der Zeichen bloß sagen?

MØ
Karneval
Es geschieht hier naturgemäß meistens viel. So muss es in derlei funkelnden Hybrid-Boliden der Popmusik sein. Die komplette Popmusik, die nichts weniger will, als alles sein. Anfeuernde Handclaps beschwören street-sportliche Tanzeinlagen und quietschvergnügte Körperbetätigung. Breakdancing, Cheerleading, Räderschlagen auf dem Spielplatz, mit dem krassen BMX-Bike aber mal so richtig von der Kante springen. Fett den Elan in die Welt pustende Posaunen, wie aus einer Marching Band vor dem großen Football-Spiel herausgesampelt. Aufgekratzte Chants vom Kinderchor vom Schulhof: Hey! Hey! Hey! Die Drum-Machines ruckeln und zucken, aus den Synthesizern fließt die fluoreszierendste Marmelade zwischen Bronx und Johannesburg.
Fast schon mühsam zu erwähnen, dass innerhalb eines aus so vielen Reizen und schrill blinkenden Signalen zusammengeschnittenen Karnevals auch Diplo, der Jetsetter of Transglobal-Pop, nicht fehlen darf. In dem von ihm produzierten Stück "XXX 88" kombiniert er einen sanft gleitenden R'n'B-Track mit feisten Fanfaren und digitalem Dancehall, bleibt für seine Verhältnisse jedoch recht unaufgeregt im Hintergrund. Und fällt bei all der zitternden, wankenden und schwankenden Materialschlacht, die das Album "No Mythologies To Follow" ist, auch nicht weiter auf. Im Guten nicht, im Schlechten nicht. Es gibt frech in diese ganze elektronische Tanzmusik hineingespielte Solos aus der elektrischen Gitarre, wenn irgendwo noch Platz ist, da ganz hinten, dürfen liebliche Töne aus einem Glockenspiel die Luft wärmen.
Schön wird es auf dieser Platte aber nicht zuletzt oft dann, wenn vieles von dem Getöse wegbricht und für ein paar kurze Momente nichts als ein paar trockene Schläge auf der Snare Drum, ein Fingerschnippen oder eine knappe Alleinunterhaltermelodie aus dem möglicherweise kleinsten Keyboard der Welt zu hören ist. Ein Gitarrenlick, die Stimme von MØ alleine.
Im Zentrum steht, inmitten des ganzen akustischen Lamettas, zwischen den ganzen Sternspritzern und den an jeder Ecke hochgehenden Silvesterraketen die Stimme von MØ. Eine Stimme, die zwischen nöligem HipHop-Singsang und in den Äther gehauchtem Balladen-Crooning weite Strecken bewältigt. Und vor allen Dingen sagt: Das ist meine Platte.
Eines der überzeugendsten Stücke auf "No Mythologies To Follow" ist so eine Nummer, die über synthetischen Streichern, Oooh-Chören und schlanken Trommelwirbeln, im Gesamtzusammenhang nachgerade karg orchestriert, den Gesang ausdrücklich in den Vordergrund rückt: Der Break-Up-Song "Dust is Gone", der den Umstand, dass er haargenau wie ein Lana-Del-Rey-Stück klingt, nicht verschleiert, sondern als Stärke herausstellt. Musik, die Nancy Sinatra bloß noch durch den Lana-Del-Rey-Filter wahrnehmen kann. Musik, die eine der am heftigsten diskutierten Künstlerinnen der letzten Jahre, zu deren größten Verdiensten die Befeuerung der Diskussion um Künstlichkeit und Inszenierung gehört, schon wieder als Original-Quelle begreift. Hier knistert es, hier entsteht Reibung.

Sony
Erfreulich ist auch das Stück "Slow Love": Hier glückt eine wie beiläufige Ineinanderverschlingung mehrerer bei MØ zentraler – musikalisch wie textlich – Motive: Ein melancholischer, leicht ins Hysterische spielender 80er-Wave-Popsong, eine kleine Idee House Music und weich aufschäumende Neo-Disco in balearischer Färbung mit sanften Congas und Kuhglocken bereiten hier das Bett für Erzählungen über die Nacht. Und Nacht, das bedeutet bei MØ Tanzen, Liebe und Sex, bestenfalls alles drei: "Why is the rhythm always making me high?" singt sie, und "It's harder to resist you/ Let me love you / All night long to a slow beat".
Meist funktioniert "No Mythologies To Follow" jedoch als Versandhauskatalog, der schicke Produkte preist. Man schaut sie gerne an, man streichelt sie gerne. Musik, die mit aller Kraft so viel Zeitgeist an sich reißen möchte und dick ausbuchstabiert: "Hallo, ich bin's, die mittleren Zehner-Jahre!" – und so jetzt schon angestaubtes Dokument ist. Eine funky durchgerüttelte Wundertüte, die alle Stücke spielt. Eine perfekt vibrierende Partyjukebox, betrieben von einer tatsächlich einnehmenden Künstlerpersönlichkeit, im Vollbesitz ihrer Kräfte.
Ein Album, das die Korken knallen lässt und den Dancefloor mit rosa Schaum flutet. Aber ungefährlichem Schaum. Ein Album, zu dem es sich da und dort auch gut seinen ganzen Herzschmerz in Kissen heulen lässt. Ein wild zusammengewürfeltes Mixtape, auf dem viel los ist, aber wenig passiert. Euphorie ohne Aura. Ein Faktotum, eine Platte mit kaum einem Geheimnis und nur wenigen Fragen.