Erstellt am: 10. 4. 2014 - 16:08 Uhr
Die Öffentlichkeit nicht aus der Pflicht entlassen
Eine Wahl steht an und du bist noch unentschieden? 25 Klicks später weißt du immerhin, in welche Richtung du tendierst. Denn auf wahlkabine.at konnte man bisher verlässlich zu jeder österreichischen Wahl – von Nationalrat über Landtag bis ÖH – mit ein paar Fragen zu aktuellen politischen Themen herausfinden, welche Partei die eigenen Interessen und Anliegen am besten vertritt. Eine Million Mal wurde das Online-Tool zum Beispiel vor der letzten Nationalratswahl benutzt.
Für die kommende EU-Wahl könnte es dieses Service allerdings nicht mehr geben: Die Wahlkabine hat derzeit Schwierigkeiten, die Finanzierung für den nächsten Wahlbarometer aufzustellen.
Bayernnachrichten.de
Finanzierung schon immer prekär
"Im Grunde war die Wahlkabine immer schon in einer schwierigen finanziellen Situation", sagt Martin Wassermair vom Wahlkabine-Team. "Denn zum einen ist das Konzept, so wie es angelegt ist, sehr komplex, da steckt viel gründliche Arbeit dahinter. Zum anderen hat es sehr viel mit Technik zu tun, aber auch mit Organisation und Öffentlichkeitsarbeit. Da entstehen natürlich Kosten."
Bisher hat man den Aufwand vor allem mit freiwilliger Arbeit abdecken können und die Wahlkabine ist auf Servern vom Institut für Neue Kulturtechnologien gelaufen. Mittlerweile sind aber technische Updates notwendig, zum Beispiel, um die Sicherheit der Userdaten sicherzustellen. Auch die Datenmenge wir immer größer, sagt Martin Wassermair: "Wir haben ein Archiv aller Wahlgänge mit Parteistandpunkten zu verschiedensten Fragen bis zurück ins Jahr 2002. Das ist eines der reichhaltigsten Archive Österreichs zur politischen Entwicklung der vergangenen Jahre."
Mehraufwand EU-Wahl
Mit der anstehenden EU Wahl ist der Aufwand jetzt so groß geworden, dass sich das Team von Wahlkabine.at nicht mehr in der Lage sieht, diesen Aufwand ohne Finanzierung und nur mit freiwilliger Arbeit zu schaffen. Denn für die EU-Wahl arbeitet die Wahlkabine mit ähnlichen Einrichtungen aus anderen EU-Ländern zusammen und tauscht sich aus. Gemeinsam wird gerade das Tool Votematch Europe entwickelt, quasi eine Wahlkabine auf EU-Ebene (auf der Seite kann man sich das Beispiel von der letzten Wahl 2009 ansehen).
https://www.flickr.com/photos/51408284@N02/
Weil es mit der Wahlkabine in Österreich schon so lange Erfahrungen gibt, spielt die österreichische Wahlkabine in diesem europäischen Netzwerk eine sehr wichtige Rolle. Umso ärgerlicher für Martin Wassermair, dass die Einrichtungen in beinahe allen anderen EU-Ländern, wie z.B. den Niederlanden, Deutschland, Ungarn oder Bulgarien, öffentlich finanziert und oft sogar in staatliche Institutionen zur Demokratieentwicklung eingebunden sind, während man in Österreich um die Existenz kämpft.
Anfragen an politische Institutionen
15.000 Euro kostet es, eine Applikation der Wahlkabine realisieren zu können, hat Martin Wassermair ausgerechnet. Er hat um die Finanzierung bei verschiedensten politischen Institutionen angefragt – beim Parlament mit seiner Demokratiewerkstatt, dem Sozialministerium und bei der Stadt Wien. "Wir haben nichts unversucht gelassen. Wir gehen immer mit der Versicherung nach Hause, dass alle dieses Projekt toll finden und es für sehr notwendig erachten. Aber das hat uns bis heute im Grunde keine nennenswerte Finanzierung eingebracht." Derzeit laufen noch Verhandlungen mit dem Bildungsministerium. Gegenüber der Tageszeitung der Standard heißt es aus dem Bildungsministerium, dass die Förderungen noch überprüft werden, da die Budgetverhandlungen noch nicht abgeschlossen seien.
Die Öffentlichkeit nicht aus der Pflicht entlassen
Natürlich habe man sich auch Alternativen zur öffentlichen Hand überlegt: "Alles, was in Richtung privater Investoren oder neuer Finanzierungsformen geht, kann natürlich eine Option darstellen", sagt Wassermair. Für beispielsweise Crowdfunding sei aber einfach der Aufwand zu groß, und mit der Idee einer privaten Finanzierung ist er generell nicht glücklich: "Dem wohnt das Problem inne, dass man die Wahlkabine damit letztendlich privatisiert. Das heißt, man überlässt es einzelnen wenigen, zu entscheiden, ist das jetzt förderungswürdig oder nicht. Damit ist es endgültig aus der öffentlichen Verantwortung heraußen und die öffentliche Hand würde auch keinen Anlass mehr sehen, wieder einzusteigen."
Aus dieser Pflicht will Martin Wassermair die Öffentlichkeit nicht entlassen. Den Grund dafür, dass es in Österreich so schwierig ist, Finanzierung für ein Tool zur politischen Bildung aufzustellen, sieht er unter anderem darin, dass es in Österreich keine zentrale Stelle für politische Bildung und Demokratieentwicklung gibt (anders als in Deutschland, wo es die Bundeszentrale für politische Bildung gibt, die auch den Wahl-O-Mat, das deutsche Gegenstück zur Wahlkabine, beitreibt).
Schlechte Budetlage
Bisher hieß es von den politischen Institutionen immer, die Finanzierung von Wahlkabine.at sei wegen der schlechten Budgetlage nicht möglich. "Was ein bisschen absurd ist, der Betrag, den wir zur Realisierung einer Wahlkabine brauchen, ist ja nicht astronomisch. Im Gegenteil: Kleiner Preis Große Wirkung!", ärgert sich Wassermair.
Die Fragen zur EU-Wahl für die Wahlkabine wurden gemeinsam mit den europäischen Partnern schon vorbereitet. Jetzt bekommen sie die Parteien zur Beantwortung. Ob die Antworten schlussendlich online gehen, entscheidet sich in den nächsten Wochen.