Erstellt am: 9. 4. 2014 - 15:32 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 09-04-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Gestern gab es keine Ausgabe des daily, sorry for that.
Heute eröffnet das Wien-Museum die Ausstellung WIG 64. Die grüne Nachkriegsmoderne über die Wiener Internationale Gartenschau (WIG) im Donaupark.
Diese für damalige Verhältnisse futuristisch wirkende und selbst heute in ihrer Abgeranztheit wunderbare Neu-/Umgestaltung des Parks rund um den Wiener Donauturm ist einer der Sehnsuchts-Räume meiner Kindheit. Ich träume heute noch manchmal von den Sessellift-Fahrten übers Gelände.
Im Sommer 2007 war ich zuletzt dort; im Rahmen einer zufällig entstandenen, eh nur zweiteiligen Spurensuche (Teil 1 war die Meierei), dabei ist der folgende Text entstanden.
Verlorene Orte: der Donaupark
Gestern, auf dem Weg zur Meierei ist mir eingefallen, was meine Schwester unlängst über einen anderen Ort erzählt hat, den sie nach langer Zeit wieder aufgesucht hat und der wie eine Zeitkapsel Vergangenes festhalten würde. Was auch eine seltsame Verlorenheit ausstrahlt. Und zwar der Donaupark, der in den 60ern groß angelegte Park rund um den Donauturm, hinter der UNO-City, vor der alten Donau (vom Zentrum der Stadt aus gesehen).
Der Donaupark wurde für die Wiener Internationale Gartenmesse gebaut, weshalb er damals auch WIG hieß, und hatte, obwohl er aus den mittleren 60ern stammt, sehr vieles, was die 70er architektonisch und verbauungsmäßig dominieren sollte.
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Ich habe das, was ich als Kind in der WIG, im Donaupark mitbekommen habe, später in allen osteuropäischen Ländern gesehen, manchmal in frischem, zunehmend dann in vergammeltem Zustand. Es war der Versuch, dem biedermeierlich-zuckersüßen Privatissimo der 50er zu entkommen und so etwas wie eine großzügig angelegte Volks-Architektur in eine neue Art von öffentlichem Raum zu platzieren. Das war gewagt und - da meist mit zu billigem Material gefertigt (damals dachte man irrigerweise, dass Plastik und Beton ewig halten) - recht schnell abgelebt, was ihm recht schnell (und teils auch zurecht) den Geruch von Ostblock-Mief einbrachte.
Ich habe Jahre später bei verbrachten Sommerurlauben in Titos altem Jugoslawien (heute würde man sagen an der istrischen oder dalmatinischen Küste) die fast identischen Bauten und Anlagen, Parks und Plätze gesehen.
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Der Donaupark lag ideal, wiewohl in den 70ern keine U-Bahn hinführte. Aber seine direkte Nachbarschaft zur alten Donau wertete ihn als Ausweich-Erholungs-Areal enorm auf.
Mittlerweile ist es mit dem Park so wie mit seiner historischen Bau-Substanz: nach langen Jahrzehnten der absoluten Peinlichkeit bekommt das Brave und das Funktionale wieder Charme. Die ersten, die das entdeckten, waren die Veranstalter des (mittlerweile leider verschiedenen) Fish-Fests, die (auch schon vor einigen Jahren) eine ihrer legendärsten Partys im dortigen Areal abhielt.
Letzten Sommer wählten die Betreiber des Puu-Club, eine Schwester des Icke Micke-Clubs, eine der Nieder-Bauten im Donaupark. Der Abend war dann nicht so besonders, vielleicht weil die Szene einen Durchhänger hatte und weil dieser Sommer an sich nicht viel konnte, aber der Platz war großartig.
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Ich weiß noch, wie ich in der seltenen Konstellation mit zwei anderen in Wien aufgewachsenen (sowas passiert mir sonst so gut wie nie) herum stand und wir über unsere Kindheits-Erfahrungen redeten. Ich weiß nicht mehr, ob es Tanja Bednar oder Konstantin Peyfuß war, der dann die Sprache auf etwas längst Verschüttetes brachte: den Sessellift.
Wenn drei Leute um drei Uhr nachts in einem Park zusammenstehen und anderen, die nicht aus der Stadt waren, erzählen, dass sie sich noch an den Sessellift, der durch, nein über diesen Park führte, erinnern könnten, dann wirkt das wie eine Rausch-Fantasie oder etwas, was man sich vielleicht in einem Traum oder einem Kinderbuch zusammenfabuliert hätte.
In unserem Fall war es aber wahr.
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Mir war das dann wieder entfallen, ehe mich meine Schwester vorletzten Sonntag dann wieder dran erinnerte. Sie hatte im Donaupark zu tun und erwähnte die dort durchführende Liliputbahn, die - ganz wie ihr Pendant im Prater - das gesamte Areal durchmisst und außer natürlich für Kinder auch für solche, die keine Lust am Erwachsenwerden haben, ein Quell ewiger Freude ist. Mir fiel dann ein, dass mir jemand - vergessen wer - erzählt hat, dass ein Freund von ihm regelmäßig, einmal im Jahr, die Liliputbahn im Prater quasi "überfällt", mit ein paar Kumpels aufbringt und entert, als wären sie Johnny Ringo.
Und dann fiel mir der Sessellift ein.
Der Sessellift durch den Donaupark bewältigte keine Steigung, er war einfach dafür da, den Park-Besucher durchs Areal zu chauffieren, damit man aus vielleicht zwei, an den höchsten Stellen drei Metern Höhe die tollen Garten-Kreationen beäugen könnte, die für die WIG angelegt wurden.
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Eine Runde auf dem Sessellift war nah dran am Gefühl des absoluten Glücks: fliegen, träumen, schweben, ein bisschen Gefahr (nicht mit dem Bügel spielen!), ein paar scharfe Kurven, die surrenden Seile und unter dir, fast in Griffweite, nur Buntes und Grünes und all das mit dem Donauturm als immer sichtbaren Anhaltspunkt, der ein Sich-Verlaufen unmöglich machte.
Interessanterweise gab es in der zweiten WIG, der zweiten Garten-Anlage, die nur ein paar Jahre nach dem Donaupark für die nächste Messe gefertigt wurde, im Kurpark Oberlaa, keinen Lift - obwohl er dort Sinn machen würde. Oberlaa besteht ja aus einer einzigen Steigung, ist eine einzige Abfahrt.
Aber gerade seine sinnlose Flachheit machte den Sessellift durch den Donaupark so sensationell.
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Heute sind nicht einmal Spuren dieser Anlage zu finden. Die Liliputbahn sieht auch anders aus, aber sie pfeift und prustet und die Kids, die drin sitzen, lachen.
Die Donaupark-Lampen, die aussehen wie geknickte Lupen, wurden wohl auch bereits einmal runderneuert, haben aber ihre alte lächerlich-schöne 70er-Jahre-Form.
Anderes hab ich - aufs erste Durchlaufen nach langen Jahren - nicht gefunden: das kleine Amphitheater samt "Seebühne", also durch einen kleinen Wasserlauf getrennt. Und wieder anderes wirkt wahrscheinlich deswegen nicht mehr so spektakulär, weil alles wuchtiger daherkommt, wenn die Perspektive nur etwa einen Meter beträgt.
Bloß der Donauturm, dieses spindeldürre, hässliche Monster, ist auch heute - wie damals - einfach nicht mein Freund.
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Mittlerweile ist der Park vor allem deshalb kein Massen-Phänomen (wie vor allem in den 70ern) mehr, weil ihm die Donauinsel und der infrastrukturelle Ausbau der gesamten Region überholt hat.
Und abgesehen von vielen Blumenbeeten, ein wenig Wasser, Schilf, Brücken, ein paar Spiel- und ein paar Sportplätzen und seiner doch sehr großen Ausdehnung kann er nichts: keine eventtechnische Anbindung, kein touristischer Benefit, nur ein reiner Rückzugsraum für Menschen auf der Flucht vor Rummel.
Auch die kleinen Stationen drinnen oder davor (der Pagoden-Chinese z.B.) sehen nur witzig aus, mehr ist da nicht.
Aber "Verloren sein" an sich ist ja nicht negativ besetzt, der Donaupark ist es in einem dornröschenschlafigen Sinn. Wobei: mit der Rekonstruktion des Sessellifts würde er, wette ich, auch aus diesem Schlaf erwachen.
Bis dahin stecken die Lift-Luftfahrten nur in den kollektiven Träumen einer Generation, die sie noch erlebt hat. Immerhin weiß ich jetzt schon, wovon ich heute träumen werde.
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Soweit der Text vom 9. August 2007. Ob ich in dieser Nacht vom Lift geträumt habe, weiß ich nicht mehr, in jedem Fall ist dieses Schweben auch seitdem ein selten gewordener, aber regelmäßiger nächtlicher Begleiter.
Die Ausstellung im Wien-Museum wird mich, wenn ich sie dann ansehe, schlauer, fröhlich und vielleicht auch traurig machen. Sie wird aber einen der großen Sehnsuchtsräume meiner Kindheit auch für alle anderen greif- und nachvollziehbar machen.