Erstellt am: 9. 4. 2014 - 11:20 Uhr
Sex, Lügen und Diaprojektor
Dass hinter schönen Fassaden Abgründe lauern, ist in allen Erzählsorten so beliebt wie etabliert, aber nirgends - zumindest in der Serienwelt - sind die Fassaden so chic und die Abgründe so tief und ausdifferenziert wie in "Mad Men". In Schwarz/Weiß werden hier nur die Kostümskizzen für Kreativdirektor und Werbezampano Don Draper (Jon Hamm) gezeichnet, ansonsten finden sich hier alle Graustufen der Verzweiflung, des Begehrens, des Ehrgeizes und der moralischen Dilemmata - eingefärbt in die betörend-schönste Retrocouleur.
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No sentimental journey
Und so ertappt man sich beim "Mad Man"-Schauen stets im Zwiespalt oder zumindest in Verwunderung darüber, was einem hier so gefällt: Das Auge saugt die Teak-Teewagen, Eames-Sessel und silbernen Standaschenbecher auf. Die ewige Raucherei und Trinkerei in den Büroräumen der New Yorker Werbeagentur wirkt so herrlich hedonistisch, unvernünftig und einladend. Wer nostalgisch seufzt und sich eine Zeitreise wünscht, kriegt aber eines auf die Finger. Denn "Mad Men" ist alles andere als ein sentimentaler Ausflug in die Sixties, viel mehr als Eskapismus inklusive Cocktail- und Frisurvorschlägen. Mit seinem Blick zurück auf die scheinbar so schöne Retrowelt zwischen Zweireiher und Beehive-Frisur, wo Gynäkologen bei der Arbeit rauchen, ein Klaps auf den Sekretärinnen-Hintern selbstverständlich ist und gleiche Bezahlung für Frauen gerade mal eine Idee für ein Gesetz ist, reflektiert die Serie auch immer das Jetzt mit.
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Neben der hypnotischen Geschichte vom Fall des Don Draper und dem Porträt eines Jahrzehnts wird "Mad Men" so auch zum Zeitgeist-Kommentar, der bewusst verhindert, dass man ganz und gar in Nostalgie zerfließt. Die schöne Oberfläche reibt sich stets auch an unangenehmen Themen - unangenehm, weil sie immer noch präsent sind. Geraucht darf zwar heute nirgends mehr werden, dem Sexismus am Arbeitsplatz konnte aber in über 40 Jahren nicht der Garaus gemacht werden. Und schon bleibt einem das Lachen über ein wohlformuliertes aber joviales Bonmot des chauvinistischen Charmeurs, Agenturinhabers und ewigen Zweireiher-Trägers Roger Sterling (John Slattery) im Halse stecken.
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We make the lie
Die Werbeagentur wird im Laufe der Serie verkauft, verkleinert, verändert. Aus "Sterling Cooper" wird irgendwann "Sterling Cooper Draper Pryce" und noch später "Sterling Cooper & Partners", doch das Geschäft bleibt dasselbe: eine Wertschätzung und Lobpreisung von allem, was der auf Hochtouren arbeitende Kapitalismus an Produkten eben so ausspuckt. Der Kunde ist König, hat immer Recht und so werden schon mal sexuelle Gefälligkeiten Teil von großen Deals. Auch hier gilt: Hinter jeder herrlichen Reinzeichnung, jedem ausgeklügelten Design und verführerischem Plakat steckt eine Geschichte mit meistens mehr als einem menschlichem Abgrund. Aber so wie Draper versucht, den Schein des souveränen Geschäfts- und Ehemanns zu wahren, so lebt auch die ganze Agentur vom Kreieren von Illusionen. In fast jeder Präsentation, in jedem Slogan und jeder Skizze verkaufen die Werber ein funkelndes Stück kaufbares Glück. "Advertising is based on happiness, we make the lie, we invent want", so Draper.
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Sie selbst aber sind weit entfernt von Glückszuständen - oder haben ohnehin nie an ein derartiges Konzept geglaubt. Von Draper, der illusionsbefreit bereits beim ersten Glas Martini philosophiert "I live like there's no tomorrow, because I know there is none" über Pete Campbell, den Ehrgeizling aus reichem, aber herzlosem Hause, der sich wie ein trotziges Kind beschwert "Why can't I get anything good all at once?". Man muss ja ein Zornbinkerl werden, wenn man tagtäglich das Blaue vom Himmel herunter verspricht und selbst weder im schicken neuen Apartment in New Amsterdam noch in der Vorstadt glücklich wird und das einzige, was blüht und gedeiht Frust und Geheimratsecken sind.
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Umbrüche
Und als wäre das Innenleben all dieser gebeutelten aber stets fesch herausgeputzten Figuren nicht turbulent genug, liefern auch noch die 1960er Jahre Umbrüche und gesellschaftliche Risse. Das Annus Mirabilis 1968, das in anderen Medienauswüchsen oft so dargestellt wird, als wären über Nacht der jüngeren Generation Vollbärte und Batikleiberl gewachsen, kündigt sich hier stetig und in kleinen Gesten an, in Geschichten, die Film und Fernsehen noch nicht überstrapaziert haben. Auch illegale Substanzen fallen bei "Mad Men" nicht erst beim Jahreswechsel zu 1968 vom Himmel. Der Joint wird schon in den frühen 1960er Jahren bei nächtlichen Überstunden zwischen den jüngeren Agenturmitarbeitern herumgereicht. Jahre später wird auch bei graumelierten Herren aus gutem Hause das Interesse an LSD erwachen. "Mad Men" interessiert sich für Prozesse, Entwicklungen, für die Wurzeln von Konflikten, Missverständnissen und Veränderungen. Hier wird gemächlich und genau erzählt, ohne je in Geschichtsunterricht-Attitüde zu verfallen.
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Neue Frauen
Meisterlich und unpathetisch verwandelt "Mad Men" Episoden aus dem Leben seiner Figuren in Vorkommnisse, aus denen man Rückschlüsse ziehen und am 1960er-Jahre-Sittenbild der USA weitermalen kann: Die Pille und die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch inszeniert die Serie nicht als Errungenschaft für Frauen, sondern eher als Mittel, die das Leben der Männer bequemer machen. In ihrer ersten Arbeitswoche verschafft Chefsekretärin Joan Holloway (Christina Hendricks) der neuen Angestellten Peggy Olson (Elisabeth Moss) einen Termin bei einem Gynäkologen, der ihr die Pille verschreiben soll. Sie macht das Leben bei "Sterling Cooper" einfacher.
In Peggy Olson verhandelt "Mad Men" eine neue Generation von Frauen, die kein Interesse am Hausfrauenleben in der Vorstadt haben (wie es anhand der Figur von Betty Draper inszeniert und dekonstruiert wird). Peggy Olson lässt die religiöse Familie hinter sich und zieht nach Manhattan, sie wird von der Sekretärin zur Werbetexterin und bringt sogar die Chuzpe auf, Don Draper um das gleiche Gehalt zu bitten, das Männern zusteht. ("These are not good times, Peggy", murmelt der zwischen zwei Zügen an der Zigarette, "These are not good times for me", gibt Peggy zurück). Sie wird nach und nach zu Don Draper (während Draper selbst immer weniger davon ist, was er sich selbst irgendwann als Don Draper erfunden hat). Die sechste Staffel zeigt Peggy Olson in Don Drapers Büro, in einer Einstellung, die an das letzte Bild der Titelsequenz erinnert. Im Gegensatz zu Don ist Peggy auch von Beginn an interessiert an Popkultur, sie wird zu einem Bob-Dylan-Konzert im Village gehen, noch bevor irgend jemand ahnt that the times they are a-changing.
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Draper und die Beatles
Für Don Draper wird die Popkultur zum Stolperstein. Schon die frühen Beatles sind etwas, was ihn wenig interessiert, er hält es eher für vergänglichen Kinderkram, zum Konzert nimmt er seine kleine Tochter Sally mit. Während durch die Gänge und Büros der Agentur ein Hauch von Hanf weht, die Bärte und Haare der Männer wachsen, eine Krawatte längst nicht mehr zum täglichen Ankleideritual gehört, die Kleider der Frauen kürzer und die Haarkonstruktionen weniger kompliziert werden, sieht Draper - die Haare gescheitelt und pomadisiert, die Wangen glattrasiert - immer noch aus wie zu Anfang der 60er Jahre. Vom stets souveränen, innerlich zwar gebeutelten, aber doch ziemlich unbezwingbar scheinenden Alphamann der Madison Avenue ist Draper zu dem geworden, gegen den man rebelliert. Für die eindringlichste Szene, die von der Entkoppelung Drapers von der modernen Welt erzählt, braucht "Mad Men" keine Worte.
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Play the game "Existence" to the end
In "Lady Lazarus" drückt ihm seine junge Ehefrau Megan "Revolver" von den Beatles in die Hand. Draper legt die Plattennadel auf das schwarz glänzende Vinyl und "Tomorrow never knows" beginnt. Draper zieht sich das Sakko aus, nimmt einen Schluck Whiskey, blickt ins Leere und nimmt die Nadel wieder von der Platte. 250.000 Dollar hat sich "Mad Men"-Erfinder Matthew Weiner die Rechte für die gerademal zweieinhalb Minuten Song kosten lassen, aber dieser Moment ist jeden Cent wert. Hörbare Einflüsse indischer Musik, alles andere als eine klassische Songstruktur, ein psychedelischer, verschleppter Nebel auf Platte gepresst. Draper steht ratlos und genervt davor, quasi auf dem popkulturellen Schlauch, und sein Fallen geht weiter.
Die Frage ist nur, ob Draper so wie sein gezeichnetes Alter Ego in der Titelsequenz weich und unverletzt und mit Zigarette in der Hand landen wird. Als Gedächtnisauffrischung und Einstimmung auf die siebte und letzte Staffel, die am 13. April 2014 in den USA startet (allerdings in "Breaking Bad"-Manier zweigeteilt, so dass man sich auf den wirklichen Abschied erst 2015 einstellen muss), hier eine - nicht auf Vollständigkeit pochende - Chronologie vom Fall Don Drapers. (INKLUSIVE SPOILER)
Die Draper'sche Abwärtsspirale - SPOILER!
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Und jetzt?
Die siebte Staffel beginnt am 13. April 2014 in den USA und spielt im Jänner 1969. Megan ist für ihre Karriere nach Kalifornien gezogen und erste Kritiken, die die erste Episode der letzten Staffel bereits gesehen haben, vermerken: Don is still in a dark place. Nur Roger Sterling, soviel verrät der Teasertrailer, trägt immer noch Zweireiher und schaut Frauen auf den Hintern.