Standort: fm4.ORF.at / Meldung: ""Die Dinosaurier unserer Zeit""

Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

7. 4. 2014 - 17:48

"Die Dinosaurier unserer Zeit"

"Project Pressure" will mit Hilfe von Crowd-Sourcing die Entwicklung aller Gletscher auf der Welt dokumentieren, um den Klimawandel sichtbar zu machen und ihn zu bekämpfen.

Der österreichische Alpenverein hat letzte Woche mit einer Meldung aufhorchen lassen: "Endlich wieder Gletschervorstöße in Österreich!" Zwar sind nur zwei kleinere Gletscher gewachsen, während neunzig Prozent der heimischen Gletscher geschrumpft sind, aber der Gletscherbericht 2012/13 zeigt, dass die Abschmelzung im letzten Jahr geringer gewesen ist als bisher - aufgrund des Wetters, nicht weil der Klimawandel eine Pause eingelegt hätte.

Zwei Landschaftsaufnahmen von 1894 und 2013 im Vergleich. Die Gletscher auf dem aktuelleren Bild haben sich um hunderte Meter zurückgezogen

Österreichischer Alpenverein

Der Ochsentaler Gletscher am Piz Buin in Vorarlberg 1927 und 2013 im Vergleich.

Während der ÖEAV seit 123 Jahren seine ehrenamtlichen "Gletscherknechte" zur Vermessung der österreichischen Gletscher schickt, gibt es weltweit tausende Gletscher, deren Veränderung überhaupt nicht erfasst wird. In Nepal, in Äquatorgegenden, aber auch in Kanada fehlen dafür die Ressourcen oder das Interesse. Dabei seien Vergleichsbilder von Gletschern eine der wenigen Möglichkeiten, den Klimawandel erfassbar zu machen, meint Klaus Thymann.

Von Statistiken zum Verstehen

Der Däne Klaus Thymann ist professioneller Fotograf und künstlerischer Leiter von Project Pressure, einer Non Profit Organisation, die sich gegen den Klimawandel engagiert. Eine der Schwierigkeiten, auf die sie dabei stoßen, ist, dass die Diskussion über den Klimawandel voll von Zahlen und Statistiken ist, die schwer zu vermitteln sind. Deshalb hat sich Project Pressure einem visuellen Zugang verschrieben, der bei den Gletschern ansetzt.

Zwei Männer mit Hochgebirgsausrüstung in einer Gletscherspalte

Project Pressure

Expedition zum Pallin Gletschertunnel in Schweden. Rechts Klaus Thymann.

"CO² kann man nicht sehen", sagt Thymann, "also hat man keine Vorstellung, was in der Welt vor sich geht." Den Rückzug der Gletscher könne man aber sehr wohl betrachten, wenn man historische mit aktuellen Aufnahmen vergleiche. Mit ihnen sei es sehr einfach zu verstehen, was Klimawandel dem Planeten antue. "Etwas so Gigantisches und Brutales wie die Gletscher, die die Form von Bergen verändern und Erde bewegen können, kann gleichzeitig so fragil sein, dass wir es mit unserem Handeln zerstören. Das sagt viel aus über das, was passiert. Ein Gletscher ist ein hervorragendes visuelles Objekt um den Klimawandel darzustellen."

Die Macht der Bilder

Der erste Schritt von Klaus Thymann und Project Pressure ist es, zusammen mit anderen KünstlerInnen und Fotografen Bilder von Gletschern anzufertigen, um möglichst viele Menschen zu erreichen, auch solche, die keinen Bezug zu Gletschern haben. "Wenn wir nur wissenschaftliche Bilder zeigen, glaube ich nicht, dass viele Menschen darauf reagieren werden. Kunst jedoch kann Leute bewegen, sie inspirieren und das wollen wir mit diesem Projekt. Wir wollen die Magie erzeugen, die Kunst erzeugt, und dann erst das Thema des Klimawandels hineinbringen."

Eine blau leuchtende Gletscherzunge im Geröll

Carl Battreall / Project Pressure

Black Rapids Glacier, Eastern Alaska Range, Alaska

Auf ihrer Website gibt es schon eine ganze Reihe dieser künstlerischen Fotos, aus denen bis nächstes Jahr auch eine Wanderausstellung und ein Buch entstehen soll. Möglichst viele Menschen sollen der Faszination der Gletscher erliegen, um sich dann für sie einzusetzen.

Anreiz zum Mitmachen

Für den zweiten Schritt von Project Pressure ist das Projekt auf die Mithilfe tausender Menschen angewiesen. Denn sie streben an, die Veränderung aller Gletscher der Welt fotografisch zu dokumentieren. Gemeinsam mit Bildern und Daten der NASA und dem World Glacier Monitoring Service soll so ein visueller Gletscheratlas entstehen.

Bild aus einem Flugzeug. Viele kleine Eisbrocken treiben am Auslauf eines Gletschers im WAsser

Peter Funch / Project Pressure

Ilulissat, Grönland

Es ist ein sehr ambitioniertes Projekt, das aufgrund der hohen Zahl von ca. 300.000 Gletschern noch nie angegangen wurde. Die Installation und Instandhaltung tausender Kameras würde jeden Rahmen sprengen, weshalb Crowd-Sourcing, Partizipation, offenbar die einzige Möglichkeit ist, das Projekt zu durchzuführen. Möglichst viele jener Leute, die ohnehin in der Nähe von Gletschern sind, ob beim Trekking oder beim Bergsteigen, sollen zu solch einem Archiv beitragen.

Fotos vom gleichen Standpunkt

Um die Entwicklung von Gletschern möglichst genau nachvollziehen zu können, ist es wichtig, dass die Fotos von den Gletschern möglichst vom gleichen Punkt und mit derselben Ausrichtung gemacht werden. Project Pressure stellt dafür eine detaillierte Anleitung zur Verfügung, um die besten Ergebnisse zu bekommen. Profifotograf muss man allerdings nicht sein, um sich zu beteiligen; bis das Gletscherarchiv im Herbst 2015 online geht, soll auch eine Smartphone-App herauskommen, die den Prozess so einfach wie möglich macht.

Project Pressure ist auch an alten Bildern von Gletschern interessiert, auch wenn sie keine exakten Ortsangaben haben. Ihren Aufnahmeort zu bestimmen ist zwar aufwändiger, dafür können die Ergebnisse umso interessanter sein. Je mehr Einsendungen das Projekt erhält, desto aussagekräftiger wird das Archiv. Man soll möglichst einen Eindruck bekommen, was gerade mit dem Planeten passiert und wie die Veränderung aussieht. Da das ganze Projekt zudem auf Open Source Basis läuft, sollen auch die Wissenschaft und alle anderen Interessierten davon profitieren können.

Archiv für die Nachwelt

Klaus Thymann denkt mit seinem Projekt in langen Zeitspannen. Über Dekaden sollen Menschen das Archiv mit ihren Aufnahmen füttern. Ein Ansporn dazu soll es sein, der Nachwelt etwas vom Bild der Erde zu hinterlassen. "Manchmal denke ich, die Gletscher sind die Dinosaurier unserer Zeit", sagt Thymann und erzählt von den Knochen, mit denen wir die Welt der Dinosaurier rekonstruieren konnten. Gletscher würden weit weniger hinterlassen. "Wenn Gletscher schmelzen, bleibt ein wenig von der Erde übrig, die die weggeschoben haben, aber dann sind sie verschwunden. Deshalb müssen wir für die Nachwelt ihr Andenken erhalten."

Luftperspektive: Ein riesiger Gletscher fließt ins Meer

Klaus Thymann / Project Pressure

Grand Plateau, Alaska

Der Ausblick, den Thymann entwirft, ist alles andere als positiv, aber er hofft damit auch, die Botschaft des Projekts zu verdeutlichen: Der Klimawandel schreitet rapide voran und ein Umdenken ist dringend notwendig. Unterstützen soll ihn dabei die Community, die rund um Project Pressure entstehen soll. Die sollen nicht nur für Gletscher begeistert werden, sondern im Nebeneffekt auch ihr eigenes Verhalten ändern um dem Klimawandel entgegenzutreten und Druck auf politische Entscheidungsträger machen. Doch Thymann weiß genau: "Es muss eine Massenbewegung um den Klimawandel entstehen, damit er ernst genommen wird und etwas passiert."