Erstellt am: 8. 4. 2014 - 10:27 Uhr

Left Coastin': Ab zur Amerikanischen West Coast

Die älteste Drag Queen Amerikas findet man in Portland. Darcelle XV ist 84 Jahre alt und steht noch immer jeden Tag auf der Bühne. Sie erzählt über das queere Leben in Portland.

Wir wissen: Bands wie Gossip und Sleater-Kinney kommen aus Portland. Portland, so wird gerne erzählt, ist die Hochburg der queeren Community Amerikas. Egal ob schwul, lesbisch, bisexuell oder Trans*: Hier gibt es die lebendigste Szene. Es gibt einen queeren Stadtguide, da findet man alles über queere Tanzveranstaltungen und feministische Bücherläden. So viel Zeit hat man gar nicht, um das alles zu besuchen. Und was heißt hier "nur" ein Stadtguide - mindestens zehn jeweils passend zur eigenen Orientierung. Oder wie wäre es mit einem queeren Musikfestival?

In Portland ging es schon immer liberaler zu als im Rest von Amerika. Das mag viele Gründe haben. Eine Theorie ist die, dass in den späten 1960ern die Hippies, denen San Francisco schon damals zu teuer wurde, die Wälder in Oregon und das verschlafene Städtchen Portland für sich entdeckt haben. Lebenskünstler, Aussteiger, Künstler und Musiker fanden hier seit jeher perfekte Lebensbedingungen, um in Ruhe an verrückten und außergewöhnlichen Ideen herumspinnen zu können. Jemand, der seit rund fünfzig Jahren in Portland lebt und viel zu erzählen hat, ist Darcelle XV. Seit 47 Jahren betreiben Darcelle XV und (Lebens-)Partner Roxy den gleichnamigen Drag Club Darcelle XV.

FM4 Alexandra Augustin

Darcelle XV ist der älteste Drag Queen Club Amerikas. Seit 1967 existiert der Club in Chinatown, in Downtown von Portland. Eine Ecke, in die man sich sogar im sonst so lieblichen und friedlichen Portland in der Nacht ungern hintraut. Nahe der Central Station leben viele Menschen auf der Straße. Auf den ersten Blick ist es nicht unbedingt die angenehmste Ecke der Stadt. Doch der erste, oberflächliche Eindruck täuscht.

Fette Perücken, lange Glitzerkleider, dazu Performances, wie man sich das für eine Drag Show eben vorstellt. Klassische Liza Minelli- und Whitney Houston-Karaoke-Shows und schräge Witze. Das ist nicht jedermanns Sache, aber darum geht es auch nicht. Vielmehr wollte ich Darcelle XV besuchen, weil sie den Ruf als Ikone des queeren Portlands inne hat. "Sie ist eine Institution in der Stadt", versichern mir alle. Neben ihren Shows ist es vor allem ihre außerordentliche ehrenamtliche Arbeit für die Obdachlosen, Armen, HIV-Positiven und ihr Einsatz für LGBT-Rechte, weswegen sie so geschätzt wird.

Queen of Hearts

Hinter Darcelle XV steckt eigentlich der Portlander Walter Cole. 1930 wurde er in einem kleinen Nest nahe Portland geboren. Der Lebensweg scheint vorgezeichnet. High School, Heirat, Kinder, sicherer Job in einem Supermarkt. Dass er schwul ist und eigentlich gerne Frauenkleider trägt, verheimlicht er lange. Bis er eines Tages in Portland Roxy Neuhardt kennenlernt, einen Tänzer und Choreografen an einem Theater in der Stadt. Die beiden verlieben sich ineinenander. Der gemeinsame Arbeits- und Lebensweg beginnt.

"Ich konnte nicht länger lügen. Wenn du nicht mit dir im Reinen bist, wie funktionierst du dann? Ich war ein schüchterner Junge aus einem kleinen Kaff und plötzlich drehte sich mein Leben um 180 Grad. Ich verließ meine Familie. Es war wie ein neues Leben! Hätte ich diesen Schritt nicht gemacht, wäre ich heute entweder tot oder ich würde den ganzen Tag frustriert vor der Glotze hocken!"

Queen of Beatniks

Darcelle und Partner Roxy eröffnen zuerst eine ganz normale Bar, die erste in Portland, die eine Espressomaschine besitzt. Die wird damals noch mit einer Gaskartusche betrieben. "Die hätte jeden Moment in die Luft gehen können", erzählt Darcelle lachend im Interview. Die Bar wird zum Treffpunkt aller Outlaws in der Stadt, Beatniks, Lesben und Schwule treffen sich hier. "Da ging es in dieser Ecke der Stadt noch zu wie in Skid Row." Und dann erfüllen sich Walter Cole und Roxy den Traum eines Drag Clubs. Der Name Darcelle XV ist ein Fantasiename. Er passt aber gut zur heimlichen Queen of Portland.

"Anfangs hatten wir nur einen großen Tisch, der war unsere Bühne. Und als Licht verwendeten wir einen Dia-Projektor. Das Bier gab es für 50 Cent."

In der Stadt geächtet und von Politikern ignoriert entwickelt sich der Ort bald zu einer wichtigen Schnittstelle der Stadt. Ein Teil der Einnahmen aus den Shows geht seit Anbeginn an Bedürftige. Darcelle XV veranstaltet immer wieder Benefizveranstaltungen. Die Stadtpolitiker werden irgendwann von Feinden zu Freunden. Sogar ein Hospitz für Aidskranke betreibt Darcelle. Und heute wie damals sind Roxy und Darcelle ein Team. Seit fast fünfzig Jahre ein Liebes- und Arbeitspaar. Beeindruckend. Fotos an der Wand des Clubs erinnern an die alten Tage.

zurück von weiter

Die Shows besuchen klassischerweise junge Frauen, die Geburtstag oder Junggesellinnen-Abschied feiern. Manche kommen seit mehr als vierzig Jahren regelmäßig hier her, wie mir eine Besucherin vor der Türe erzählt. Sie habe sogar früher ihre Eltern mitgebracht. Darcelle ist ein Stück lebendige queere Geschichte in der Stadt. Die Familie ist mittlerweile auch versöhnt mit Walter Cole aka Darcelle, seine Kinder kommen oft zu den Shows. Mit ihren 84 Jahren denken Darcelle XV und Roxy noch lange nicht ans aufhören.

"Niemand ist nur die Person, die andere zu sehen glauben. Da steckt so viel mehr in jedem Menschen und das spüren meine Fans: Dass ich authentisch bin. Deswegen kommen sie zu mir. Ich sage immer, irgendwann werde ich auf der Bühne ausrutschen, das war's dann! Aber bevor das passiert, höre ich sicher nicht auf!"

FM4 Left Coastin'': Teil 1 Portland

Pools, Palmen, die unerträgliche Leichtigkeit des Scheins; HipHop, Hippies, Stars & Wannabes, verrückte LebenskünstlerInnen: Die amerikanische Westküste war seit jeher ein Sehnsuchtsort, ein Synonym für Freiheit und ein Biotop für den geballten amerikanischen Wahnsinn. Teil 1 der dreiteiligen Sendereihe "Left Coastin'" wurde am 7. April in der FM4 Homebase gesendet, unter anderem mit folgenden Themen: dem ältesten Drag-Club Amerikas, einem veganen Strip Club, Biking in Portland und einem Interview mit Musiker Nathan Junior.

Teil 1 der Sendereihe über Portland gibt es für 7 Tage on Demand.