Erstellt am: 5. 4. 2014 - 14:09 Uhr
Ums Ganze
Kreise und Dreiecke erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, auf diversen Kleidungsstücken wechseln sie sich als grafische Ornamente ab. Oberfläche und Tiefgang, schon geht es los: Pythagoras von Samos war lange nicht der erste Mann, der fasziniert war von Dreiecken und philosophierte. Was den Zusammenhang mit Formen und das Nachdenken über die Welt und die menschliche Existenz in ihr angeht, so rotiert im deutschsprachigen Hip-Hop ein Label hervor: Kreismusik trägt die Form bereits im Namen und Käptn Pengs Texte in die Welt.
Im Universum von Käptn Peng findet sich Hip-Hop zum Wertschätzen. Von Shaban gibt es neue Musik: Das Soloalbum "Apto Machinam" ist instrumental, experimentell und dabei ein angenehmer Hörgenuss.
Käptn Peng, das sind die Brüder Robert und Hannes Gwisdek. Peng ist Robert Gwisdek und unter seinem bürgerlichen Namen ist kürzlich sein Romandebüt "Der unsichtbare Apfel" erschienen. "Es geht um nicht sichtbares Obst. Und handelt von einem jungen Menschen, der aufwächst und beginnt, sich zu verwandeln", sagt Robert Gwisdek über das Buch.
Doch bevor es sich darum drehen kann, sollte man sich Käptn Pengs Texte zu Gemüte führen. Denn sie sind sehr speziell. Es sind sehr fantastische Kurzgeschichten und Alltagsbeobachtungen, wo man von einem Bild ins nächste kippt. Wie schwierig es ist, Texte zu schreiben, die keinen Sinn machen, die Frage beantwortet Robert Gwisdek mit: gar nicht so. Seine Texte hätten immer einen versteckten Sinn, der mit Metaphern gefüttert sei. Die wenigsten Lyrics sind nur witzig. Meist ginge es um ein konkretes Gefühl oder ein Thema, das über sehr abstrakte Bilder und ungewöhnliche Vorgänge zur Sprache käme. Es geht ums Ganze: um das Universum und die menschliche Existenz. Mit diesem Hinweis kann die Lektüre von "Der unsichtbare Apfel" beginnen.
Verlag Kiepenheuer & Witsch
Was bin ich?
Das Buch eröffnet mit einem linguistischen Spiel, deklariert einen Satz als Lüge und den nächsten als Wahrheit und daraufhin setzt die Vorgeschichte ein. "Der unsichtbare Apfel" erzählt von Igor, einem merkwürdigen Kind, dem Konzentration nicht gelingen will und das Kreise nicht allein auf Papier malt und eine Ordnung der Dinge mit Schachteln versucht. Kinderpsychologen könnten ein Krankheitsbild aus diesem Einstieg lesen.
"Als er sechs war, biss er ein Nachbarskind in die Hand. Die beiden spielten Verstecken und das Nachbarskind sagte im Scherz, er solle die Augen schließen und bis zur Unendlichkeit zählen. Igor war der Ansicht, dass Unendlichkeit nichts war, womit man Scherze trieb."
Igor will wissen, warum alles ist. Dass Menschen existieren, ohne zu wissen warum, plagt ihn. Diese Hauptfigur will die Welt erfassen, will sie durchdringen. Linguistische Lieblingsfragen und existenzphilosophische Überlegungen tun sich bereits in der Kindheit dieses Igor auf.
"Ein normales Leben zu führen schien ihm immer bizarrer und verschwenderisch."
Der junge Mann ringt nicht länger um Anpassung. Er trifft eine große Liebe, die jedoch bald zu Tode kommt. Die Traumwelt übernimmt das Geschehen. Wenn es ein Erwachen gibt, ist es von kurzer Dauer. "Etwas hatte angefangen, sich unaufhaltsam zu verschieben, und als Igor 23 wurde, kam ihm der Bezug zu seiner bisherigen Realität abhanden." Die Existenzphilosphie ist damit in diesem Fall auch schon wieder Geschichte, man darf sich nicht mehr erwarten.
Wahn oder eigene Wirklichkeit
Robert Gwisdek erzählt von Wahnvorstellungen. Ganz drinnen ist man in diesem Kopf des erwachsenen Igor, der 100 Tage in einem Raum ohne Licht und Geräusche zubringen will. Das Experiment startet, und bis zum Ende des Romans driftet der Bewusstseinszustand. So müssen sich Menschen mit psychischen Leiden oft fühlen, ist man versucht zu denken. Mit einem Tagebuch versucht Igor, den Überblick zu behalten. Doch die Stifte zerbrechen unter dem Druck seiner Hand.
Die Stimmung ist nicht durchgehend feindlich, wenngleich Igor immer wieder bedroht wird. Ein Hirsch attackiert ihn, der König des Volks von K trachtet nach seinem Leben. Grüße an den Kafka Franz. Herman Melvilles "Bartleby der Schreiber" wird zitiert. Es geht schon auch mal zu wie bei Asterix und Obelix im Haus, das Verrückte macht. Friedliche Momente gelingen jedoch und Musik wird mit wunderbaren Passagen gewürdigt. Wer sich gern von Freunden deren Träume erzählen lässt, wird gut bedient.
Maxim Abrossimow
Das Paradoxe fassen
Am 6. April wird Robert Gwisdek seinen Roman "Der unsichtbare Apfel" in pmk in Innsbruck vorstellen - mit Musik. Und kommenden Montag, 7. April 2014, gibt Robert Gwisdek eine Lesung mit Musik, Gedichten und Film im Stadtsaal in Wien, 20.00 Uhr.
Gwisdek führt all diese absurden und bildhaften Geschichten in klarer Sprache weiter oder löst sie auf. Motive aus Käptn Pengs Lyrics tauchen im Roman auf und werden auserzählt. Beim Zwiegespräch mit der Welt verlangt Igor die Dinge zu schauen, zu durchschauen. "Dein Geist treibt dich durch enge Gassen", antwortet die Welt.
Robert Gwisdeks Romandebüt könnte als fantastischer Entwicklungsroman gelesen werden. Doch eigentlich stolpert dieser Igor von einer Wahnvorstellung in die nächste. Am Ende steht die Kontrolle. Das Fantastische, das Paradoxe hat in der Realität, auf die sich die Mehrheit der Menschen versteht, keinen Platz. Dennoch: Wie flugs man Kreise mit Supermächten akzeptiert oder ablehnt, zeigt einem der Autor und Musiker und nicht mehr allzu oft schauspielende Robert Gwisdek.