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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

5. 4. 2014 - 14:07

Halleluja

Schon seit einiger Zeit macht sich in Berlin ein neuer Ausgehtrend bemerkbar: Der Trend zur Unterhaltung.

Die Leute wollen nicht nur stumpf in den Bars hocken und saufen, oder rumstehen und ein Konzert ansehen, sie wollen direkte Ansprache, Unterhaltung.

Das bringt eine Renaissance von bereits älteren Unterhaltungsformaten wie Pub Quiz, Bingo, Karaoke, öffentliche Fernsehabende und Vogueing-Wettbewerbe in die Bars. Und uns Unterhaltungskünstlern bringt es auch Arbeit. Gerade am Wochenende können wir daher kaum noch ausgehen, sondern müssen arbeiten beim Ausgehen.

Dabei ist nicht das normale Ausgehen gemeint, das für unsereins sowieso schon immer wie Arbeit ist, sondern richtig Arbeiten, Arbeit-Arbeiten.

Es fing am Freitag im Kreuzberger Club Südblock an. Dort fand eine Gala für die Brüste der stadtbekannten Trans-Diva Kaey, organisiert von einigen ihrer Bühnenfreund_innen statt. Unter dem Motto Zwei Brüste für ein Halleluja wollte man helfen, den Herzenswunsch der Künstlerin zu erfüllen, nachdem die Krankenkasse das Ansinnen abgelehnt hatte.

Hase Oliver

Durch den bunten Abend führten Inge Borg und Gisela Sommer, zwei bekannte Travestie-Conferencieusen, die auch das beliebte Kiez-Bingo im Club SO 36 in Kreuzberg moderieren. Sie eröffneten die Brüste-Gala mit einem wikipedia-gestützten Vortrag über die Geschichte der weiblichen Brust seit den Primatinnen – dann performten unter anderem die Mitglieder_ innen des Queerriotclub. The Mundus, ein junger Mann aus einem preußischen Dorf, zelebrierte düsteren Electopop, auch ich sang ein paar Lieder und die großartige Hedi Mohr trug ihre perfekten Chansons zuerst in perfektem Outfit und dann ganz ohne Outfit vor.

3 Auftretenden der Travestie-Show

Christoph Puppe/Photography by Pluto

Brust-Gala

Kaum hatte man sich von der Brust-Gala erholt, ging es am Samstag schon wieder weiter mit dem Arbeiten, diesmal als Talkgast der Reihe "Simi will Format", eine Kneipentalkshow im Neuköllner Valentinstüberl. Erfunden hat das Format Simi Simon, die auch als Sozialarbeiterin im Bezirk tätig ist. Das Valentinstüberl war gesteckt voll, das Ambiente erinnerte an "Inas Nacht", aber ohne Singerei, dafür mit selbst produzierten Videos und Internetschnipseln. Simi geht als Vorbereitung auf ihre Show nämlich durch die Straßen Neuköllns und befragt Passanten und Anwohner zu ihren aktuellen Themen. Diese Woche ging es um das etwas abgelegene Thema "Schwingungsarmut in Deutschland".

Talkshow in einem Kreuzberger Lokal

https://www.facebook.com/kaystrasserphotography

Kneipentalkshow

Auch im Valentinstüberl saßen viele unterhaltungswillige Leute und es stellte sich die angenehme Erkenntnis ein, dass Neukölln nicht nur aus den vielbeachteten Hipstern, also geckigen Leuten, die ihr Essen fotografieren und auf Facebook stellen, bevor sie es anrühren, Leuten, die auch im Sommer Wollmützen tragen oder wichtigtuerischen Expats besteht, sondern dass es in Neukölln auch ganz normale, ganz nette Leute gibt.

Es waren also sehr gute Arbeitsbedingungen, mit mir talkte noch der reizende Musicalregisseur Bernd Mottl und mit Wodka Tonic und anregendem Gespräch ging das arbeitsreiche Ausgehwochenende in den wohlverdienten Feierabend über.

Die große Herausforderung beim Ausgehen in Kreuzberg ist es ja nicht mehr, etwas Neues, Interessantes zu finden. Viel schwieriger ist es, eine ganz normale Bar zu finden, die auch am Samstagabend nicht total voll mit erlebnishungrigen, hysterischen Deppen und Deppinnen ist. Und es gibt sie noch! Mit diesem Erfolgserlebnis konnte man dann getrost in den Sonntag gehen, ein Tag, an dem man wiederum auch schlecht ausgehen kann, weil inzwischen in allen Bars ab 20.15 Tatort geguckt wird.