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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

3. 4. 2014 - 21:44

The daily Blumenau. Thursday Edition, 03-04-14.

Zu nah dran; übers Kuratieren, zu gute Kontakte, zu wenig Ehrlichkeit, die junge Lust sich nach Regeln zu richten und Journalismustage.

Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.

Das Panel hieß "Zu nah dran - wieviel Abstand müssen Journalisten zum Objekt ihrer Berichterstattung haben?"; und gefühlt war ich dort richtig am Podium. Ist doch mein Einsatz vor allem der in Sachen Fußball-Berichterstattung oft eine einzige Anklage gegen das festgefahrene System der Verhaberung.

Andererseits wurde mir schon im Vorfeld klar, dass die ein wenig selbstgerechte und weder die Meta-Ebene noch die dahintersteckende Philosophie berücksichtigende Herangehensweise eines Großteils der Branche zu einem schulterklopfenden "Wir sind eh super - die Bösen da draußen machen's uns halt schwer" führen würde. Da fehlt mir dann doch die massive (nötige) Selbstkritik.

Es wurde dann alles einerseits schlimmer und regulativer, andererseits anders gewichteter als erwartet, insofern... ich mach's mal chronologisch...

Selbstverständlich ist das, was auf Journalismustagen, also Branchen-Konvents, passiert, viel näher dran an der Wahrheit als das, was auf Medientagen, also dem Schaulaufen der Verleger und Geschäftsführer derselben Branche, abgeht. Zumindest in Österreich, wo sich die Wertigkeit solcher Medientage in der überteuerten Teilnahme-Gebühr und der Schlagworthaftigkeit der (ebenso überteuerten) internationalen Speaker genügt.

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Selbstverständlich ist die (überfällige) Premiere eines Journalismustages (den die zielorientiert vorgehende Journalisten-Ausbildungs-Plattform fjum organisiert hat) eine Anreißer-Maschine, eine erste Visitkarte, etwas, worauf in weiterer Folge und in Folgejahren aufgebaut werden kann. Und natürlich sind Teilnehmer wie Armin Wolf, Nicole Kolisch, Corinna Milborn, Monika Kalcsics, Martin Staudinger, Antonia Gössinger, Ingrid Brodnig und viele andere mehr eine Garantie für introspektive Betrachtungen. Erfreulich auch der gute Besuch, der niedere Altersschnitt und die Vielschichtigkeit der branchenfremden Gäste.

Nur für eines reicht es bei so einem ersten Abtasten, bei dieser Premieren-Heranführung an Gemeinsamkeiten, diesem branchenweiten Anbahnungsgespräch in der von ein bissl Imponiergehabe getragenen Anbahnungsphase naturgemäßig (noch) nicht: bedingungslose Ehrlichkeit.

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Wobei das bei einem Thema wie "zu nah dran" aber zwingend nötig gewesen wäre. So blieben wir (ich inkludier mich einmal, ich war durchaus auch mit-höflich, habe auf zwei der vier Agenda-Stücke, die ich setzen wollte, verzichtet, weil es den Rahmen gesprengt hätte) auf dem Pressereisen ja-oder-nein, dem mit Politikern was trinken gehen, arg-oder-nicht?-Level hängen.

Dass im Zeitalter der ausgesprochen rigorosen Compliance-Regeln (die nicht nur im ORF von einer schneidenden, wahrscheinlich nach Jahren der Ignoranz auch notwendigen Schärfe sind) und der Sehnsucht danach sich die entsprechenden Grenzen von anderswo vorschreiben zu lassen, wenig Eigeninitiative existiert und dass gerade in Österreich, wo sich die Stars beider Seiten in der Vergangenheit in aller Offenheit rein gar nichts geschissen hatten und diese gut eingeführte Gutsherren-Mentalität nahe an der strukturellen Korruption immer noch die Hinterköpfe regiert, die Auseinandersetzung ein hartes Stück Arbeit bedeutet, ist klar.

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Die Antwort darauf kann aber nicht die Flucht hinter irgendwelche oft schwammige Regulative sein, denke ich mir ein wenig angesäuert und muss im nächsten Moment ein (mäßig relevantes) Regulierungs-Zitat von einer in der Branche angesehenen Person vernehmen. Hätte ich Impfnarben - sie wären mir in diesem Moment aufgeplatzt: Nämliche Person hatte über Jahre hinweg mit ihrer Liason mit einem (anderweitig verheirateten) Parteichef und somit gegen die vielleicht zentralste aller Zu-nah-dran-Grundregeln verstoßen: sich mit dem Objekt der Berichterstattung (noch dazu heimlich) zu verpartnern und das Arbeitsfeld nicht enstprechend umzuschichten. Und angesichts dieses Falls von strategisch inszenierter Parteinähe fällt mir dann auch noch das böse Beispiel des bekanntesten Aufklärungs-Reporters der 2. Republik ein, der sich und somit auch seine Arbeit in späteren Jahren als Kandidat derselben Partei zunichtemachte.

In diesem Moment wurde mir klar, dass nur ganz harte Worte helfen.

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Österreichs Journalisten und -innen sind fast immer zu nah dran. Unter anderem auch, weil jeder und jede, der/die eine Zeitlang in einer Branche unterwegs ist, irgendwann etwas mit einem Pressemenschen oder gar einem Berichterstattungs-Objekt hat, rein sexuell. So wie das in jeder anderen Branche in diesem Land auch der Fall ist. Und natürlich schränkt ein Verhältnis die Kritikfähigkeit ein, selbst ein one-off.

Österreichs Journalisten und -innen sind fast immer zu nah dran, weil in der Vermittlung durch die Altvorderen das Reinschleimen bei Mächtigen und Wissensträgern immer noch eine wichtige Rolle spielt (Barbara Toth hat das am Panel-Podium gut beschrieben) und weil im heimischen Journalismus der Wert einer Geschichte oft noch nach der Bedeutung des Anzünders (Informationsgebers) bemessen wird.

Zu nah dran bedeutet in der österreichischen Praxis nämlich so gut wie immer zu nah dran an den Machthabern (egal in welchem Bereich), nicht zu-nah-dran an Betroffenen oder dem Umfeld - Im amerikanischen existiert da etwa eine Tradition, die es möglich macht, dass Sportschreiber gleichzeitig auch Literaten sind.
Wer so vorgeht, wird seine Geschichte auch deutlich schlechter platzieren können, weil die Medien-Macher und Gate-Keeper komischerweise genau da den Moralischen kriegen, der ihnen im anderen Fall so eklatant abgeht.

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So und jetzt zur nötigen biografischen Selbstkritik. Ich war und bin auch zu nah dran, fast immer. Das hat auch damit zu tun, dass ich in der Redaktion der Musicbox sozialisiert wurde, die ihre jungen Mitarbeiter nicht zu Journalisten (denn das war damals, im feudalen Reich Bachers ein Schimpfwort, ein Begriff für Höflinge und Günstlinge, Rektal-Artisten) und mich stattdessen zum Kurator ausgebildet hat. Und zwar zu einem, der sich nicht um Moden oder Publikumsgeschmack zu scheren habe, sondern einzig und allein seinen eigenen Ansprüchen, seiner eigenen, gefälligst hochzuhaltenden Moral verpflichtet wäre.

So kuratierten wir Jugend/Pop/Gegen/Subkultur-Phänomene, die in Österreich unter diversen Wahrnehmungsgrenzen waberten, uns aber als relevant erschienen. Hochsubjektiv, ohne jedes Schielen auf Applaus von egal woher.

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Dieser drastische Ansatz hat sich bis in den Mainstream heineingebissen, rudimentär kann man ihn etwa in Druckfrisch, dem Bücher-Magazin von Denis Scheck erkennen. Dass die parteinehmende Kuratierung von vorstellungswerten Inhalten, Thesen und Denkungsarten heute sich am ehesten im gerade noch übersichtlichen Rezensions-Ghetto der Kulturberichterstattung gerettet hat, im großen Feld der postmodernen Höchstkomplexität bis auf vielleicht Herrn Scobel bei 3sat und ein paar anderen Gerechten kaum stattfindet, zeigt nur, dass der Journalismus den Anforderungen der Zeit nicht/kaum nachkommen kann.

Als Kurator ist man natürlich nah dran; checkt im Notfall auch die Drogen, die der Künstler, den man präsentiert, für sein Überleben braucht oder begleitet ihn nach der Fast-OD ins Krankenhaus. Näher dran geht nicht.
Nur: Man kann diese Nähe ausweidend und -schlachtend anlegen wie Dolezal/Rossacher oder hinter der in Permanenz tagenden Ausstellung zurücktreten.

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Zu nah dran ist also letztlich egal. Menschen sind nah dran an Menschen, immer. Es geht um den Grad der Ausbeutung, um den Grad der Anbiederung. Wo überschreite ich eine Grenze? Kann/muss ich Geheimnisverräter werden, Inneres nach außen tragen, Intimes ausleuchten? Zwinge ich mich dazu Nebelgranaten zu werfen, um eine Person, die für etwas Bedeutendes steht, zu schützen?

Jede journalistische Aktion bedingt permanent die Frage nach der zu starken Nähe, nach dem Sich-gemein-Machen. Und es gibt nur zwei Jurys, die bei der Interpretation helfen können: Die eine besteht aus dem interessierten Außen (Kollegen, Umfeld, Primär-Publikum), die andere nur aus dir selber.

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Und dann wäre da noch der Selbstbetrug der scheinbaren Kontaktlosigkeit in die Szenen hinein, dem viele Journalisten anheim fallen: Ein großer Teil der heimischen Journalisten lebt nämlich davon, so viele andere Journalisten wie möglich zu kennen und die (bzw. ihre Angeber/Tratschlust) als Quelle anzuzapfen. Dazu kommt, dass nicht nur im Boulevard oder im Mainstream, sondern auch im sogenannten Qualitätssektor, viele Journalisten sich als Player, als wichtige Bestandteile der Imagepolitur-Maschine der Felder, in denen sie unterwegs sind, verstehen, die davon leben, das Objekt, das Thema ihrer Berichterstattung hochzuhalten, als wichtiger darzustellen, als es ist, um daran besser partizipieren zu können, so verliert die gesamte Branche zunehmend den Kontakt zur Realität.

Die kulturelle Realität des Landes spielt sich nicht in der bewahrenden,spitzensubventionierten Hochkultur ab; die interessanten Sport-Geschichten sind die, wo's knirscht, nicht die von Verbänden und Ligen konstruierten PR-Blitzlichter.

Wenn dann in ganz zentralen, demokratiepolitisch bedeutenden Bereichen wie der Ökonomie und der Machtpolitik Journalisten ganz bewusst Scheingefechte inszenieren/co-kommentieren, anstatt die Hintergründe auszuleuchten, oder wenn kritische Herangehensweise wegen der Unangreifbarkeit der Finanzwirtschaftsmacht gar nicht erst zugelassen wird, dann ist die Nähe der Journalisten (und nicht nur die der Bosse und Ressortleiter, sondern die jedes Einzelnen, der hier keinen Druck macht) zu einer starren Systemlogik schuld am Erschlaffen unserer demokratischen Kultur.

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Wir sind immer zu nah dran.
Selbst in einem Bereich, in den ich mich ganz bewusst kaum eingebracht habe, kaum jemanden kenne, so wenig Kontakte wie möglich (und auch, gottbewahre, keinen Sex) habe, dem Fußball, bin ich manchmal gefangen in zuviel Nähe zu Proponenten oder Systemen.
Nicht dass die Analyse deshalb schlechter wird: Wer immer mehr Ansichten und Standpunkte erfährt, bei dem gleichen sich Erkenntnisgewinn und Erkenntnisverlust durch Nebelgranatenwürfe eh wieder aus.

Und das ist der Punkt. Und es ist immer noch das, was ich in meiner Kuratoren-Ausbildung durch Gaisbauer, Kos, Schrott etc. erfahren habe: dass niemand, kein Regulativ, keine Zurufe (vor allem nicht solche von Sündern, die frech erste Steine werfen) keine Instanz, keine Liste mich von der Verantwortung freispricht, in jedem einzelnen Fall die Frage von Nähe und Distanz durchzuchecken.

PS

Dass es gerade die jungen Teilnehmer waren, die nach Regeln und Listen nachgefragt haben, heute bei den Journalismus-Tagen, beunruhigt mich ein wenig. Und dass ich nachher ein Interview abbrechen musste, weil ich Fragen gestellt bekam wie ein Mitglied einer Königsfamilie (Erzählen Sie doch eine intessante Begebenheit!), und die Rechtfertigung dafür war, dass man diesen jungen Menschen verboten hatte, direkt über die Tagung zu berichten, macht mich auch nicht lockerer.
Wer wenn nicht die Jungen soll denn mit den alten Verhaberungs-Strukturen und dem Nicht-Nachdenken-über-Nähe brechen wenn nicht sie? Und das am besten ganz ohne die Regulative der alten Sünder.