Erstellt am: 2. 4. 2014 - 18:09 Uhr
Lyrik für die NSA
Einfach haben es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der NSA auch nicht immer. Schon gar nicht, wenn es wärmer wird und einige Kolleginnen und Kollegen sich allzu luftig und locker anziehen – auch wenn es keine Kleiderordnung gibt. Äußerst delikat und heikel sowas. Aber hilfesuchende (Führungs)kräfte können sich vertrauensvoll an eine erfahrene Person wenden. "Zelda" nennt sich die Briefkastentante der NSA, die nach deren Angaben schon seit 29 Jahren im Unternehmen tätig ist und die auch gern in ihrer Freizeit Leute herumkommandiert ("and enjoys bossing people around outside of work, too." Quelle: Is Bain De Soleil a Bane on NSA?).
Zelda weiß verlässlich, was zu tun ist, damit es nicht zur "National Snorkeling Academy instead of the National Security Agency" kommt. Mit diesem Wortspiel beendete Zelda ihre erste Anfrage am 15. Juni 2010. Dass man um Zelda nun weiß, ist ihr wohl selbst eher unangenehm, wurde sie doch von Edward Snowden bekannt gemacht.
Post bekommt Zelda dieser Tage auch von Außenstehenden. So sucht der Schriftsteller und Übersetzer Ilija Trojanow am 2.4.2014 in der taz ihren Rat (Zelda, hilf uns!). Für ihn eine "wunderbare Chance, als Bürger eine Antwort zu erhalten auf Fragen, die manche von uns seit Monaten vergeblich stellen."
So erzählt er Zelda aus seiner Kindheit in Bulgarien, als die Familie in der verwanzten Wohnung überwacht wurde. "Sich unter Beobachtung die Unschuld zu bewahren, ist genauso schwer wie vor der Kamera die Natürlichkeit. Überwachung und Verdacht sind siamesische Zwillinge."
In Folge bittet er Zelda, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der NSA besser zu beobachten und zu überwachen. "Gerade jene, die sich berufsmäßig durch ein gesundes Maß an Paranoia auszeichnen, sollten doch auch der eigenen Behörde, den eigenen Kolleginnen und Kollegen misstrauen."
P.E.N. poets essayists novelists -
eine internationale Schriftstellervereinigung, die nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurde und sich u.a. für freie Meinungsäußerung einsetzt.
Interessant Trojanows Vorlesung in der Schule für Dichtung.
Trojanow erwähnt im weiteren Verlauf des Briefes Autorinnen und Autoren, die sich selbst zensurieren. Dabei bezieht er sich auf eine Umfrage, die der amerikanische Penclub unter seinen Mitgliedern gemacht hat.
Das erschreckende Ergebnis: Jedes sechste Mitglied vermeidet bestimmte Themen – in Texten, aber auch in Emails und in Telefonaten – aus Angst vor Überwachung. Jedes sechste Mitglied übt also bereits Selbstzensur aus. Und ein weiteres Sechstel hat sich das schon ernsthaft überlegt.
Ilija Trojanow ist davon überzeugt, dass das auch in Europa der Fall ist. Er würde sehr oft von KollegInnen und LeserInnen den Satz hören "Du bist aber mutig." Trojanow zeigt sich im Gespräch überrascht: "Wenn das, was ich mache, nämlich einfach meine normalen demokratischen Rechte in Anspruch nehmen und Meinungsfreiheit ernst nehmen, wenn das schon als mutig gilt, dann heißt das, dass viele andere Leute für sich selber eine andere Entscheidung getroffen haben. Nämlich lieber nicht anecken, lieber nicht auffallen. Gerade die Tatsache, dass man weiß, dass inzwischen ja das eigene Surfverhalten, was man in Bibliotheken ausleiht, welche Bücher man bestellt usw. usf. Dass all das, was den Behörden zeigen könnte, wie es ja auch den großen Konzernen aufzeigt, in welche Richtung man denkt, mit welchen Themen man sich beschäftigt, welche Schwerpunkte man setzt. Das lässt mit Sicherheit nicht wenige vorsichtig agieren."
Ilija Trojanow aber kämpft gegen die Generalüberwachung und das relativ blinde und ziellose Sammeln von Big Data. "Wir müssen endlich begreifen, dass wir nicht warten dürfen, bis es tatsächlich wieder zu diktatorischen oder unrechtmäßigen Repressalien kommt."
Von den gängigen Verharmlosungen, man müsse keine Angst haben, es sei ja noch niemand verhaftet worden und wer nichts verbrochen habe, habe auch nichts zu befürchten, hält Trojanow wenig. "All diese Menschen missverstehen, dass die Generalüberwachung, die Massenüberwachung an sich schon eine Repression ist und einfach nicht in einer halbwegs freiheitlichen demokratischen Gesellschaft erträglich."
Schule für Dichtung
Umso – im besten Sinne des Wortes – poetischer ist das Projekt, das Ilija Trojanow in der Schule für Dichtung (sfd) initiiert hat. "terror, assault, anthrax – gedichte an unsere überwacher" nennt sich die Aufgabenstellung. Gesucht sind Gedichte, in denen diverse Reizwörter vorkommen wie "Al-Quaida", "Sayyid Qutb", "Anthrax", "Assassin", "Guantánamo" oder auch "Heimatschutz". Die Idee ist, dass die NSA oder andere Geheimdienste im Zuge ihrer Überwachungen auf diese Gedichte stoßen. Das Schöne dran - man muss ihnen die Gedichte gar nicht schicken - die suchen sie selbst.
In dieser onlineklasse der sfd kann jede und jeder gratis mitschreiben. Einloggen (natürlich auch unter Pseudonym möglich) – Gedicht schreiben – und Feedback von Ilija Trojanow erhalten.
Die Schule für Dichtung hat übrigens auch noch andere interessante Klassen.
Abgesehen von allen politischen Aspekten sei dies auch ein schönes Beispiel für die Notwendigkeit von Literatur. In dem Fall von Lyrik, "weil man durch dieses Verspielte, durch so Aspekte wie Perspektivwechsel, Positionswechsel, Sprachwechsel, Sprachexperiment merkt, wie etwas in Bewegung kommt."
Der Brief, den er an Zelda geschrieben habe, dieses Rollenspiel, man würde sich als NSA-Mitarbeiter an Zelda wenden, hatte etwas Befreiendes für ihn.
Gleiches gilt für die Gedichte. Für Trojanow ist es "extrem wichtig, dass wir tatsächlich immer wieder Projekte haben, bei denen etwas ganz Konkretes, Zeitgemäßes, Politisches in Verbindung tritt mit etwas eher Intimem - also Dichtung und Lyrik ist ja etwas Individuelles und Zurückgezogenes normalerweise."
Natürlich sei die Aufgabe politisch, aber viele hätten einen viel zu engen Begriff von politischer Literatur. "In der Prosa gibt es so gut wie keine große Literatur, die nicht politisch ist. Auch in der Lyrik bin ich immer wieder erstaunt, wie viel man in Gedichten, die vermeintlich weltabgewandt sind, doch an Haltung zur Welt entdecken kann."
"terror, assault, anthrax – gedichte an unsere überwacher" – die Netzaktion der Schule für Dichtung mit Ilija Trojanow läuft noch bis 13. April 2014.