Erstellt am: 4. 4. 2014 - 15:07 Uhr
Isländische Kunst in Wien
„Das Schloss des Sommerlandes“
Vom 3. bis zum 27. April werden Ragnar Kjartansson und seine Isländer in der TBA21 in einer Art filmischen Langzeit-Performance leben und spielen. Die Besucher sind eingeladen, mehrmals wiederzukommen, und ein Dichterleben „voller Schwere, Einsamkeit, Tod und Perversion“ zu erleben.
Danach kann man bis 8. Juni die Überbleibsel und den Film in der TBA21 bewundern.
ÖFFNUNGSZEITEN:
Mi & Do 12—17 Uhr
Fr bis So 12—19 Uhr
PERFORMANCE-NÄCHTE:
Sa, 5., 12., 19., & 26. April
bis Mitternacht geöffnet.
TBA21 im Augarten
Scherzergasse 1A
1020 Wien
Man stecke 20 Künstler in einen Raum, gebe ihnen Malfarben, Werkzeug, Instrumente, Nahrungsmittel und etwas Alkohol. Dann wartet man einen Monat ab und schaut in diesen Raum hinein, um zu sehen, was passiert ist. Was auch immer dabei rauskommt, es wird ziemlich super sein. Einziges Problem: Wer hat heutzutage die Zeit und das Geld derartige Kunstlabore ins Leben zu rufen? Kein Gott, kein Staat, keine Arbeit, kein Geld. Die Förderung junger Kunsttalente ist längst in den Privatbereich abgerutscht, modernes Mäzenatentum in Zeiten der Wirtschaftskrise eröffnet neue Möglichkeiten. Aktuell in der TBA21, im Ausstellungsraum von Kunst-Mäzenin und Sammlerin Francesca von Habsburg.
Was kostet die Welt?
Der junge, dandyhafte isländische Kunstbarde Ragnar Kjartansson tritt stets gut frisiert und im schicken Anzug auf. Er gilt als Shooting Star der Kunstwelt. Bei der Biennale in Venedig war er 2013 mit seiner Performance "S.S.Hangover" zu Gast: dafür hat er Blechbläser in einem alten, isländischen Fischerboot über die Kanäle Venedigs schippern und traurig musizieren lassen. Er hat ein eigenes Kunstrezept gefunden, das wunderbar funktioniert: Viel Spaß, traurige Musik und große melancholische Gefühle als Kunstaktion zu deklarieren. 2011 hat er im Wiener Kunstraum Bawag Contemporary für einige Wochen eine Truppe junger Musiker musizieren und saufen lassen. Besucher waren eingeladen, dieser Hangover-Performance beizuwohnen.
Lilja Gunnarsdottir
2013 hat er in der TBA21 für die Ausstellung "The Visitors" ein ähnliches Konzept umgesetzt: In der 9-Kanal-Videoinstallation „The Visitors" wurden seine isländischen MusikerfreundInnen gezeigt, und zwar beim singen eines traurigen Break-Up-Songs in einer heruntergekommenen Villa in Upstate New York. Ragnar Kjartansson sah man in einer Badewanne sitzend seine Gitarre zupfen. Kaum jemand, der in der Ausstellung vom mehrstimmigen, dröhnenden Gesang einer verlorenen Liebschaft nicht zutiefst gerührt war und im Anschluss seine Tränen in einem Glas Whiskey versenken musste.
Nun ist Ragnar Kjartansson wieder in Wien zu Gast, diesmal mit einer epischen, theaterhaften Ein-Monats-Performance mit dem Titel "Das Schloss des Sommerlandes". Die bestreitet er nicht allein, sondern mit dabei ist die gesamte junge Kunstriege aus Island, etwa Ex-Sigur Rós Musikant Kjartan Sveinsson.
Worum geht's?
Vom 3. bis zum 27. April leben und spielen Ragnar Kjartansson und seine Crew von MusikerInnen, SchauspielerInnen, KostümdesignerInnen, Kameramännern und –frauen durchgängig in den Ausstellungsräumen des Augartens und verwandeln diese in eine lebendige Kunstfabrik. Im Moment schrauben und malen sie an einem Bühnenbild herum, um die Idee des Künstlers Kjartansson umzusetzen:
Sie bauen das Set für die filmische Adaption des epischen Romans "Weltlicht" (Heimsljós) des isländischen Autors und Nobelpreisträgers Halldór Laxness. Die Arbeit ist ein Work-In-Progress, bei dem Besucher eingeladen sind, beim Aufbau und Dreh des Films zuzuschauen. Es wird ein Hybrid aus Performance, Theaterstück, Konzert und Kunstinstallation. Eine zeitgenössische, isländische Version von Andy Warhol's Factory sozusagen.
Lilja Birgisdóttir
Was hat es mit "Weltlicht" auf sich?
Dieses Buch gilt als Klassiker der modernen, isländischen Literatur und ist "so etwas wie die Bibel" in Island, verrät Ragnar Kjartansson im Interview. Der Autor Halldór Laxness darf getrost als Role Model einer ganzen isländischen Künstlergeneration gesehen werden: Der isländische Mann ohne Eigenschaften, ein Bukowski ohne dem Versoffenen, ein Siddharta, der durch die isländischen Hügel streift. Halldór Laxness gilt als Grund, wieso isländische Kunst zu einem derartigen Exportschlager geworden ist. Laxness' Literatur war der Aufbruch Islands in die Moderne.
Sein zwischen 1937 und 1940 entstandener vierteiliger Roman dreht sich um das Leben des folkloristischen Dichters Ólafur Kárason, der sich auf seinem Weg zum großen Künstler von nichts abbringen lässt. Die Eltern verstoßen ihn, er erleidet im kargen Island Hunger und Schläge. Arm, ungeliebt, seine eigenen Kinder sterben, wegen Vergewaltigung landet er im Gefängnis. Nach dem Verbüßen seiner Strafe findet er doch noch seinen Frieden und wahre Schönheit.
Dieses Buch allein ist allerdings nicht der Grund, wieso Island so verrückt nach Halldór Laxness ist, sondern wohl eher das Leben des Autors: Ein Dandy, mit großen Visionen. Er hat von Island aus die weite Welt bereist, hat sich um den Globus geschnorrt und ist 1927 sogar in Los Angeles angekommen. Nicht zu vergessen, dass Anfang des 20. Jahrhunderts Island noch eines der ärmsten und rückständigsten Länder Europas war. Die Omas und Opas von Sigur Rós und Björk haben tagein-tagaus Fische gefangen und sind ja noch auf Pferden geritten. Nach dem 2. Weltkrieg hat Island aber rasant aufgeholt und innerhalb von ein paar Jahrzehnten den Entwicklungsstand vom Rest Europas erreicht.
Courtesy of the artist, Luhring Augustine, New York and i8 Gallery, Reykjavik.
Die Rückkehr der Romantik in die Kunst
Ragnar Kjartansson sitzt, wie man es von ihm gewohnt ist, in einem dunkelbraunen Anzug und schicker Sonnenbrille im Wiener Augarten, als er sein Werk und die Gedanken zum Buch erklärt. Ein lustiger, cooler Hund ist das. In Island hatte er noch vor kurzem eine Rockband namens "Trabant". Erfrischend normal ist der Isländer geblieben, seine eigene Kunst betrachtet er immer mit einem ironischen Augenzwinkern.
"Hier in dieser Kunstfabrik möchte ich eine Geschichte rund um die Suche nach Schönheit konstruieren. Und ich habe keine Ahnung ob mir das gelingt. Maybe this movie is going to be total shit! Haha!".
Symphatisch. Im Scheitern liegt immerhin die Kraft. Es geht um den Prozess, der Weg ist das Ziel. Wie auch in der Geschichte rund um den Dichter in dem Buch "Weltlicht". So werden alle Wiener in diesem Monat eingeladen, Ragnar Kjartanssons Aufführung/Filmdreh beizuwohnen und man darf ein Stück wichtige Kulturgeschichte Islands kennenlernen - und durchaus auch lachen! Ironie ist immerhin ein wichtiger Faktor im Werk von Kjartansson und im Leben der Isländer an sich.
"Wir machen hier ein Epos zum Budget eines Softpornos, umgeben von Zuschauern. Eine hoffnungslose Aufgabe. Ein echtes Desaster!“
Courtesy of the artist, Luhring Augustine, New York and i8 Gallery, Reykjavik.